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Kultur

»Geschichte bleibt machbar«

Klaus Wagenbach über wilde Bücher und wilde Leser

  »Geschichte bleibt machbar« | Klaus Wagenbach über wilde Bücher und wilde Leser

Erstmals zeichnet die Kurt-Wolff-Stiftung zur Förderung einer vielfältigen Verlags- und Literaturszene mit ihrem Hauptpreis nicht einen Verlag aus, sondern würdigt einen Verleger für sein Lebenswerk: Es ist Klaus Wagenbach, der für seine »jahrzehntelange mutige, Mut machende und beispielhafte Arbeit« in diesem Jahr den Preis erhält. Wagenbach, gelernter Buchhändler und promovierter Literaturwissenschaftler, gründete nach seiner Lektorentätigkeit bei S. Fischer 1964 in Westberlin den Verlag Klaus Wagenbach.

Erstmals zeichnet die Kurt-Wolff-Stiftung zur Förderung einer vielfältigen Verlags- und Literaturszene mit ihrem Hauptpreis nicht einen Verlag aus, sondern würdigt einen Verleger für sein Lebenswerk: Es ist Klaus Wagenbach, der für seine »jahrzehntelange mutige, Mut machende und beispielhafte Arbeit« in diesem Jahr den Preis erhält. Wagenbach, gelernter Buchhändler und promovierter Literaturwissenschaftler, gründete nach seiner Lektorentätigkeit bei S. Fischer 1964 in Westberlin den Verlag Klaus Wagenbach.

»Der unabhängige Verlag für wilde Leser« veröffentlichte von Anfang an auch unbequeme Literatur und politische Schriften der Linken. Im Juni feiert Klaus Wagenbach seinen achtzigsten Geburtstag.

:logbuch: Herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung! Sechsundvierzig Jahre Verlag Klaus Wagenbach. Bekommt man da so etwas wie Ehrfurcht vor der eigenen Biografie?

KLAUS WAGENBACH: Danke. Ja, die Würdigung hat mich natürlich gefreut. Es scheint ein Wettstreit zwischen Italien und Deutschland zu sein, was die Preisverleihungen betrifft. Bisher liegt Italien vorn. Keine Ahnung, woran das liegt, aber sie hängen mir ab und an gern eine Auszeichnung um.

:logbuch: Ihr Verlag war eine Zeit lang ein Gemeinschaftsprojekt, das Kollektiv scheiterte 1973. Woran?

WAGENBACH: Der Verlag wurde 1964 als Privatverlag gegründet und dann ab 1969 in der Tat solidarisch geführt. Das Kollektiv hat sich dann als Rotbuch Verlag abgespalten und ist schließlich gescheitert.

:logbuch: Was würden Sie mit diesen Erfahrungen anders machen? Oder würden Sie solch ein Unterfangen nicht noch einmal unternehmen? Kann das im Kapitalismus überhaupt funktionieren?

WAGENBACH: Dazu mache ich mir ein paar Gedanken in »Die Freiheit des Verlegers«, das im Juni zu meinem unvermeidlichen achtzigsten Geburtstag erscheinen wird. Aber wir haben schon einiges aus der kollektiven Verlagsarbeit beibehalten, zum Beispiel das Konsenslektorat. Wir diskutieren so lange über ein Buch, bis alle Lektoren zustimmen.

:logbuch: »Geschichtsbewusstsein, Anarchie, Hedonismus« nannten Sie einmal als Grundprinzipien des Verlags. Gelten diese noch heute?

WAGENBACH: Ja!

:logbuch: Was ist ein wilder Leser, was sind wilde Bücher?

WAGENBACH: Ein wilder Leser ist jemand, der Bücher findet, die er gar nicht gesucht hat. Und wilde Bücher sind Bücher, die von einem Leser gefunden werden, der nicht nach ihnen gesucht hat.

:logbuch: Der Staat wie die Privatwirtschaft überzogen Sie in den siebziger Jahren mit Klagen, etwa wegen der Veröffentlichung der satirischen Festschrift »Unsere Siemens-Welt« und des RAF-Manifests und weil Sie die Erschießung von Benno Ohnesorg und Georg von Rauch durch Polizisten als »Mord« bezeichneten. Sie wurden sogar zu neun Monaten Gefängnis verurteilt. Wie geht man mit solch immensem Druck um?

WAGENBACH: Das macht nachdenklich. Nehmen Sie den Fall Karl-Heinz Kurras, der wieder durch die Medien geistert. Der geht so aus, dass der Kritiker – also ich – verknackt wird. Sehr seltsam, denn der eigentliche Rechtsbruch besteht doch darin, dass ein Polizist einen jungen Mann erschoss, der gefleht hat: »Bitte nicht schießen!« Das ist der Skandal. Die »Ehre der Polizei« hat mich viel Zeit und Geld gekostet.

:logbuch: Wie erklären Sie sich diese Vehemenz der Behörden, also der Justiz und Polizei?

