anzeige
anzeige
Archiv

Radio ist nicht gleich Radio und auch der kreuzer ist kein Standard

Zu Leserbriefen von Felix Hügel und der Redaktion von Mephisto 97.6

  Radio ist nicht gleich Radio und auch der kreuzer ist kein Standard | Zu Leserbriefen von Felix Hügel und der Redaktion von Mephisto 97.6

An dieser Stelle beantworten kreuzer-Redakteure ausgewählte Leserbriefe. Dieses Mal reagiert unsere Autorin Julia Gabler auf einen Leserbrief zu dem im Dezemberheft erschienenen Artikel »freies, freieres, befreites Radio«, in dem es um die Gegenwart der Radiosender Mephisto, Radio Blau und detektor.fm geht.

An dieser Stelle beantworten kreuzer-Redakteure ausgewählte Leserbriefe. Dieses Mal reagiert unsere Autorin Julia Gabler auf einen Leserbrief zu dem im Dezemberheft erschienenen Artikel »freies, freieres, befreites Radio«, in dem es um die Gegenwart der Radiosender Mephisto, Radio Blau und detektor.fm geht.


Hier zunächst der ungekürzte Leserbrief der Redaktion von mephisto 97.6

Sehr geehrte Frau Gabler,

mit großer Verwunderung haben wir Ihren Artikel »Freies, freieres, befreites Radio« in der Dezemberausgabe des Kreuzers gelesen. Darin geht es um die drohende Abschaltung des UKW-Betriebs von Radio Blau – und mephisto 97.6 wird indirekt die Rolle des Verantwortlichen dafür zugewiesen.

»Vom Staat gepampert« sei mephisto 97.6 und bekäme das Geld, das Radio Blau nicht bekomme. Eine Milchmädchenrechnung, die in vielerlei Hinsicht nicht stimmt: Erstens leben wir genau wie Radio Blau vom Ehrenamt, zweitens bekommt auch mephisto 97.6 keine Sendelizenz von der Sächsischen Landesmedienanstalt geschenkt. Mit neuen Studios hat uns nicht direkt das Land ausgestattet, sondern die Universität Leipzig – deren Unterstützung sich allerdings nicht auf Buffets zu Eröffnungsfeiern erstreckt. Unter diesen Aspekten ist dieser Einstieg im Absatz zu mephisto 97.6 ungerechtfertigt: »Laut Gesetz werden nur die Ausbildungsradios begünstigt. Etwa das Studentenradio Mephisto 97.6. Mit Sekt und Schinkenlachsbrötchen feiert man dort den Umzug in ein nigelnagelneues Studio unterm Dach der neuen Mensa.« Dieses Buffet hat nicht etwa ein Partyservice geliefert, sondern die Redakteure von mephisto 97.6 haben es selbst hergerichtet und bezahlt.

So wie bei der Eröffnungsfeier stecken die Studenten stets ihr Herzblut in den Sender. mephisto 97.6 ist ein nichtkommerzieller Sender, der als Ausbildungsradio offen für alle Studenten ist. Uns ist die wichtige Rolle von Radio Blau in der Leipziger Medienlandschaft bewusst, gerade deshalb befürwortet mephisto 97.6 den Erhalt von Radio Blau. Deshalb kritisieren wir – auch nicht selten im Programm – eine mögliche Abschaltung des UKW-Betriebs des freien Bürgerradios. Demnach verdreht folgende Passage des Artikels die Tatsachen: »Als jemand nach der Anwesenheit von SLM-Vertretern fragt, kommentieren die Moderatorinnen das Schweigen im Publikum mit der Bemerkung, die seien wohl mit der Abschaltung von Radio Blau beschäftigt. Gelächter.« Nicht irgendjemand, sondern die Moderatorinnen selbst haben nach der Anwesenheit von Vertretern der SLM gefragt, um dann mit der Antwort, diese seien wohl mit der Abschaltung von Radio Blau beschäftigt, satirisch Kritik zu üben. Stattdessen wird in dem Artikel der Eindruck erzeugt, mephisto 97.6 sei nicht nur mitverantwortlich für die drohende Abschaltung von Radio Blau, sondern amüsiere sich auch noch auf deren Kosten.

Für Ihren Artikel haben Sie nur Vertreter von Radio Blau und detektor.fm interviewt – jedoch keinen Mitarbeiter von mephisto 97.6 zu Wort kommen lassen. Diese Einseitigkeit und andere Spitzen, wie ein angeblicher Corporate-Identity-Dresscode, verraten diesen Artikel als tendenziös. Seltsamerweise werden weder die Sächsische Landesmedienanstalt noch andere staatliche Stellen als Verantwortliche kritisiert. Dass gerade mephisto 97.6 der Sündenbock sein soll, ist nicht nachvollziehbar. Wir bedauern sehr, dass zum Thema freie Medien ein solch befangener Artikel erschienen ist.

Mit freundlichen Grüßen, die Redaktion von mephisto 97.6


Es folgt ein weiterer Leserbrief zu dem Artikel, eingesandt von Felix Hügel:

Liebe Kreuzer-Chefredaktion,

eigentlich schätze ich ja euer Medium – meinungsbetont und einordnend, aber doch fair. Euer Artikel über Radio Blau, mephisto 97.6 und detektor.fm ist aber unseriös und unredlich. Meine Meinung zu eurem Artikel habe ich in meinem Blog unter der Überschrift »Kreuzer wirft journalistische Standards über Bord« veröffentlicht.

