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Politik

»Die Meinungsunterschiede fangen da an, wo die Uni selbst nicht viel ändern kann«

Prorektor Prof. Fach im Interview zur Bologna-Reform und der Rektoratsbesetzung

  »Die Meinungsunterschiede fangen da an, wo die Uni selbst nicht viel ändern kann« | Prorektor Prof. Fach im Interview zur Bologna-Reform und der Rektoratsbesetzung

In ihrem Artikel »Von der Zeitverfluggeschwindigkeit« im aktuellen kreuzer beschäftigt sich unsere Autorin Josepha Maschke mit der Frage, was die Bologna-Reform tatsächlich in den Köpfen verändert hat. Durch die Rektoratsbesetzung haben sich die Rektoren zumindest konkret mit den Forderungen der Protestler beschäftigt. Lesen Sie hierzu das vollständige Interview mit Prof. Fach, Prorektor der Uni Leipzig.

In ihrem Artikel »Von der Zeitverfluggeschwindigkeit« im aktuellen kreuzer beschäftigt sich unsere Autorin Josepha Maschke mit der Frage, was die Bologna-Reform tatsächlich in den Köpfen verändert hat. Durch die Rektoratsbesetzung haben sich die Rektoren zumindest konkret mit den Forderungen der Protestler beschäftigt. Lesen Sie hierzu das vollständige Interview mit Prof. Fach, Prorektor der Uni Leipzig.

kreuzer: Was sagen Sie zu der Kritik, dass man mit dem Bachelor nicht mehr zeitlich flexibel ist?

PROF. FACH: Die ist nicht ganz falsch. Wenn ich z.B. darauf angewiesen bin, nebenher zu arbeiten, ist der Zeitplan zu eng. Wobei das eigentliche Problem natürlich nicht das Studium ist, sondern die soziale Lage vieler Studierender. Und: Ein Korsett hat auch etwas Positives. Der Zeitplan früher war in der Tat sehr entspannt, so entspannt, dass manche ihre Orientierung verloren und das Studium irgendwann einfach abgebrochen haben. Daher halte ich es für richtig, dass man nach Wegen sucht, das BA-Studium zeitlich etwas aufzulockern – aber bitte keine Rückkehr zu den alten Zuständen.

kreuzer: Können Sie in dem Zusammenhang den Protest nachvollziehen?

FACH: Ja – und auch in anderen Zusammenhängen. Was ich allerdings nicht ganz verstehe, ist die Forderung nach einem »selbstbestimmten« Studium. Dass Menschen sich selbst finden und bestimmen wollen, ist ja in Ordnung. Doch als Zielvereinbarung für ein Studium taugt das doch nicht. Selbstbestimmung ist nach meinem Verständnis das Ergebnis, nicht der Sinn des Studierens. Das haben die allermeisten ja auch begriffen. Sie wollen gut ausgebildet werden und mit dieser Ausbildung im Beruf Erfolg haben, daher interessiert sie der laufende Protest praktisch nicht. Auch diese Einstellung hat natürlich ihre Probleme, unter anderem auch das, dass sie nicht funktioniert: Berufserfolg ist nicht zuletzt eine Frage der intellektuellen Selbständigkeit und Flexibilität, von Qualitäten also, die man meist bei Protestierenden eher antrifft als bei den so genannten »Arbeitswilligen«. Man muss sich ja nur die Karrieren angucken.

kreuzer: Aber es bleibt doch gar keine Zeit, sich längerfristig politisch zu engagieren.

FACH: Wenn Sie das hochschulpolitische Engagement meinen, dann trifft die Frage einen wunden Punkt. Aus meiner Sicht ist es einigermaßen fatal, wie man derzeit Hochschulen in Unter¬nehmen verwandelt und aus Studierenden Kunden macht. Das geschieht alles im Namen von Effizienz und Effektivität. Diese Kriterien sind schon wichtig, doch selbst hier habe ich meine Zweifel. Dass eine kundenorientierte Uni effizienter und effektiver ist als eine selbstverwaltete, scheint mir keineswegs ausgemacht. Mich beschleicht sogar ziemlich häufig das Gefühl, dass Unternehmen eher von Hochschulen lernen können als umgekehrt. Nicht schön reden will ich damit, dass eine Selbstverwaltung im Windschatten des öffentlichen Dienstes da und dort auch verlottert. Da helfen einige der neuen Instrumente, um Leistung zu steigern, sicher weiter. Zur Debatte steht aber ihr flächendeckender Einsatz, und davon halte ich nicht viel.

kreuzer: Wie haben sie die Rektoratsbesetzung wahrgenommen? Hatten sie das Gefühl, dass es da Kooperationsbereitschaft gab?

