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»Serendipity«

Mit dem <em>kreuzer</em> auf die sieben Weltmeere – Der Reiseblog auf <em>kreuzer</em> online (Teil 19)

  »Serendipity« | Mit dem <em>kreuzer</em> auf die sieben Weltmeere – Der Reiseblog auf <em>kreuzer</em> online (Teil 19)

Unsere »kreuzer-Auslandskorrespondentin« Ele Jansen hat sich auf große Fahrt begeben und berichtet in einem exklusiven Reise-Blog über ihre Erlebnisse vor Ort. Heute versucht sie zu beantworten, warum Menschen das Reisefieber packt

Unsere »kreuzer-Auslandskorrespondentin« Ele Jansen hat sich auf große Fahrt begeben und berichtet in einem exklusiven Reise-Blog über ihre Erlebnisse vor Ort. Heute versucht sie zu beantworten, warum Menschen das Reisefieber packt.

Teil 19: »Serendipity«

Als ich Leipzig im Januar verließ, wünschte mir ein Bekannter, ich möge auf meiner Reise finden, wonach ich suchte. Dabei suchte ich doch gar nichts. Aber eine spontane Antwort auf die Frage, warum ich denn auf Reisen ginge, konnte ich ihm auch nicht liefern. Angesichts der Reisemuffligkeit meines Bekannten musste ich an ein Zitat denken, dass ich kurz zuvor gelesen hatte:

»Das ganze Unglück der Menschen rührt aus einem einzigen Umstand her, nämlich, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer bleiben können.“ (Pascal, Gedanken, 136)

Und tatsächlich reisen manche Menschen in ihrem Zimmer. Sie lesen, lassen die Gedanken reifen, betrachten vertraute Gegenstände mit neuem Blick oder durchforsten wissbegierig das unerschöpfliche Internet. Andere hingegen suchen Exotik und glauben, bereits alles Interessante über ihr Zimmer und ihre Stadt zu wissen. Tatsächlich sind wir in unserer gewohnten Umgebung oft blind für die Ästhetik von Straßenzügen, die wir in einem fremden Land entzückt fotografieren würden. Dieser Logik folgend, ist Exotik eine Einstellungssache. Und dementsprechend sind die Orte einer Reise im Grunde genommen zweitrangig.

Was treibt Reisefreudige also an? Wissbegierde sicherlich; Abenteuerlust auch. Oder der Spürsinn für unerwartete Glückszufälle – ein Umstand, der im Englischen mit dem schönen Wort »Serendipity« beschrieben wird. Nicht zuletzt ist es der Reiz des Unbekannten, der die Reiseläuse aktiviert. Es ist eine bereichernde Herausforderung, sich aus seiner Komfortzone herauszunehmen und neu orientieren zu müssen. Nicht nur geografisch oder sprachlich, sondern gerade kulturell und zwischenmenschlich. Abgeschieden von der heimatlichen Kultur und gesellschaftlichen Verpflichtungen erfährt sich der losgelöste Mensch zweifach neu: er reflektiert und entdeckt. So erkennen wir im Spiegel der fremden Umgebung, wie stark unsere eigenen gesellschaftlich geprägten Muster sind. Gleichzeitig dämmert die Erkenntnis, dass wir im neuen Umfeld alte Verhaltensweisen teilweise ablegen und durch neue ersetzen. Dabei verändern wir uns kurzfristig und manchmal langfristig.

»You don’t know when you don’t go.«

Diese Effekte werden verstärkt, wenn wir uns allein in die Fremde begeben. Wenn man so will, eine Reise zu sich selbst. Die Konfrontation mit der Einsamkeit zeigt uns Grenzen auf, die wir in unseren Tagträumen über unser Wunschleben nicht erkennen. Wenn wir nicht aufbrechen, erfahren wir nicht, welche Angst uns überkommt, wenn unser psychischer Kompass in einer fremden Kultur nicht funktioniert. Und wir erfahren auch nicht, welche erstaunliche Wonne es ist, sich selbst zu überflügeln und kreative Wege zu finden, ein Ziel ohne den geeigneten Kompass zu erreichen. Das sind triviale Erkenntnisse über Fähigkeiten, die wir im Alltag selten austesten, und die griechische Philosophen als »Eudaimonia« – die Entfaltung der Persönlichkeit – bezeichnet haben.

Die »Entfaltung der eigenen Persönlichkeit« ist ein Wert, der in einer Arbeitsgesellschaft wie Deutschland keinen sehr hohen Stellenwert hat. Im Gegenteil: Angesichts des weltwirtschaftlichen Prekariats steht es hoch im Kurs, Zukunftsentscheidungen nach Aspekten der Lebenslaufkosmetik zu treffen. Leidenschaft und Hingabe werden dabei allzu oft mit nachgefragten »Skills« ersetzt. Für eine solche gesellschaftliche Schieflage gibt es vorerst nur individuelle Lösungen. Reisen ist eine davon.

Nun argumentiert der Zyniker, dass die Brötchen ja irgendwie verdient werden wollen. Zu Recht. Ein Leben neben der Weltwirtschaft ist schwer oder gar nicht vorstellbar. Aber jeder kann sich fragen, wie viele Brötchen es sein müssen, um entspannt leben zu können und seinen Leidenschaften immer noch nachgehen zu können.

Der Besitzer der Reinigung, in der ich wöchentlich meine Sachen wasche, sagte etwas ganz Interessantes darüber, nach welchen Maßstäben die »Deutschen« ihr gesellschaftliches Umfeld bewerten.

»I reckon you folks like it in Australia so much because Germans tend to put themselves under a lot of pressure. Over there you HAVE to be intelligent, efficient and better than the rest to feed your self-esteem. If you have an academic degree it is pretty unlikely that you have friends who havn’t studied. That’s different over here. It doesn’t really matter what you do for a living. You are regarded for how happy you are rather than how successful you are.«

Wie weit diese Aussage zutrifft und wie anregend sie ist, möchte ich dem Urteil eines jeden Lesers überlassen. Es ist ein Beispiel für den Spiegel, den einem das Reisen vor Augen halten kann. Derartige Erlebnisse – sowohl schöne als auch ernüchternde – und die Muße, Erkenntnisse gedeihen zu lassen, machen Auslandsaufenthalte so wertvoll. Ele Jansen

Karte mit Routenverlauf und Etappenbeschreibungen hier.


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