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Kultur

Lesben sind nicht immer Hippies

Die Berlinale hat ihre Bären vergeben – großartig ist aber vor allem der Teddy-Gewinner

  Lesben sind nicht immer Hippies | Die Berlinale hat ihre Bären vergeben – großartig ist aber vor allem der Teddy-Gewinner

Im Wettbewerb der Berlinale lief »The Kids Are All Right« leider »außer Konkurrenz«, denn seine Uraufführung feierte er bereits beim Sundance Film Festival. So blieb der hinreißenden Komödie am Ende nur der queere Teddy-Award – obwohl die fast stinknormale Familiengeschichte geradezu beiläufig von lesbischen Müttern erzählt.

Im Wettbewerb der Berlinale lief »The Kids Are All Right« leider »außer Konkurrenz«, denn seine Uraufführung feierte er bereits beim Sundance Film Festival. So blieb der hinreißenden Komödie am Ende nur der queere Teddy-Award – obwohl die fast stinknormale Familiengeschichte geradezu beiläufig von lesbischen Müttern erzählt.

Wahrscheinlich hätte »The Kids Are All Right« ohnehin keine Chance gehabt, unter Jurypräsident Werner Herzog einen Bären zu gewinnen. Viel zu klassisch ist seine Optik, und als Tragikomödie gilt er den ach so ernsten Cineasten ohnehin als zu betulich. Aus ebendiesem Grund nörgelte die taz über den Film: »Allzu dramatisch kann es also nie werden.«

Die richtigen Bären kassierten denn auch ernste, visuell verführerische Filme wie die poetisch-ruhige Erzählung »Bal« (Honig) über einen sechsjährigen Jungen in der anatolischen Provinz, der seinen bienenzüchtenden Vater verliert. Der türkische Regisseur Semih Kaplanoğlu erhielt dafür die höchste Auszeichnung: den Goldenen Bären. Silberne Bären erhielten unter anderem Roman Polanski für die Regie des Politthrillers »Der Ghostwriter« (Rezension erscheint im März-kreuzer), die Schauspieler des russischen Arktis-Dramas »How I Ended This Summer« sowie die Hauptdarstellerin aus »Caterpillar«, die die Frau eines kriegsversehrten Lieutenants spielt. (Alle Preise hier zum Download als PDF).

Eine fast stinknormale Familiengeschichte
Neben so viel Ernsthaftigkeit konnte eine Komödie wie »The Kids Are All Right« natürlich nicht bestehen, war sich zumindest das Boulevardblatt B.Z. sicher: »Ein netter, aber belangloser Film. Dass es sich um zwei Frauen handelt, ist der Regisseurin letztlich egal. Eine vertane Chance.« Aber gerade das macht diesen Film der Drehbuchautorin und Regisseurin Lisa Cholodenko so besonders. Er erzählt eben keine Coming-out-Geschichte oder will in den Kampf gegen Diskriminierung ziehen, sondern beansprucht für seine zwei Lesben das Recht auf ein ultranormales, fast spießiges, sorgenfreies Leben in der amerikanischen Mittelklasse mit zwei braven Kindern und einem hübschen Haus mit akkuratem Vorgarten.

Eines Tages machen der 15-jährige Laser und seine 18-jährige Schwester Joni klammheimlich ihren gemeinsamen unbekannten Vater ausfindig. Nicht mal ihre beiden Mütter Nic und Jules (Annette Bening und Julianne Moore) kennen den Samenspender persönlich – bis dieser eines Tages vor ihrer Tür steht. Der sexy-braungebrannte, heterosexuelle Paul (Mark Ruffalo) ist ein selbstverliebter Junggeselle und Biobauer, der am Spiel mit der Vaterrolle plötzlich Gefallen findet. Trotz aller Bemühungen von Nic und Jules, den Familienstörer loszuwerden, wirbelt Paul das Vierergespann mächtig auf und stellt es auf eine harte Probe.

Mit berührendem Feingespür für die kleinen und großen Freuden, Kränkungen und Peinlichkeiten entwirft Cholodenko eine mit Wortwitz und Situationskomik gespickte Familiengeschichte, mit der sich letztlich jeder identifizieren kann, weil es um Gefühle geht, die frei von sexuellen Schubladen sind. Es geht um Liebe, Treue, Triebe, Partnerschaft, Verbindlichkeit, Erwachsenwerden und Selbstverwirklichungswünsche – und nicht allein um »Homoglück«.

Findet plötzlich Gefallen an der Vaterrolle: der sexy-braungebrannte, heterosexuelle Samenspender Paul (Mark Ruffalo)
Nichtsdestotrotz machen einige Kritiker der Regisseurin gerade die Homosexualität zum Verhängnis. Denn wer lesbisch ist, solle gefälligst auch einen hyperaufgeklärten, superalternativen Lebensstil führen, so lässt sich zwischen den Zeilen lesen. Ein Kritiker der Süddeutschen beklagt etwa, dass Paul am Ende nicht zum fünften Familienmitglied wird – dabei hätte es der Film »so verdammt gut vertragen können, unrealistisch zu enden«. »Nein, ich glaube nicht, dass das funktioniert«, sagte Lisa Cholodenko in der Pressekonferenz der Berlinale, als eine Journalistin die Idee aufbrachte, den Film wie eine Hippie-Kommune mit Müttern, Kindern und Samenspender enden zu lassen. »Für mich persönlich kann ich mir das zumindest nicht vorstellen. Also sollte auch mein Film nicht so enden.«

Welch große Erkenntnis diese urkomische, tränenrührende Komödie doch offenbart: Lesben sind nicht immer Hippies.


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