FACH: Die erste Unsicherheit bestand darin, dass wir nicht wussten, wer eigentlich besetzt hat. Nachdem wir über den Stura-Vertreter mitbekommen haben, dass es unsere eigenen Studierenden sein würden, dachte ich, dass Kooperation möglich sein würde. Mit diesen Studierenden haben wir ja schon eine gewisse Erfahrung, sie handeln nach herrschendem Verständnis ein bisschen seltsam, doch aufs Ganze gesehen scheinen sie mir ziemlich clever zu sein. Sprich: Sie haben dafür, dass es gerade mal zwei oder drei Dutzend sind, einiges erreicht. Anders gesagt: Sie behandeln den Krawall nicht als Ziel, sondern sehen darin ein Mittel, um da und dort etwas zu verändern. Und selbst das, was aus meiner Warte ein bisschen absurd ist, kann durchaus einen Sinn ergeben: Dass sie mit niemanden reden, sondern alles schriftlich haben wollen, schützt natürlich davor, von der rhetorischen Routine ausgebuffter Hochschulfunktionäre vereinnahmt zu werden. Dass sie die und uns dabei überschätzen, steht auf einem anderen Blatt.

kreuzer: Konnten Sie zu der Rektoratsbesetzung gar nicht mehr hier arbeiten?

FACH: Nein, das war vorbei. Wir mussten uns ein Ausweichquartier suchen, um zu beraten, wie wir mit den Forderungen umgehen. Ich war zum ersten Mal in einem Raum mit Polizisten, weil es um die Frage der Räumung ging. Aber sie stand eigentlich nie zur Debatte. Es war natürlich eine schiefe Situation, weil allen bewusst war, dass da oben im Rektorat ein Häuflein von Studierenden sitzt, die da nicht hingehören und kaum etwas anderes als sich selbst repräsentieren, also nach gängigen Kriterien auch keine Legitimation besitzen, etwas verlangen zu können. Dass sie im Namen der Selbstbestimmung aufgetreten sind, hat die Sache besser gemacht. Andererseits: Sie hatten uns, wie es so schön heißt, am Wickel und saßen an einem ziemlich langen Hebel, weil ein paar Tage später der Bundespräsident zur Abschlussfeier des Uni-Jubiläums erwartet wurde. Räumen oder Nicht-Räumen – das war da eigentlich gar keine Frage, weil uns beides in Probleme gestürzt hätte. Also hätten wir selbst dann verhandeln müssen, wenn uns die Protest-Forderungen nicht eingeleuchtet hätten.

kreuzer: Wann kam der Punkt, an dem man die Forderungen ernst genommen hat?

FACH: Über den Teil der Forderungen, der Missstände betraf, die wir selbst verantworten und die wir selbst beseitigen können, gab es eigentlich immer eine Art stillschweigenden Konsens. Diese Punkte waren ernst zu nehmen und sind auch seit je ernst genommen worden. Die Meinungsunterschiede fangen da an, wo die Uni selbst nicht viel ändern kann; und dort, wo Abhilfe zwar möglich ist, doch mehr Zeit in Anspruch nimmt, als den Protestierenden und uns lieb ist. Von unserem guten Willen hängt leider nicht sehr viel ab. Das gilt im Übrigen auch für die Frage, ob wir etwas ernst nehmen. Die Studierenden haben gegenwärtig wenig Schwierigkeiten, in den Ministerien Resonanz zu finden. Man ist fast geneigt zu sagen: Aus jeder Leipziger Forderung wird eine Dresdener Anfrage, die wir beantworten müssen; und aus jedem Leipziger Problem wird eine Dresdener Ermahnung, möglichst schnell Abhilfe zu schaffen. Relativ schnell bekommen wir das auch öfters hin.

kreuzer: Was meinen Sie mit »relativ schnell«?

FACH: Im Rahmen dessen, was geht. Zum Beispiel die Forderung »Wir wollen wieder Zweitfächer haben«. Ich halte das für verkehrt, aber selbst wenn mir nichts mehr am Herzen liegen würde als dieser Punkt, könnte ich das Verfahren der Einführung nicht nach Lust und Laune beschleunigen. Diejenigen, die hier nach schnellen Lösungen rufen, vergessen, dass es Verfahren und Vorschriften gibt, die nicht ungestraft vernachlässigt werden. Natürlich könnten wir mal auf die Schnelle Zweitfächer einführen, aber für die gäbe es dann keine Zeugnisse. Die werden nun mal nur ausgestellt, wenn alles seinen richtigen – und zeitaufwendigen – Gang gegangen ist.

kreuzer: Es gibt auch Forderungen, die schneller umsetzbar wären, wenn man zum Bespiel an die Multiple Choice-Klausuren oder Anwesenheitslisten denkt.

