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Kultur

Kunst gegen Abwanderung

Im sächsischen Hinterland haben Leipziger das Kunstlabel »obart« gegründet. Sie kämpfen dort mit Kunst gegen gesellschaftliche Dürre

  Kunst gegen Abwanderung | Im sächsischen Hinterland haben Leipziger das Kunstlabel »obart« gegründet. Sie kämpfen dort mit Kunst gegen gesellschaftliche Dürre

Schmale Landstraßen, links und rechts leuchtende Rapsfelder, zwischendrin pittoreske Dörfer. Das ist das Sachsen jenseits der Metropolen, das ländliche Idyll, wo die Menschen das Weite suchen und Jugendclubs auf ihre Besucher warten. Doch das Klischee von der prekären Einöde hält nicht immer, was es verspricht. In Kirschau, einem Dorf acht Kilometer südlich von Bautzen, unweit der polnischen Grenze, wird in diesem Sommer Kunst gemacht.

Schmale Landstraßen, links und rechts leuchtende Rapsfelder, zwischendrin pittoreske Dörfer. Das ist das Sachsen jenseits der Metropolen, das ländliche Idyll, wo die Menschen das Weite suchen und Jugendclubs auf ihre Besucher warten. Doch das Klischee von der prekären Einöde hält nicht immer, was es verspricht. In Kirschau, einem Dorf acht Kilometer südlich von Bautzen, unweit der polnischen Grenze, wird in diesem Sommer Kunst gemacht.

Denn mit der »Degradierung des ländlichen Raums auf sein Brauchtum« will sich nicht jeder abfinden, vor allem nicht der Leipziger Choreograf Mike Salomon. Gemeinsam mit anderen Leipzigern gründete er das Kunstlabel »obart« im sächsischen Oberland. Seitdem gehen in dem 2.500-Seelen-Ort Kreative ein und aus. Im Mai fand das Performancefestival »grenzart« statt. Diesen Monat folgen die Hörkunsttage »obphon«.

Die Künstlerin Kata Adamek und der Kulturgeograf Bernd Adamek-Schyma sitzen in ihrem malerisch verwilderten Garten in Leipzig-Lindenau. Sie kuratieren die Hörkunsttage und erzählen von ihrer anfänglichen Skepsis gegenüber dem Kunstlabel – und wie sie sich dann doch schnell für Kirschau mit seinen alten, prachtvollen Gebäuden begeisterten. Es sei ein guter Ort, um Kunst zu machen, sagen sie, auch weil er an die leergefegten Industriebrachen in Leipzig erinnere, die seit Langem Künstler und Kreative anziehen. Sie selbst gründeten vor fünf Jahren in Lindenau das Panipanama, einen temporären Kunstraum, und organisieren seitdem Ausstellungen und Konzerte. Mit Panama verweisen sie auf Einschnitte ins Land, Grenzüberschreitung und das Aufeinanderprallen von Welten – Ideen, die sie nun in Kirschau ganz neu übersetzen können. Denn hier begegnen sich Künstler und Nichtkünstler, Dorfbewohner und Großstädter, Deutsche, Polen, Tschechen, Menschen aus aller Welt.

Zum »obphon«-Festival haben sie zahlreiche internationale Künstler eingeladen, unter anderem den polnischen Klangkünstler Sebastian Buczek, der Metall-, Glas-, Holz- und Schokoladenscheiben als Tonträger verwendet und sie als Aufzeichnungs- und Abspielmedium für Klarinette, Stimme und Umgebungsgeräusche nutzt. Zudem werden im Juli Jodler auf Bäumen trällern, elektronische Plingplongtöne durch alte Werkshallen schweben, es wird Konzerte geben, Klanginstallationen, Hörspiele und experimentelle Soundprojekte. Eine Woche lang wird gehört, was das Zeug hält. Lag der Fokus bei »grenzart« auf der performativen Kunst, geht es nun ums Akustische. »Obart«, das Dachlabel der beiden Festivals, versteht sich als Marke, die Kunst produziert: für die Menschen, die hier leben, und die, die kommen werden – wenn sie es denn tun.

Denn es ist ein mutiges Unterfangen, auf Bleibende und Kommende zu setzen an einem Ort, der seine Blüte längst hinter sich hat, in einer Zeit, in der Arbeit zum Sonderangebot mutiert ist. Anfang des 20. Jahrhunderts nannte man Kirschau das »Dorf mit den goldenen Dächern«. Es war eine Hochburg der Textilproduktion, von hier aus wurde der berühmte Scheuerlappen in die ganze Welt verschickt. Tausende verdingten sich in der Garnproduktion, nur ein kleiner Teil ist davon übrig geblieben.

Dient die Kunst nun als Mittel gegen gesellschaftliche Regression? Bürgermeister Sven Gabriel ist optimistisch: »In ein paar Jahren soll ›obart‹ als feste Größe dazugehören«, sagt der 33-Jährige. »Es soll ein Grund sein, hier zu leben und zu arbeiten.« Gabriel gehört selbst zur Generation Abwanderung. Doch der studierte Betriebswirt entschied sich zu bleiben und machte sich vor zwei Jahren auf die Suche nach Kreativen, um das Dorf zu beleben. Im Kirschauer Hotelbesitzer Rüdiger Schuhmann fand er einen Verbündeten, der den Künstlern eine alte Jugendstilvilla zum Leben und Arbeiten zur Verfügung stellte. Bisher geht Gabriels Plan auf. Kirschau steht im Rampenlicht, 1.800 Besucher kamen zum »grenzart«-Festival. Im Gästebuch ist von einer »Bereicherung für die Region« zu lesen und von »neuem Leben im Dorf«.

Bleibt zu hoffen, dass aus den Stadtflüchtigen nicht irgendwann wieder Landflüchtige werden, wenn sich das Label eines Tages etabliert hat. In den neunziger Jahren lockte die hallesche Werkleitz Gesellschaft Künstler aufs Land. Als die großen Stiftungen anfingen, Geld zu geben, zogen die Künstler in die Stadt. Dort drängeln sie sich nun im Pool der Kreativen. Auf dem Land aber, in Kirschau, kann jeder so weit rausschwimmen, wie er möchte.


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