anzeige
anzeige
Kultur

Das war die (Pop Up 2010

Eine Retrospektive in Wort und Bild. Von Kay Engelhardt und Martin Ludewig

  Das war die (Pop Up 2010 | Eine Retrospektive in Wort und Bild. Von Kay Engelhardt und Martin Ludewig

Am vergangenen Wochenende fand auf dem Gelände des Werk 2, in Ilses Erika und im UT Connewitz die Indie-Musikmesse (Pop Up statt. Musikautor Kay Engelhardt und Fotograf Martin Ludewig haben sich das Ganze für uns angeschaut und berichten in Wort und Bild von Messe, Panels und Konzerten.

Am vergangenen Wochenende fand auf dem Gelände des Werk 2, in Ilses Erika und im UT Connewitz die Indie-Musikmesse (Pop Up statt. Musikautor Kay Engelhardt und Fotograf Martin Ludewig haben sich das Ganze für uns angeschaut und berichten in Wort und Bild von Messe, Panels und Konzerten.

Donnerstag, 6.5.

Beim semi-offiziellen Start der (Pop Up liefern Los Angeles Love im Ilses Erika ein energieintensives Konzert im Ilses Erika ab. Danach wird bis 6 Uhr morgens getanzt. Die Anwesenden wollen es wissen und geben alles. Und das schon am ersten Abend des verlängerten Wochenendes. Wie soll dann erst der Rest werden? Als Springsteens »Born In The USA« läuft und sich jemand MC Hammer wünscht, ist es Zeit zu gehen.

Freitag, 7.5.

Der erste offizielle (Pop Up Tag beginnt für mich mit der Podiumsdiskussion »Meine Miete steigt, also brennt dein Auto!«, das sich auf Gentrifizierung fokussiert. Die Fronten zwischen Kunst und Kapital werden in den Zwischentönen deutlich. Ein handfester Streit bleibt aus. Dafür übt man sich zu sehr in Zurückhaltung. Viele relevante Themenkomplexe werden angerissen. Leider fehlt eine ausführliche Diskussion für neue Möglichkeiten zur Selbstverwaltung von urbanen Räumen durch Künstler.

Am Freitag wird es einem in puncto Bands nicht ganz leicht gemacht. Musikalisch kann man sich zwischen isländischer Stille und deutschem Elektro-Pop entscheiden. Früher am Abend schafft es Nils Frahm am Flügel, das UT Connewitz mit seinem epischen Klassik-Jazz in einen Yoga-Raum zu verwandeln. Komplette Ruhe füllt den Raum. Alle lehnen sich zurück. Überall sieht man verzückte Gesichter. Alles richtig gemacht. Danach startet die Whale Watching-Tour, die mir nach drei Stücken zu verkopft und anstrengend experimentell wird. Also geht es in die sanierte und angenehm ausgestattete Halle D. Dort spielt Denis Jones noch zwei überzeugende Songs mit Gitarre und verzerrten Vocals. Anschließend betritt Ólafur Arnolds mit einer Gruppe von Streichern die Bühne, bittet das Publikum um Ruhe und kündigt ein ruhiges Konzert an. Das wird es dann auch. Neo-Klassik, minimalistisch und fragil. Sicher schön, aber nicht exakt meiner Stimmung entsprechend. Ich fühle mich an das Haldern Pop Festival 2009 erinnert, wo überwiegend folkige, melancholische Singer/Songwriter auftraten und die Thermals geradezu befreiend wirkten. Nichts gegen folkige, melancholische Singer/Songwriter, aber bei einem Festival wünsche ich mir zumindest einen losgehenden Gitarren-Act als Alternative zu Introspektion. Die fehlt am Freitag. Deswegen auf in das llses Erika zu Pinch’n’Peedge, die ein überaus fluffiges Set spielen, das dem Morgen sehr gut steht.

Samstag, 8.5.