FACH: Es ist für das Rektorat nicht einfach, hier dazwischen zu funken. Für Lehre und Prüfung sind in erster Linie Fakultäten und Institute sowie die Lehrenden selbst verantwortlich. Da kann man nicht einfach dekretieren, dass bestimmte Praktiken, die hochschulpolitisch umstritten sind, von heute auf morgen abgeschafft werden. Da tut Überzeugungsarbeit Not, und die dauert bekanntlich, vor allem bei Professoren. Außerdem: Nicht überall, wo Unsinn drauf steht (sozusagen), ist auch Unsinn drin. Multiple-Choice-Klausuren, davon habe ich mich auch erst überzeugen lassen müssen, können eine durchaus intelligente Form der Prüfung sein. Man muss halt berücksichtigen, dass es nicht darum geht, so etwas wie den Führerschein zu machen.

kreuzer: Wie Sie vorhin die Entwicklung der Universität beschrieben haben, klingt nach dem inflationär gebrauchten Begriff der Ökonomisierung. Hängt die mit der Bologna-Reform zusammen?

FACH: Nein. Bologna hat mit Ökonomisierung nichts zu tun. Wir machen die Leute – hoffentlich – fit für einen Arbeitsmarkt, der offen und unbekannt ist. Dafür muss die Ausbildung eher verwissenschaftlicht als ökonomisiert werden. Man fordert ihnen Qualitäten ab, die im Kern dieselben sind wie jene, die Studierende befähigen, wissenschaftlich zu arbeiten. In beiden Bereichen geht es um intelligente Problemlösungen. Der sture Konsum von intellektuellen Fertigprodukten hilft nirgends weiter, auch nicht in Unternehmen. Allerdings haben wir genau so unsere Studierenden vor Bologna durchs so genannte »Grundstudium« geschleust. Es ist höchste Zeit geworden, dass damit Schluss gemacht wird. Leider setzt sich diese Einsicht nur langsam, wenn überhaupt durch. Wenn es eine Differenz zwischen Wissenschaft und Wirtschaft gibt, dann muss dem durch Praktika Rechnung getragen werden, nicht durch Eingriffe ins Studium.

kreuzer: Was sagen Sie zu dem Problem, dass zu viele BA-Studierende einen Master machen wollen?

FACH: Im Prinzip gibt es zwei Meinungen. Die einen sagen: Alle sollen den Master machen dürfen, weil der Bachelor nichts taugt. Die anderen sagen: Der Bachelor muss so gut sein, dass die meisten den Master gar nicht machen wollen. Dem stimme ich zu, die Alternative ist eine Bankrotterklärung. Wobei man allerdings eine dritte Option nicht aus dem Auge verlieren darf: ein MA-Studium nach einigen Jahren im Beruf, also das amerikanische Modell.

kreuzer: Ist die Belastung größer geworden mit dem Bachelor?

FACH: Das ist ja schon angeklungen: Sie ist größer geworden, und das ist in mancher Hinsicht ein Glück. Schließlich soll und will man ja etwas lernen. Den größten Ärger macht freilich der Prüfungsstress. Ich halte nichts davon, ihn einfach abzuschaffen. Prüfungen sind stressig, sonst sind sie keine. Aber man muss sie in Veranstaltung und übers Studium hinweg so dosieren, dass aufs Ganze gesehen ein fairer Tausch garantiert ist: Gute Leistung gegen gute Note. Wer im ersten Semester noch gar nicht verstehen kann, was ihm da eigentlich abgefordert wird, weil er die Leistungskriterien nur auf dem Papier gesehen und noch nie handgreiflich erfahren hat, dem sollte man keine Quittung für »schlechte Leistungen« ausstellen. Übung macht den Meister, die Prüfung kommt später.

kreuzer: Finden Sie, dass durch die Bologna-Reform etwas verloren gegangen ist bzw. nicht berücksichtigt wurde?

FACH: Die Bolognareform, wie sie angedacht war, ist gut. Und ihre Spielräume hätte man nutzen können, um sie noch besser zu machen. Die Spielräume sind aber nicht oder andersherum genutzt worden. Verglichen mit dem, wo wir heute stehen könnten, ist viel verloren gegangen. Verglichen mit den »goldenen Zeiten« vorher eher nicht. Die waren ja gar nicht so golden, wie man uns heute glauben machen will. Humboldt hat schon früher nicht mehr hier gelebt.


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