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Kultur

Weiterhin streitbares Theater

Das Schauspiel Leipzig fragte auch im zweiten Jahr von Sebastian Hartmanns Intendanz nach Sinn und Form der darstellenden Kunst

  Weiterhin streitbares Theater | Das Schauspiel Leipzig fragte auch im zweiten Jahr von Sebastian Hartmanns Intendanz nach Sinn und Form der darstellenden Kunst

Zum Auftakt ein festlicher Ball: Mit »Germania Song« verwandelte das Duo SIGNA das Centraltheaterfoyer in eine Rollenspiel-Arena. Die Geschichte um eine düstere Adelssippe und die Reanimation einer Familienfeier erschloss sich nicht zur Gänze. Aber das Motto war olympisch – wer sich die sechs Stunden nicht langweilen wollte, war gezwungen, dabei und aktiv zu sein.

Zum Auftakt ein festlicher Ball: Mit »Germania Song« verwandelte das Duo SIGNA das Centraltheaterfoyer in eine Rollenspiel-Arena. Die Geschichte um eine düstere Adelssippe und die Reanimation einer Familienfeier erschloss sich nicht zur Gänze. Aber das Motto war olympisch – wer sich die sechs Stunden nicht langweilen wollte, war gezwungen, dabei und aktiv zu sein.

»Der Prozess« war gelinde gesagt: mies. Die knappe Probenzeit und das Einspringen Sebastian Hartmanns mögen dieses zerfaserte, ideen­lose Etwas erklären. Beeindruckend zeigte sich das Triptychon »Büchner/Leipzig/Revolte« (R: Thomas Thieme), dessen dritter Teil in einem wunderbar reduzierten »Woyzeck«-Monolog gipfelte. Hartmanns »Kirschgarten« war einfach ein absurdes Tableau, das auf Dringlichkeit statt auf die übliche Musealität von Tschechow-Inszenierungen setzte. »Paris, Texas« kam da nicht ran, auch wenn die trostlos-triste Grundstimmung berührte. Positiv bestachen »Das Fest« (Martina Eitner-Acheampong) in seiner minutiö­sen Sprengung einer Familienfeier und Rainald Grebes opulente »Karl-May-Festspiele«.

Die Skala zeigte sich als der Tummel- und Experimentierplatz, der sie wohl sein soll. Und dass bei solchem Ansinnen auch einiges schiefgehen kann, ist selbstverständlich. »FANZ 89/09« (Mareike Mikat) war als halbdokumentarisch angelegtes Projekt visuell wie emotional angehend gut umgesetzt. Immerhin herzhaft lachen konnte man bei »Mädchen in Uniform« (Mikat). Das gilt auch für »Vielleicht – vielleicht auch nicht« (Martin Laberenz), das als feucht-fröhliche Slapsticknummer die Verführungskraft des ästhetischen Faschismus ausblendete. Da steckte »Der Tag des Opritschniks« (Mirko Borscht) den Finger eher in die totalitäre Wunde – wer hier »Nackten Nazi-Wahnsinn« (Bild) am Werk sieht, flüchtet sich zu eilfertig in die Oberlehrer-Attitüde. Eine solche nimmt Borscht in »Unfun« selbst ein. Die bildgewaltige, martialische Mühle endet als Erklärstück.

Lässt man die Spielzeit so Revue passieren, dann lässt sich sagen: Unter Hartmann ist einmal mehr streitbares Theater zu sehen gewesen. Und dass die Diskussionen über Sinn und Form der darstellenden Kunst nicht abreißen, ist nicht negativ zu bewerten. Warum sich an der Personalie Hartmann aber auch das überregionale Feuilleton reibt, verwundert schon. Angesichts der unsauberen wie kenntnislosen Attacken in Zeit und Freitag fragt man sich in Leipzig, was so interessant an der Stadt sein mag. Oder hat sich Sebastian Hartmann in der Vergangenheit derart Feinde gemacht, dass sie ihn auch hier heimsuchen? Man weiß es nicht. Das trifft auch auf die Gründe zu, warum nicht wenige Ensemblemitglieder – es ist rund ein Fünftel – das Haus verlassen. Dies ist im Theatergeschäft nicht unüblich – ob jemand sich hernach offenbart, wird abzuwarten sein.

Dass Kulturbürgermeister Michael Faber es ernst damit meint, die Skala zu schließen, darf bezweifelt werden. Allerdings ist seine diesbezügliche Anfrage an Hartmann ein weiterer Eskalationsschritt in seiner – noch verbalen – Dekonstruktion des Centraltheaters. Dieses werde keine Zukunft haben in Leipzig, sagte er im Dezember-kreuzer. Und seitdem tat er alles, um nicht den Eindruck zu erwecken, das sei ein Missverständnis gewesen. Eine Wiederaufnahme dieser Farce ist nach der Sommerpause zu befürchten.


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