Im Panel »Wir tanzen Mechanik!« wird in angenehmer Runde diskutiert. Sie besteht aus »alten Männern«, wie sie selbst sagen, die allesamt einen wohltuend romantischen Begriff von Musikkonsum haben. Man kann sicher sein, dass eine fiktive, zusammengelegte Vinyl-Sammlung der Teilnehmer das Werk 2-Gelände gut füllen würde. Sie versuchen unter anderem zu ergründen, welchen Umgang mit Musik jüngere Generationen haben und wünschen sich ein Mitglied dieser auf dem Podium zur besseren Klärung.

Leider gerät die Diskussion »I Love My iComm«, die am frühen Abend stattfindet, mehr zur Promotionveranstaltung für die Plattformen SoundCloud und simfy.de, als dass sie Erhellendes über die Wiederaufwertung von Musik brächte. Matthias Schaffhäuser bedauert die Versäumnisse von Politik und Industrie, was Grenzsetzung im Netz in der Vergangenheit betrifft, kommt aber ansonsten leider kaum zu Wort. Arms and Sleepers sind entspannt und spielen später am Abend ein kraftvolles Konzert im UT Connewitz. Unter den Visuals befindet sich unter anderem ein adretter Zusammenschnitt aus Godards »Außer Atem«, der hervorragend passt. Die Band aus Boston verbindet klassischen Postrock mit Elektrosplittern. Große Melodien, ohne Schnörkel. Wunderbar!

Im Anschluss geht es in die Halle 5. Nach einem knackigen Song von Bachelorette mit Bergpanorama im Hintergrund, greift Max Tundra zum Mikrofon. Seine Instrumente sind noch nicht ganz aufgebaut. Aber er gibt den circa zehn Leuten, die in der Umbaupause im Raum sind, schon einmal folgende Anweisung: »In 5 Minuten geht es los. Es wird unglaublich gut. Also geht doch mal eben zum Grill vor und holt die anderen!« Sehr schön. Dann geht es los. Diverse Tasteninstrumente kommen zum Einsatz. Dazu eine Trialo und ein Sampler. Kinderliedähnliche Melodien, darunter legt er einen zünftigen Beat. Inhaltlich werden die letzten Dekaden der Musikgeschichte persifliert. Tundra bastelt Klischees so zusammen, dass etwas Neues, sehr Unterhaltsames und gleichzeitig sehr (sehr!) Tanzbares entsteht. Dazu spart er auch bei seiner Performance nicht mit großen Gesten und zappeligen Tanzeinlagen. Und das Ganze, ohne mit der Wimper zu zucken. Vor mir tanzen ausgelassen drei Fans im Radius von fünf Metern. Ich muss mit wenigen Ausnahmen das gesamte Konzert hindurch lachen. Vor den zwei Zugaben lässt es sich Tundra nicht nehmen, noch ein zehnminütiges Keyboard-Solo als Outro hinzulegen. Und zwar ein Solo, das üblicherweise bei 80er-Balladen im Mittelteil kommt. Eine der Zugaben ist dann noch ein schlüssiger Euro-Dance-Song im Tundra-Stil. Der Künstler aus London war ohne Frage das Überraschungs-Highlight am Samstag. Dafür konnte man es sogar in Kauf nehmen, The Divine Comedy verpasst zu haben, der zeitgleich im UT spielte. Über diesen war dann aus vertraulichen Quellen auch nur Gutes zu hören.

Bilanz

Das Konzept des (Pop Up als klassisches Festival mit kurzen Wegen und vielen Möglichkeiten ist aufgegangen, auch wenn es musikalisch noch ein bis zwei weitere, subjektive Höhepunkte hätte geben können. Man kann es selten allen recht machen. Die neuen Elemente Boxring und Freiluft-Panel-Zelt haben sich bewährt. Zu jedem Zeitpunkt gab es genug Platz für willige Interessenten sowie spannende Inhalte. Wie jedes Jahr gab es wieder viele gute Gespräche und wenig Schlaf.


Kommentieren


0 Kommentar(e)