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Kultur

Was für ein Privileg

Mit einer vom Publikum euphorisch gefeierten Aufführung der h-Moll Messe unter Sir John Eliot Gardiner in der Thomaskirche endete gestern Abend das Leipziger Bachfest.

  Was für ein Privileg | Mit einer vom Publikum euphorisch gefeierten Aufführung der h-Moll Messe unter Sir John Eliot Gardiner in der Thomaskirche endete gestern Abend das Leipziger Bachfest.

Unter dem Motto »Bach-Brahms-Schumann« zog das Festival, ähnlich wie im letzten Jahr, knapp 65.000 Besucher aus aller Welt in 10 Tagen in über 100 Konzerte und Veranstaltungen. Das Besondere am diesjährigen Bachfest war, dass es nicht nur als exzellentes Konzertpodium fungierte, sondern erstmalig und deutlich wahrnehmbar, auch als Vermittler von Musik.

Unter dem Motto »Bach-Brahms-Schumann« zog das Festival, ähnlich wie im letzten Jahr, knapp 65.000 Besucher aus aller Welt in 10 Tagen in über 100 Konzerte und Veranstaltungen. Das Besondere am diesjährigen Bachfest war, dass es nicht nur als exzellentes Konzertpodium fungierte, sondern erstmalig und deutlich wahrnehmbar, auch als Vermittler von Musik.

Die musikalischen Repräsentanten Leipzigs, der Thomanerchor unter Leitung von Georg Christoph Biller und das Gewandhausorchester, eröffneten das Festival. In der ausverkauften Thomaskirche stand die eher selten zu hörende, zu Schumanns Spätwerk zählende, Missa Sacra, c-Moll, op. 147, im Mittelpunkt. Thomanskantor Biller setzte auf die wechselnden Stimmungsbilder dieser Messe, in erster Linie aber auf ihren feierlichen Charakter. Da entfaltete sich sehr innig das »Kyrie«. Das »Gloria« hingegen, steigerte sich in expressives Fortissimo, das »Crucifixus« wiederum aufgewühlt-dramatisch. Die Thomaner changierten in diesen Stimmungsbildern mit unglaublicher Natürlichkeit und ernteten jubelnden Applaus.

Große Konzertmomente: Thomaner und Gewandhausorchester eröffneten das Bachfest. Thomaskantor Georg Christoph Biller dirigiert u.a. Robert Schumanns Missa Sacra c-Moll (Foto: Gert Mothes)
Die Reihe der großen Konzertmomente ließe sich fortsetzen. Von den Künstlern, die in über 100 Veranstaltungen an 10 Tagen internationales Flair in die Bachstadt brachten, seinen nur stellvertretend genannt: Andreás Schiff, Andreas Scholl, Hille Perl, Sir John Eliot Gardiner. Endlich wieder zu Gast war Philippe Herreweghe mit seinem Chor und Orchester »Collegium Vocale Gent«. Der belgische Dirigent ist Preisträger der diesjährigen Bachmedaille der Stadt Leipzig. Bachs Trauungs- und Ratswahlkantaten standen auf dem Programm in der ausverkauften Nikolaikirche und Beifallsstürme brachen bereits los, als Herreweghe das Podium nur betrat. Wenn Herreweghe dirigiert, kommuniziert er mit nur minimalen Gesten. Daraus formt er seinen Bach, der so völlig unspektakulär klingt, so in sich ruhend, so befeit von jeglicher Hektik, jeglichem Wollen.

Den tosenden Applaus, die Ovationen, die Bravi, die ihm galten und auch nach einer Zugabe nicht enden wollten, nahm er, sichtlich überwältigt, mit einer nur angedeuteten Verbeugung an, um sie gleich weiter zu geben an seine Musiker und Sänger. Es ist so etwas wie Demut in der Haltung Herreweghes, in seiner musikalischen Gelassenheit und Reife. Einer wie er tut dem Bachfest gut. Da kann man sich nur wünschen, dass nicht wieder sieben Jahre vergehen müssen, bis Philippe Herreweghe erneut Gast des Festivals ist.

Aber das Bachfest war in diesem Jahr weit mehr als nur exzellentes Konzertpodium. Erstmalig fungierte das Festival, deutlich wahrnehmbar, auch als Vermittler von Musik, gedacht vor allem für junges Publikum. Tatsache ist, dass nur wenige Kinder heute noch gemeinsames Singen in der Familie und in den Schulen erleben. Diesem Trend will das Bachfest gegensteuern. »Früher oder später wird sich jedes Musikfestival zu seiner Vermittlerrolle bekennen müssen, denn das Publikum der Zukunft wird wesentlich davon abhängig sein«, so Thomaskantor Georg Christoph Biller, der neben Elmar Weingarten und Christoph Wolff zum künstlerischen Direktorium des Bachfestes gehört.

Jubelnder Applaus für »The English Baroque Soloists« und »The Montiverdi Choir« sowie Dirigent Sir John Eliot Gardiner (Foto: Gert Mothes)
Bereits im letzten Jahr leitete Biller ein »offenes Singen« und startete damit innerhalb des Bachfestes ein Bildungsangebot für Kinder und Jugendliche. In diesem Jahr gab es zusätzlich ein gemeinsames Konzert des Publikums mit dem Thomanerchor. »Wir konsumieren hauptsächlich Musik. Und ich wünsche mir, dass das anders wird«, erklärte der Thomaskantor dem Publikum, »denn man kann doch ganz anders Musik hören, wenn man selbst Musik macht.« Gesungen wurde u.a. Billers Kanon »Res servera verum gaudium«, wobei der Thomanerchor die Ostinatostimmen übernahm. Da füllte großer Klang die kleine, bis auf den letzten Platz vor allem mit Kindern und Jugendlichen besetzte Lutherkirche.

Zusätzlich zum »offenen Singen« initiierte das »forum thomanum e.V.« eine eigene Veranstaltungsreihe für Kinder und Jugendliche. »Bachtfest spontan«, so das Motto. Dahinter verbirgt sich »offenes Singen«, plaudern, zuhören, gemeinsam mit einem »special guest«. Eingeladen waren u.a. Tobias Künzel von den Prinzen und Altus Andreas Scholl. Das Interessante dabei: Die Reihe, die sich in erster Linie an junges Publikum richtet, besuchten hauptsächlich Erwachsene, mehrheitlich Senioren. Da gibt es offenbar doch ein großes Bedürfnis zu singen. Beim »offenen Singen« am Freitag reichten sogar die Noten nicht, weil immer mehr Interessierte die Lutherkirche füllten. Georg Christoph Biller denkt schon weiter: »Es wird bereits daran gearbeitet, mit Schulen zu kooperieren«, so der Thomaskantor. »Für das Jubiläum 2012 werden wir die Angebote unter dem Motto »Junges Bachfest« noch wesentlich erweitern.«

Was für ein Privileg für Leipzig, Bach und dieses Festival zu haben. Rückblickend auf die vergangenen zehn Tage könnte man meinen, Leipzig sei sich diesem Privileg auch wirklich bewusst.


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