anzeige
anzeige
Kultur

»Ich will niemanden erschrecken«

»Carmen«-Plakatschöpfer Helmut Brade im Gespräch über seine umstrittene Kunst

  »Ich will niemanden erschrecken« | »Carmen«-Plakatschöpfer Helmut Brade im Gespräch über seine umstrittene Kunst

Helmut Brade gehört zu den bedeutendsten Plakatgestaltern Deutschlands. Seit Mitte der 80er Jahre arbeitet er auch als Bühnenbildner, vorrangig mit Peter Konwitschny. In der kommenden Spielzeit kann u.a. sein großartiger »Lohengrin«-Bühnenraum bewundert werden. Im Moment jedoch ist Brades 659. gedrucktes Plakat, die Werbung für »Carmen«, omnipräsent in Leipzig. Lutz Stordel traf den Künstler und sprach mit ihm über seine umstrittenen Arbeiten

Helmut Brade gehört zu den bedeutendsten Plakatgestaltern Deutschlands. Seit Mitte der 80er Jahre arbeitet er auch als Bühnenbildner, vorrangig mit Peter Konwitschny. In der kommenden Spielzeit kann u.a. sein großartiger »Lohengrin«-Bühnenraum bewundert werden. Im Moment jedoch ist Brades 659. gedrucktes Plakat, die Werbung für »Carmen«, omnipräsent in Leipzig. Lutz Stordel traf den Künstler und sprach mit ihm über seine umstrittenen Arbeiten.

kreuzer: Ein puppenhaftes Mädchen mit gespreizten Beinen, was hat das mit der selbstbewussten Carmen-Figur zu tun?

HELMUT BRADE: Es hat etwas zu tun mit der Welt, in der Carmen lebt. Das ist auch eine Welt der Armut, eine Welt, in der geschmuggelt wird. Nun ist das Schmuggeln von Stoffballen heute nicht mehr wichtig, aber es gibt große Probleme mit Menschen- und Kinderhandel. Missbrauch von Mädchen, Sextourismus – das sind Dinge, die in diese Welt hinein- und auch in der Inszenierung eine Rolle spielen. Ich schaffe das Plakat ja nicht nur aus mir selbst heraus.

kreuzer: Der Carmen-Gesichtsausdruck auf Ihrem Plakat: Wie eine Frau mit zerstörerischer Kraft sieht dies nicht aus.

BRADE: Das ist nicht Carmen. Im Grunde ist das ein Kind und der Gesichtsausdruck ist Angst. Carmen selbst ist eine Person aus diesem Milieu. Sie ist Opfer. Es wäre ein Kurzschluss, von der Abbildung direkt auf Carmen zu schließen.

kreuzer: Aber was soll man denn sonst denken, wenn man in Sekundenbruchteilen an der Werbung vorbeifährt?

BRADE: Sicher, es steht auch Carmen als Schriftzug darunter. Da denken viele an die konkrete Person, haben ein bestimmtes Bild im Kopf. Das kann missverständlich sein. Und ich fände es natürlich nicht gut, wenn Vorbehalte aufkommen und Leute Angst bekommen, in diese Oper zu gehen. Das will ich auf keinem Fall.

kreuzer: Merkwürdig, dass sie als Plakatmacher mitunter gar keinen Kontakt zu den Regisseuren haben. Holländer-Regisseur Michael von zur Mühlen sah das Plakat zu seiner »Inszenierung« erstmals, als es im Schaukasten hing.

BRADE: Beim »Fliegenden Holländer« habe ich mich schlecht gefühlt, weil ich das Publikum auf eine falsche Fährte geführt habe. Dort habe ich nicht gewusst, was da passiert. Ich kannte nur den »Fliegenden Holländer«, ich wusste, da geht es um Schiffe, ums Meer. Dass das dann ein Häusermeer sein soll, auf diese Idee bin ich nicht gekommen. Ich habe etwas eher Konventionelles gemacht, und da sagen Kritiker dann zu Recht: Da wird uns etwas vorgegaukelt, was auf der Bühne nicht stattfindet. In der Premiere selbst bin ich dann raus gegangen. Wenn Musik nur zerstört wird, hat dies mit meinen Theatervorstellungen nichts zu tun.

kreuzer: Ist es tatsächlich normal, dass im Vorfeld keine Absprachen zwischen den Inszenierungsbeteiligten getroffen werden?

BRADE: Es ist nicht in jedem Fall so, dass es Kontakte gibt. Bei »Don Giovanni« war es besser: Ich wollte mit einem brennenden Kopf die Ankunft der Titelfigur in der Hölle zeigen, aber Regisseur Schröter fragte mich: »Sind sie ein Protestant? Ich sehe den Kerl ganz anders – für mich ist das ein herrlicher Kerl, der das Leben und die Frauen liebt und keinesfalls ein Sinnesfeind ist wie sie.« Das fand ich wunderbar, da habe ich das andere Plakat gemacht. Aber es passt halt nicht immer, mitunter sind die Regisseure noch nicht zu erreichen, wenn das Plakat produziert werden muss.

kreuzer: Verstehen Sie ihre Plakate tatsächlich als Werbung, die ja Besucher anlocken soll – oder eher als Kunst im öffentlichen Raum?

Der Künstler und sein Werk: Helmut Brade vor seinem<br>umstrittenen »Carmen«-Plakat
BRADE: Das ist die Hauptfrage, gerade für Gegner des »Carmen«-Plakats, die meinen, jetzt werden potentielle Besucher abgeschreckt. Ich mache keine Plakate, die etwas mit Wirtschaftswerbung zu tun haben, ich zeichne. Diese Plakate haben eine starke Aufmerksamkeit in der Stadt – und lenken auf das Haus.

kreuzer: Aber diese Art Werbung kann auch kontraproduktiv sein …

BRADE: Ich hoffe das nicht. Manche meinen, die Dissonanz sei gerade bei »Carmen« überzogen. Das sehe ich nicht so. Ich will kraftvolle Aufmerksamkeit. In meinem ganzen Leben gab es keinen inhaltlich vergleichbaren Auftrag wie die Plakatgestaltung in Leipzig. Und die Zusammenarbeit mit Peter Konwitschny ist für mich ein biografisches Glück.


Kommentieren


0 Kommentar(e)