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Kultur

Label 2.0

Nach der Netlabel-Euphorie: Die Leipziger Labels Break The Surface und Instabil setzen komplett auf kostenpflichtige Downloads

  Label 2.0 | Nach der Netlabel-Euphorie: Die Leipziger Labels Break The Surface und Instabil setzen komplett auf kostenpflichtige Downloads

Es war euphorisch, es war sogar ein wenig Punk. Damals, vor etwa fünf Jahren: Die Musikindustrie jammerte über sinkende Umsätze und plötzlich gab es Netlabels, die Musik über das Internet verschenkten – hochwertige Tracks von mehr oder weniger bekannten Künstlern ließen sich als MP3s kostenlos von den Label-Websites ziehen

Es war euphorisch, es war sogar ein wenig Punk. Damals, vor etwa fünf Jahren: Die Musikindustrie jammerte über sinkende Umsätze und plötzlich gab es Netlabels, die Musik über das Internet verschenkten – hochwertige Tracks von mehr oder weniger bekannten Künstlern ließen sich als MP3s kostenlos von den Label-Websites ziehen.

Leipzig war gut dabei: Jahtari, 1Bit Wonder und Instabil zählten nicht nur lokal zu den Vorreitern im digitalen, freien Musikveröffentlichen. Auch international erreichten sie einen beachtlichen Status. Im kreuzer vom Mai 2006 schwärmte Steffen Bennemann, der 1Bit Wonder-Betreiber, noch von den Möglichkeiten eines Netlabels, fernab der Risiken eines klassischen Labels. Doch schon damals war klar, dass kein Geld damit zu verdienen ist. Trotz konstant hoher Download-Zahlen und trotz eines ausgezeichneten Rufs. »Wir hatten alles erreicht, was es mit einem Netlabel zu erreichen gab«, resümiert Bennemann heute. Um das Label auf ein höheres Level mit physischen Tonträgern zu hieven, fehlte dann die Zeit.

Die Euphorie scheint vorbei. Wie 1Bit Wonder haben auch weitere große Netlabels dichtgemacht. Die Netlabel-Szene blieb unter sich, von Medien oder Booking-Agenturen meist ignoriert. Dass das Thema Netlabel aber nicht ad acta ist, zeigt die Plagwitzer Essential Existence Gallery, die neben Workshops und Foren zur Lizenzierung von frei verfügbarer Kunst auch Leipzigs erste Netlabel-Nacht organisiert.

Verändert hat sich jedoch einiges: Jahtari verschenkt zwar noch immer EPs im Internet, veröffentlicht seit zwei Jahren aber auch CDs und Platten. Zudem ist Label-Betreiber Jan Gleichmar alias Disrupt mittlerweile ein überaus gefragter Dub-Live-Act – sicherlich ein Ergebnis des Jahtari-Erfolges im Netz. Instabil verschenkt nichts mehr. Nach einer zweijährigen Pause relaunchte das einstige Dub-Techno-Netlabel von Daniel Stefanik und Matthias Kretzschmar als Digital-Label: Alle Veröffentlichungen werden seitdem über diverse MP3-Shops vertrieben, zu rund einem Euro pro Track. Die Netlabel-Szene reagierte prompt und warf Instabil Kommerzialisierung vor. Zynisch, wenn man bedenkt, dass das Label in einer musikalischen Nische agiert, in der selbst Vinyl-Labels höchstens 1.000er-Auflagen pressen lassen.

Matthias Kretzschmar relativiert ebenfalls: »Wir fahren seit der Instabil-Neuausrichtung keine S-Klasse und wohnen nicht in Villen.« Für ihn geht es mit bezahlten Downloads um mehr: »Ich finde, dass das Bemühen des Künstlers und auch die Labelarbeit gewürdigt werden müssen.« Hinzu kommt für ihn, dass mit der Fülle an neuen Netlabels die Qualität auf der Strecke geblieben ist. »Insofern ist der kostenpflichtige Download auch eine Art Filter«, meint Kretzschmar. Die Download-Zahlen sind nach dem Relaunch erwartungsgemäß gefallen, aber erstmals kann Instabil die Unkosten selbst tragen und seinen Künstlern etwas auszahlen. Physische Tonträger werden jedoch weiterhin ihre Käufer finden. Das sieht auch Kretzschmar so, der neben Instabil das Vinyl-Label Statik Entertainment betreibt. Während sich deren Platten jedoch auf einem konstanten Niveau verkaufen, steigen die digitalen Verkäufe.

Gänzlich auf den digitalen Vertrieb setzt auch das junge Techno-/House-Label Break The Surface, betrieben von Nick Totfalusi. Als DJ stand er vor drei Jahren vor dem Zwiespalt: MP3 oder Vinyl? Viele bekannte DJs nutzten bereits DJ-Software, und er bemerkte, dass zahlreiche Vinyl-Labels nur noch sichere Club-Hits veröffentlichen, um das Risiko gering zu halten. Die spannenden Tracks aus den Sets der Star-DJs waren irgendwann nicht mehr im Plattenladen, sondern nur noch auf Festplatten zu finden. »Mir wurde klar, dass ein MP3-Label am ehesten den Freiraum bietet, um die Musik zu veröffentlichen, die man möchte«, so Totfalusi. Wer nicht das Geld für eine Vinylpressung hat, für den sei ein Digital-Label die beste Alternative, ist er überzeugt. 200 bis 300 Mal verkaufen sie die EPs momentan – im Vergleich zu den kleinen Auflagen vieler Vinyl-Labels keine schlechten Zahlen.

Was machen allerdings Vinyl-Fans, wenn sie Break The Surface und Instabil mögen? Sie gehen leer aus. Überhaupt: Wie soll man auf Digital-Labels aufmerksam werden, wenn das Medieninteresse an digital veröffentlichter Musik weiterhin gering ist? In den prall gefüllten Katalogen der MP3-Shops gehen sie schnell unter. Hier stehen klassische Labels besser da, weil sie beide Formate bieten und von Musikmagazinen wahrgenommen werden. Alexander Neuschulz sieht es ähnlich. Vor einem Jahr gründete er erfolgreich mit zwei Freunden Kann Records. Ein Digital-Label stand nie zur Debatte. »Es ist schon komisch: Ein Track ist für mich erst real, wenn ich ihn auf Vinyl in der Hand halte.« Die Kann-Platten erscheinen parallel zum Vinyl aber auch digital. Eine sinnvolle Ergänzung, digitale Versionen sind nie ausverkauft, zumal sich auch die Hörgewohnheiten mit MP3-Playern zunehmend digitalisieren und nun auch Nicht-DJs an die Musik kommen, die bisher nur auf Vinyl-Maxis erschien. Auch ist es jetzt möglich, sich nur die Stücke zu kaufen, die man wirklich mag, auch wenn die Dramaturgie von Alben damit hinfällig wird.

Sind die Digital-Labels ihrer Zeit also voraus oder sind es maue Kompromisse? Während Netlabels als »Talentscouts« eine Zukunft haben dürften, wie Steffen Bennemann betont, werden es Digital-Labels mittelfristig wohl noch schwer haben, auf ein ähnliches Level wie herkömmliche Labels zu gelangen. Ganz egal wie gut die Musik ist.


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