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Kultur

»Die Zeit der Wellen ist vorbei. Es braucht feministische Nachhaltigkeit«

Interview mit der Fräulein Wunder AG zu ihrer Inszenierung »Power of Pussy«

  »Die Zeit der Wellen ist vorbei. Es braucht feministische Nachhaltigkeit« | Interview mit der Fräulein Wunder AG zu ihrer Inszenierung »Power of Pussy«

Die Fräulein Wunder AG rollt mit der Inszenierung »Power of Pussy« die Geschichte der Frauenbewegung neu auf. kreuzer online sprach mit den Hildesheimer PerformerInnen über Feminismus heute, ihre forschende Theaterpraxis und intelligente Popkultur

Die Fräulein Wunder AG rollt mit der Inszenierung »Power of Pussy« die Geschichte der Frauenbewegung neu auf. kreuzer online sprach mit den Hildesheimer PerformerInnen über Feminismus heute, ihre forschende Theaterpraxis und intelligente Popkultur.

kreuzer online: Auf einem eurer Plakate prangt ein buntes Sammelsurium von »Heldinnen« des Feminismus respektive starken Frauen. Salopp gefragt: Was verbindet Wonderwoman mit Judith Butler oder Butler mit Alice Schwarzer?

Fräulein Wunder AG: Die Pussy-Power!

kreuzer online: Wie seht ihr den gegenwärtigen Diskurs um den Feminismus? »Die neue F-Klasse«, »Alphamädchen« etc. – sind das Indizien der Veränderung oder Tranquilizer?

Fräulein Wunder AG: Hier müssen wir Alice Schwarzer leider Recht geben: Das ist »Wellness-Feminismus« mit ein paar guten Fakten, Vorbildern für junge Mädchen und polemischen Parolen. Letztlich ist es aber nichts weiter als die Bauchnabelschau elitärer Jungakademikerinnen, die darauf hinweisen, dass ihnen ihr Chef auf den Arsch geschaut hat. Vor allem die Alphamädchen tragen den Feminismus wie eine neue, schicke, pinkfarbene Handtasche und erklären ihn zum umfassenden Life-Style. Ihr Heilsversprechen ist, dass die neue Feministin alles haben kann – wie Angelina Jolie oder Heidi Klum: Kinder, geiler Sex, Ehepartner, Karriere, Geld, Schönsein, Hobbies. Ist das feministische Selbstermächtigung oder der erste Schritt in die Depression, wenn man merkt, dass das in dieser Gesellschaft gar nicht lebbar ist? Die Einverleibung des Feminismus durch den Mainstream ist einerseits gut. Damit erhält die Frage nach der Gleichheit der Geschlechter endlich wieder mehr Aufmerksamkeit. Aber gleichzeitig droht ihr dadurch die Banalisierung.

kreuzer online: Wenn, wie ihr formuliert, der Feminismus in Wellen kam, für welche Welle wäre es nun an der Zeit?

Fräulein Wunder AG: Wir finden, die Zeit der Wellen, die kommen und gehen, ist vorbei. Es braucht feministische Nachhaltigkeit.

kreuzer online: Ist es noch adäquat, in den Bahnen des klassischen Feminismus – ich sage mal Emma-Linie – zu debattieren? Ist es angemessen, von Kollektivsubjekten wie »Frauen« und »Männer« auszugehen?

Fräulein Wunder AG: Das ist eine Frage nach der Differenz von Realpolitik und Diskurs. Aus theoretischer Sicht haben wir die Grenzen der Geschlechter seit Judith Butlers Theorieschlager »Gender Trouble« längst überschritten. Queere Utopien über vielfältige und nicht-eindeutige Geschlechtsidentitäten sind entworfen. Aber der Weg in die Praxis ist noch weit, denn der Gender-Diskurs wird vor allem von einer akademischen Elite verhandelt. Wer wird wie aufgrund seines Geschlechtes diskriminiert? Diese realpolitische (Emma-)Frage müssen wir weiterhin für die Umsetzung von Geschlechterdemokratie stellen. In anderen Ländern muss noch darum gekämpft werden, dass sie überhaupt gedacht und ausgesprochen werden darf.

kreuzer online: Von differenzfeministischer Seite hört man oft, dass Frauen die besseren EntscheiderInnen wären, und etwa die so genannte Finanzkrise mit Managerinnen nicht passiert wäre. Was antwortet ihr?