WAGENBACH: Das liegt, so sage ich einmal höflich, am Unterschied der Lebenswahrnehmung. Damals war für die jungen Leute und auch mich – ich gehöre ja nicht zur Generation 68 – erstmalig eine ungeheure Befreiung zu spüren. Die Bundesrepublik der fünfziger und sechziger Jahre war autoritär, deutsch-national, das Land besetzt von ekligen Leuten. Nach dem Krieg bestand die Bevölkerung – zuvor waren achtzig Prozent Nazis – zu achtzig Prozent aus Leuten, die nie Nazis gewesen sein wollten. Westberlin wurde beherrscht vom antikommunistischen Syndrom. Und Springer war erbarmungslos.

:logbuch: Wagenbach ist ein »Meinungsverlag«. Was darf die Kunst? Gibt es eine Grenze der Meinungsfreiheit?

WAGENBACH: Fragen Sie da besser die Justiz.

:logbuch: Nach und nach haben Sie das ursprünglich mit linker Theorie und zeitgenössischer Literatur gestartete Verlagsprogramm ausgebaut. Wie sind Sie vorgegangen, wie stießen Sie auf die verlegten Schätze?

WAGENBACH: Beim Lesen. Lesen ist das Wichtigste, man kann nie genug lesen.

:logbuch: Wie behaupten Sie sich auf dem immer stromlinienförmiger werdenden Buchmarkt? Die gut sortierten Buchhändler, bei denen ein kritisches Buch auch einmal aus Überzeugung und nicht aufgrund der Umsatzzahlen im Regal steht, werden weniger.

WAGENBACH: Das halte ich für eine gefährliche Entwicklung.

:logbuch: Würden Sie der Einschätzung zustimmen, dass sich viele Autoren heute vorauseilend selbst zensieren, um nicht anzuecken?

WAGENBACH: Die läppischen Autoren ja. Aber die anderen, die vernünftigen, die machen das nicht.

:logbuch: Sie als Person wie auch Ihr Verlag werden nicht zufällig mit der 68er-Bewegung assoziiert. Um diese hat vor einigen Jahren wieder ein Ringen um Deutungshoheit eingesetzt. Das anhaltende Debattieren zeigt: Etwas an 68 scheint noch immer zu wurmen. Was könnte das sein?

WAGENBACH: Das ist eine richtige Beobachtung. Es wurmt noch: Dass die Demokratisierung des Landes von der Linken kam. Das ärgert die Rechten oder Bürgerlichen bis heute.

:logbuch: »Geschichte bleibt« also – um aus dem bei Ihnen erschienenen Buch »68« von Albrecht von Lucke zu zitieren – »so das Versprechen von 68, weiterhin machbar – auch in Zeiten neuer Bürgerlichkeit«?

WAGENBACH: Ja, unbedingt! Geschichte ist und bleibt machbar.

:logbuch: 2008 wurde die Reihe »Politik bei Wagenbach« gegründet, was angesichts Ihres Engagements wie eine Tautologie klingt. Die Titel beschäftigen sich etwa mit europäischer Asylpraxis, Wissenschaftspolitik und dem Wesen des Staates. Sind Ihnen diese Zeiten zu unpolitisch? Oder braucht die Diskussion um die neue Bürgerlichkeit Argumentationsstoff?

WAGENBACH: Es scheint so.

:logbuch: Gerade ist Franz Kafkas »In der Strafkolonie«, die Sie in der Ursprungsfassung von 1914 herausgegeben haben, in der Neuauflage erschienen. Was kann uns diese Geschichte um eine bizarre Sanktionsmaschine heute sagen?

WAGENBACH: Das war der erste Titel der Taschenbuchreihe, die wir 1975 begannen. Weil einen Schriftsteller immer viele Dinge zugleich beeinflussen, sind darin auch Materialien aus der zeitlichen Umgebung enthalten. Mich interessiert bis heute, warum Kafka zwei Monate nach Kriegsbeginn gerade eine solche Geschichte verfasste. Ein Thomas Mann jubelt und dieser Provinznickel beschreibt eine Foltermaschine. Was uns das sagt, darüber sollen sich die Leser Gedanken machen.

:logbuch: Sie haben die Geschäftsführung des Verlags bereits vor einigen Jahren in die Hände Ihrer Frau gegeben. Wie fühlt sich das Lektorenleben an, nach so vielen Jahren des Verlaglenkens?

WAGENBACH: Es besteht hauptsächlich aus Lesen.

:logbuch: Verbringen Sie jetzt mehr Zeit im Land, in dem die Zitronen blühn? WAGENBACH: Ich bin zwei bis drei Monate im Jahr in Italien.

:logbuch: Alan Bennetts »Die souveräne Leserin« wurde 2008 zum ersten und einzigen Bestseller in der Verlagsgeschichte. Wie konnte das passieren?

WAGENBACH: Das habe ich mich auch gefragt und dachte, hast du vielleicht einen Fehler gemacht? Das ist nicht ohne Komik. Von Bennett hatte ich ein anderes Buch auf Italienisch gelesen, das wir dann auch verlegt haben. Die »Leserin« ist sein drittes oder viertes Buch bei uns. Wir kamen zu diesem Erfolg also wie die Jungfrau zum Kind, freuen uns aber natürlich über den Geldregen. Bei einem Verlag wie dem unseren ist die Kasse ja immer leer.

:logbuch: In welche Buchprojekte wird das Preisgeld von 26.000 Euro fließen?

WAGENBACH: Das werde ich erst bei der Preisverleihung in Leipzig verraten.


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