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Kultur

»Was liegt hinter dem Lächeln?«

Kurt Mondaugen über das Foto-Literatur-Projekt »Bildstörung«

  »Was liegt hinter dem Lächeln?« | Kurt Mondaugen über das Foto-Literatur-Projekt »Bildstörung«

Wir kennen sie alle, die typischen Urlaubs- oder Familienfotos: lächelnde Menschen vor klischeebeladenen Hintergründen. Solche und ähnliche Diapositive sammelt die Berliner Künstlerin Susanne Wehr in ihrem Volksbildarchiv, und darauf ist der Leipziger Autor Kurt Mondaugen – selbst ein Diapositiv-Liebhaber – aufmerksam geworden. In seinem Internet-Projekt »Bildstörung« denkt er sich seit Oktober zu den Fotografien aus Wehrs Sammlung jede Woche aufs Neue Geschichten aus.

Wir kennen sie alle, die typischen Urlaubs- oder Familienfotos: lächelnde Menschen vor klischeebeladenen Hintergründen. Solche und ähnliche Diapositive sammelt die Berliner Künstlerin Susanne Wehr in ihrem Volksbildarchiv, und darauf ist der Leipziger Autor Kurt Mondaugen – selbst ein Diapositiv-Liebhaber – aufmerksam geworden. In seinem Internet-Projekt »Bildstörung« denkt er sich seit Oktober zu den Fotografien aus Wehrs Sammlung jede Woche aufs Neue Geschichten aus.

Am 29. Januar werden die Fotografien in einer Live-Performance präsentiert. Der kreuzer hat mit Mondaugen über das unvermeidliche Lächeln auf Urlaubsbildern und den fotografischen Dokumentationswahn gesprochen.

kreuzer: Warum lachen auf Urlaubsfotos eigentlich immer alle Leute wie auf Befehl?

KURT MONDAUGEN: Genau das möchte ich herausbekommen, indem ich diese Texte verfasse. Meistens schreibe ich innere Dialoge, um die Bildfiguren zum Reden zu bringen, um zu verstehen, was hinter ihrem Lächeln liegt. Je mehr ich mich in dieses Lächeln hineinschreibe und selber hineinspreche, umso mehr habe ich das Gefühl, die Menschen auf den Bildern wollten einfach ihre Erinnerungen beeinflussen: Sie möchten sich später vergewissern können, dass sie damals glücklich waren.

kreuzer: Was interessiert Sie als Autor an diesen Bildern?

MONDAUGEN: Dieses Gestellte! Die Personen auf den Bildern versuchen immer etwas darzustellen, was sie einerseits sind, andererseits aber auch nicht – glücklich zum Beispiel. Sie posieren wie Schauspieler in einer Lifestyle-Werbung oder im Film. Sie verbergen sich dabei, und doch zeigen sie sich gerade in diesem Verbergen.

kreuzer: Welche Motive finden Sie besonders inspirierend?

MONDAUGEN: Mich interessieren die irritierenden Momente zwischen den Menschen, Ratlosigkeiten, Dramatisierungen, Unausgesprochenes oder Unabgeschlossenes. Kurz: Bilder, die wie Romananfänge aussehen.

kreuzer: »Totsein in Bildern« ist ein Text überschrieben – ist dies eine Art Überschrift für das ganze Projekt?

MONDAUGEN: Nein, es geht nicht nur um das Totsein, sondern gleichzeitig auch um das Überleben in diesen Bildern. Fotografien sind ewigkeitstauglich. Seit dem Beginn der Fotografie werden die gleichen Bilder gemacht, trotzdem ist jedes irgendwie einzigartig. Baudrillard stellt irgendwo die rhetorische Frage: »Gilt es dieses Nichts im Herzen des Bildes zu retten?« Ja, antworte ich, und das Volksbildarchiv von Susanne Wehr steht exemplarisch für diese Antwort.

kreuzer: Woher stammt dieser Dokumentationswahn, warum wird heutzutage alles fotografiert?

MONDAUGEN: Menschen stellen sich immer die Frage, wer sie sind. Beantworten kann man sich diese Frage mit Worten oder eben mit Fotos. Man fotografiert sich so, wie man sich selbst vorstellen möchte. Martin Seel hat mal formuliert: »Fotografien sind wie Namen.« Das bringt es vielleicht auf den Punkt.

kreuzer: Was genau erwartet den Zuschauer bei einer »Diaprojektiven Leseshow und fotografischen Nachbelichtung der Welt«?

MONDAUGEN: Ein Erinnerungs-Showdown! Live-Projektionen, echte Diapositive des Volksbildarchivs und einige Bilder aus meinem psychedelischen Privatarchiv! Oder, anders gesagt: Ich werde uns – ganz in die Materialität des Lichtkegels und in neblige Schlagerfetzen getaucht – in die Vergangenheit zurücksprechen und mithilfe diverser Hypnoseinstrumente die unvermeidliche Transformation des kollektiven Gedächtnisses wagen. Das klingt jetzt vielleicht etwas pathetisch, aber so wird es sein.


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