Fräulein Wunder AG: Gib uns eine Firma und wir probieren es aus.

kreuzer online: Eure Inszenierung »Power of Pussy« soll sich als »nostalgischer Blick« auf die 1960er und 1970er, als Re-Enactment bzw. Re-Lecture des SCUM-Manifestos und »Das andere Geschlecht«, Cindy Shermans »Film Stills«, und Interviews der jungen Alice Schwarzer gestalten. Was kann diese »Wieder-Holung« auslösen?

Fräulein Wunder AG: Wir wollen im Sinne Virgina Woolfs »einen Nachtrag zur Geschichte der Frauen leisten«. Denn »Geschichtswerke handeln zu viel von Kriegen; Biographien zu viel von großen Männern«. Auch Geschichte ist vor allem aus männlicher Sicht geschrieben worden, in denen weibliche historische Persönlichkeiten und Taten häufig nicht erwähnt wurden. Das Erzählen historischer Ereignisse ist immer subjektiv. Wir wollen die Chance ergreifen, durch Theater neue Perspektiven auf die Geschichte des Feminismus zu werfen. Durch den künstlerischen Rahmen können wir anders als HistorikerInnen, Ereignisse, Zitate und Themen zusammenbringen, die historisch und inhaltlich vielleicht erstmal gar nicht zu denken sind oder bisher gar nicht stattgefunden haben. Geschichte muss also nicht trocken sein, sondern sie eröffnet uns und hoffentlich auch dem Publikum Denk- und Handlungsspielräume für die eigene Zeit und Identität, re-aktiviert aber auch vergessene utopische Potenziale. Indem wir also die Geschichte von Frauen und Männern »wieder-erzählen«, performen wir gegen das Vergessen feministischer Ideen und Ereignisse für die Veränderung der Zukunft der Geschlechter. Durch Re-Enactments und Re-Lecture schlagen wir Brücken zwischen damals und heute: Jede Wiederholung ist zugleich ein Akt der Erneuerung mit subversiven Potential.

kreuzer online: Wenn Geschlecht – mit Butler – eine performative Inszenierung ist, welche Potenziale seht ihr darin? Stichworte: Dekonstruktion der Geschlechteridentität, Ironie und Parodie.

Fräulein Wunder AG: All die Potenziale hast du ja schon genannt: Dekonstruktion der Geschlechtsidentität durch Ironie und Parodie. Wichtig für unsere Arbeit ist das Aufdecken und Zeigen der Konstruktionsprozesse von Geschlecht (also auch der Herstellungsprozesse von Theater). Butlers Konzept der Performativität von Geschlecht legt den Blick darauf, dass Geschlechtsidentitäten historisch wandelbar sind und keine biologischen Determinationen. Somit hat jedes Subjekt, wenn auch in begrenzten Rahmen, die Möglichkeit, durch performative Akte die Zuschreibung von männlichen/weiblichen Geschlechtsidentitäten zu erweitern bzw. aufzulösen. Dabei haben performative Inszenierungen im Alltag, gerade auch mittels Parodie und Ironie, immer größere Konsequenzen und Veränderungspotentiale, als eine Theateraufführung, die im geschützten Raum Bühne stattfindet. Dekonstruktive Strategien sind mittlerweile schon im Stadttheater angekommen – das macht es schwierig, damit noch auf der Bühne subversiv zu agieren.

kreuzer online: Der Titel »P.o.P« ist ja zugleich eine Anspielung auf das Phänomen der raschen Popularisierung und damit verbundenen Kommerzialisierung (einschließlich Entpolitisierung) von Subkultur. Ist queer hip?

