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Kultur

»Die Fantasie hat mein Leben gerettet«

Der »Amélie«-Regisseur Jean-Pierre Jeunet über seinen neuen Film »Micmacs« und die Waffe der Fantasie

  »Die Fantasie hat mein Leben gerettet« | Der »Amélie«-Regisseur Jean-Pierre Jeunet über seinen neuen Film »Micmacs« und die Waffe der Fantasie

Nach fünf Jahren Leinwandabwesenheit meldet sich Jean-Pierre Jeunet mit »Micmacs – Uns gehört Paris« zurück, einem Film über die Machenschaften der Waffenlobby. Jeunet hat in seinen Arbeiten ein unverwechselbares ästhetisches Universum erschaffen, das von Skurrilitäten und farbenreichen Abenteuern geprägt ist. Seine Filme wie »Die Stadt der verlorenen Kinder« (1994) sind gekennzeichnet von einer eindringlichen poetischen Kraft .

Nach fünf Jahren Leinwandabwesenheit meldet sich Jean-Pierre Jeunet mit »Micmacs – Uns gehört Paris« zurück, einem Film über die Machenschaften der Waffenlobby. Jeunet hat in seinen Arbeiten ein unverwechselbares ästhetisches Universum erschaffen, das von Skurrilitäten und farbenreichen Abenteuern geprägt ist. Seine Filme wie »Die Stadt der verlorenen Kinder« (1994) sind gekennzeichnet von einer eindringlichen poetischen Kraft .

kreuzer: Ihre Filme haben sich bisher von politischen Themen weitgehend fern gehalten. Wie sind Sie auf das Thema Waffenhandel gestoßen?

JEAN-PIERRE JEUNET: Das war schon vor 15 Jahren, als ich noch an »Die Stadt der verlorenen Kinder« gearbeitet habe. Der Schnittraum lag in einem Industriegebiet und gleich daneben war eine große Rüstungsfirma. Mittags waren wir immer im selben Restaurant wie die Angestellten. Wenn man sich die Männer anschaute, konnte man sich kaum vorstellen, dass diese netten Kerle den ganzen Tag darüber nachdenken, wie man Menschen möglichst effektiv töten oder verletzen kann.

kreuzer: Ist es bei diesem ersten Eindruck geblieben?

JEUNET: In Vorbereitung auf »Micmacs« haben wir eine Rüstungsfabrik in Belgien besucht. Dort war man mit der Entwicklung einer Waffe beschäftigt, die in einem Panzer eine derartige Hitze entwickelt, dass die Menschen darin sterben, ohne dass der Panzer dabei zerstört wird. Da waren leidenschaftliche Technologen, die ich mit ihrer Begeisterungsfähigkeit sofort für einen Film unter Vertrag genommen hätte. Aber sie haben komplett verdrängt, was sie da eigentlich machen. Wenn man sie auf moralische Bedenken anspricht, sagen sie: Wir arbeiten für den Verteidigungsminister und nicht für den Angriffsminister. Aber natürlich wissen sie, dass ihre Waffen früher oder später in alle Welt verkauft werden.

kreuzer: Aber in Ihrem Film dürfen die Waffenhändler noch echte Schurken sein ...

JEUNET: »Micmacs« ist ja eine Komödie, und da arbeitet man natürlich mit Karikaturen.

kreuzer: Die Gruppe von Obdachlosen, die den Waffenhändlern das Handwerk legt, wirkt wie eine Superhelden-Gang auf Sozialhilfe ...

JEUNET: Wenn ich anfange, eine Geschichte zu schreiben, lande ich stets bei dem gleichen Motiv: David gegen Goliath. Die Obdachlosen sind als Cartoon-Charaktere angelegt. Die Referenz waren die Spielzeugfiguren in »Toy Story«. Jede Figur hat eine Begabung, die dazu beiträgt, dass sich die Geschichte weiterentwickelt.

kreuzer: In »Micmacs« treten die Obdachlosen dem Rüstungskonzern mit der Waffe der Fantasie entgegen. Woher kommt Ihr unzerstörbarer Glaube an die Fantasie?

JEUNET: Die Fantasie hat mein Leben gerettet. Eigentlich sollte ich bis zur Rente in einer Telefongesellschaft arbeiten. Aber dann habe ich gekün­digt, weil ich Filme machen wollte. Es gibt einen schönen Satz: Jedes Kind ist als Dichter geboren, aber nur wenige bleiben dabei. Ich versuche, diese kindliche Poesie zu bewahren.

kreuzer: Wie entwickeln sich Ihre detailreichen Geschichten?

JEUNET: Ich mache mir immer Notizen, wenn ich einen interessanten Einfall habe oder mir im Alltag ein besonderes Detail auffällt. Wenn meine Kiste mit Ideen randvoll ist, fange ich an, einen Film zu entwickeln. Manches fällt dabei unter den Tisch und einiges kommt dazu. In »Micmacs» habe ich noch Einfälle aus der Zeit vor »Delicatessen« verarbeitet.

kreuzer: Haben Sie keine Angst, dass Ihnen die Fantasie einmal ausgehen könnte?

JEUNET: Keine Gefahr. Ich bin jetzt 56 und keine Ende in Sicht. Interview: Martin Schwickert


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