Hier ist der Link: http://felixhuegel.posterous.com/kreuzer-wirft-journalistische-standards-uber

Mit besten Grüßen und in der Hoffnung auf eine Stellungnahme,

Felix Hügel


Lesen Sie im Folgenden die Antwort der kreuzer-Autorin Julia Gabler auf die Kritik an ihrem Artikel:

»Radio ist nicht gleich Radio und auch der kreuzer ist kein Standard«

Liebe Mephisto-Redaktion,

vielen Dank für den ausführlichen Leserbrief zum Artikel »Freies, freieres, befreites Radio« im kreuzer 12/09. Natürlich wollte ich mit dem Artikel auf die prekäre Situation von Radio Blau und das drohenden Sende-Aus provokativ hinweisen. Dabei schien es mir angemessen, besonders auf die finanzielle Situation, aber auch auf die Anerkennungs- und Aufmerksamkeitslogiken unterschiedlich funktionierender Radios einzugehen. Dass detektor.fm als Privatradio zum selben Zeitpunkt »on Air« ging, war natürlich ein Glück für die Kontrastierung.

Die üppige Mephisto-Studio-Feier mit OB Jung und Ex-OB Tiefensee sowie dem Uni-Kanzler lieferte einen wunderbaren Eindruck davon, wie unterschiedlich die Wertschätzung für lokal funkende Leipzigradios aussieht: Bei Radio Blau tauchte niemand auf.

Natürlich sollte es ebenso Ziel des Artikels sein, darüber zu diskutieren welche Radioformate eine Gesellschaft sich leisten möchte, bzw. was – wie bei detektor.fm – privatwirtschaftlich funktionieren soll. Zugegeben, es scheint einfach, sich für den »armen Underdog« Radio Blau einzusetzen, nur brauchen dessen Macher eben genau diese Medienwirkung, um öffentlich Aufmerksamkeit auf ein mögliches Ende zu richten – andere Mittel gibt es für Radio Blau in dieser Situation nicht. Dass sich dort seit langem um eine Lösung bemüht wurde, ändert nichts an dem Fakt, dass sie es allein nicht geschafft haben.

Dennoch, die kreuzer-Anfrage zu einem Portrait der neuen Chefredaktion ist sicherlich nicht optimal gelaufen – denn ich habe den Artikel von Anfang an eher als ein Einblick in die verschieden Lokalradios in Leipzig gesehen (mit der Einschränkung, dass detektor.fm keines ist – aber eben als Privatsender auch die Sendungsformate selbst definieren kann). Recht habt ihr mit der Feststellung, dass die SLM nicht deutlich als »Übeltäter« entlarvt wurde. Das hätte ich anders machen können. Es stimmt auch, dass die strukturellen Unterschiede teilweise sehr bissig aufgeführt wurden. Nun gut.

Von Eurer Eröffnungsfeier habe ich einen Mitschnitt, mit dem ich belegen kann, dass ich die angeführten Situationen keineswegs »unwahr« dargestellt habe. Mit dem Vorwurf also, ich oder die kreuzer-Redaktion hätten journalistische Standards über Bord geworfen, kann ich nichts anfangen.

Außerdem zeigt die Diskussion auf deinem Blog eindrücklich, dass es sich vielleicht auch um eine Frage des Geschmacks handelt, wie man die Positionierung von Mephisto an der Uni Leipzig bewerten möchte. Entweder: »frisch und jung, innovativ, engagiert, motiviert, zielstrebig, anstrengend, ungeduldig« (Jung) oder »Employability« ermöglichend, also Studierende auf den Arbeitsmarkt vorbereitend (Häuser) und darin, für meinen Geschmack, etwas zu »glatt« rüber kommend. Das war leider mein Eindruck auf der perfekt inszenierten Feier das Studentenradios (!!). Dass Radio Blau weder mit der Begründung existiert, Leute für den Arbeitsmarkt fit zu machen, noch innovatives Radio für die oder die Hörergruppen zu sein, macht es angreifbar und führt unweigerlich zu der Frage, ob es reicht, Radio um seiner selbst willen zu machen? Die Blau’ler nehmen viel Arbeit, Organisationsaufwendungen und Zeit auf sich und ja – sie müssen in der Lage sein (das kann man abgedroschen oder langweilig finden), demokratisch unterschiedliche Interessen auszuhandeln und ihnen Raum zu geben, sonst würde der Laden nicht funktionieren. Aber sie tun das eben ohne Verwertungsdruck für Studium, Arbeitsmarkt oder Lebensunterhalt. Sie tun es der (öffentlichen) Kommunikation wegen. Das wollte ich deutlich hervorheben.

Also: alle moralische Schuld sei von Euch genommen, ihr tragt nur die, die ihr Euch selbst aufbürdet.

Danke für die Anregung einer Diskussion! Mit besten Grüßen, Julia Gabler


Kommentieren


0 Kommentar(e)