Fräulein Wunder AG: Das Potential von Popkultur wird unserer Meinung nach unterbewertet. Mittlerweile schaffen popkulturelle Räume es, bestimmte Themen tatsächlich zu verbreiten und teilweise zu demokratisieren. Die politische Reichweite von queer hingegen wird überbewertet. Da müsste man erst einmal klären, was darunter überhaupt zu verstehen ist. Das ist innerhalb der Kulturszene und in der Linken zum Modewort avanciert, ohne dass alle die politischen Inhalte dieser Bewegung teilen.

kreuzer online: Wie immunisiert ihr euch selbst – falls ihr das tut – gegen eine oberflächliche Abfeierung, die ihr Sujet letztlich nicht ernst nimmt? Wie nicht in den Sog des Pop geraten? Welche künstlerischen Praktiken sind widerständig und lassen sich einsetzen, um Reibung und Subversion zu erzeugen?

Fräulein Wunder AG: Mit dem Feuer »P.o.P.« zu spielen, ist immer eine Gefahr und ein Dilemma. Deine Frage trifft somit einen Kernpunkt unserer Diskussionen während des Probenprozesses: Wie können wir einen Diskurs, der uns wichtig ist und den wir ernst nehmen, in seiner Tiefe und Komplexität verhandeln und trotzdem zugänglich und unterhaltsam ans Publikum zu bringen, ohne dass es ein elitärer Hirnfick ist, für den man zehn Semester Geschlechterforschung studiert haben muss? Es ist absehbar: Das ein oder andere Mal in der Aufführung werden wir nicht anders können, als dem »P.o.P.«-Sog zu verfallen.

kreuzer online: Was ist »intelligente Popkultur«? Die schreibt ihr euch ja auf die Fahnen.

Fräulein Wunder AG: Den Spagat zwischen Popkultur und Diskurs zu meistern.

kreuzer online: Ihr scheint einen starken Drang zu haben, Theorie und Praxis miteinander zu verbinden. Das hebt euch von vielen KünstlerInnen ab, die modisch mit Diskursvokabular um sich werfen, ohne zu wissen, was dies meint. Wie findet ihr zu euren Inszenierungen? Wer »ver-sucht«, muss mindestens schon eine Ahnung haben, was er finden will. Worin seht ihr euer Ziel?

Fräulein Wunder AG: Wir können nicht anders, die forschende Theaterpraxis steckt uns nach unseren Hildesheimer Jahren in Fleisch und Blut. Das Experiment ist für uns wichtig auf allen Ebenen: Wie können wir kollektiv ohne deutliche Hierarchien (beispielsweise Regie-DarstellerInnen) arbeiten? Welche Bildhaftigkeit und welches performative Potenzial hat der jeweilige Diskurs? In welchem Format und mit welchen Darstellungsweisen wollen wir diesen thematisieren? Ist die Theaterbühne der richtige Ort dafür? Mit welchen Institutionen/Gruppen/ExpertInnen können wir kooperieren? Grundlage unseres Arbeitens ist dabei immer eine aufwendige Recherche: Diese kann wie bei unserem letzten Stück »Satisfaction« eine Erprobung von kulturellen Rauschpraktiken sein, die uns Rauschguides erläutert und erfahrbar gemacht haben, also Recherche als Form der Selbsterfahrung. Dieses Mal war die Recherche vor allem eine theoretische: Wir wälzten Bücher, Archive und das Internet. Häufig beginnen wir mit einem Themenspektrum, in dem wir die kulturwissenschaftliche Fragestellung und Erkenntnisse erst durch den Prozess des Theatermachens finden.

kreuzer online: Rund um »P.o.P.« wollt ihr auch Workshops anbieten. Was wird dort stattfinden? Und wie soll sich die Begleitpublikation gestalten – als Dokument der Performance, als Theoriewerk? Ort für beides, anderes?

Fräulein Wunder AG: Beides mussten wir leider trotz vieler Ideen streichen. Feminismus und die Wechselwirkungen von Kulturproduktion, Vermittlung und Reflexion scheinen die Kulturstiftungen im Land größtenteils nicht zu interessieren. Die Fördergelder reichen nur für den Einsatz unseres eigenen Körpers auf der Bühne.


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