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Kultur

»Bei der Rohschnittabnahme herrschte eine eisige Stimmung«

Regisseur Bernhard Sallmann und Produzent Christian Schulzki über den Einfluss des Fernsehens auf ihren Dokumentarfilm »Träume der Lausitz«

  »Bei der Rohschnittabnahme herrschte eine eisige Stimmung« | Regisseur Bernhard Sallmann und Produzent Christian Schulzki über den Einfluss des Fernsehens auf ihren Dokumentarfilm »Träume der Lausitz«

Noch bis zum 11. August wiegt sich die Cinémathèque in der naTo in den Träumen der Lausitz. Gerade dort, in jenem vom Braunkohletagebau verwüsteten Landstrich, entdeckt der Filmemacher Bernhard Sallmann Menschen mit fantastischen Träumen, die an die Wiedergeburt der Lausitz glauben.

Noch bis zum 11. August wiegt sich die Cinémathèque in der naTo in den Träumen der Lausitz. Gerade dort, in jenem vom Braunkohletagebau verwüsteten Landstrich, entdeckt der Filmemacher Bernhard Sallmann Menschen mit fantastischen Träumen, die an die Wiedergeburt der Lausitz glauben.

»Träume der Lausitz« ist nicht nur sehenswertes dokumentarisches Kino – lakonisch, klug und bildstark erzählt –, sondern erlaubt zugleich einen beispielhaften Blick hinter die Kulissen der Film- und Fernsehbranche. Was bedeutet es, wenn Dokumentarfilmer immer häufiger von Konflikten mit dem Fernsehen sprechen, von Finanzierungsnöten, ästhetischer Einflussnahme und schlechter Platzierung? Der in Berlin lebende Österreicher Bernhard Sallmann und sein Produzent Christian Schulzki von der Leipziger Ariane-Film GmbH geben detaillierte Auskunft über die Produktionsbedingungen ihres Filmprojekts.

kreuzer online: Rekapitulieren wir zunächst kurz: Wie kam das Filmprojekt zustande?

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BERNHARD SALLMANN: Das war vor etwa drei Jahren, als ich mit meiner Filmidee zum Medienboard Berlin-Brandenburg ging (regionale Filmförderanstalt, Anm. d. Red.). Dort stieß mein Projekt auf offene Ohren und ich erhielt ein Darlehen für die Drehbuchentwicklung. Durch eine Vermittlung meines geschätzten Filmemacherkollegen Volker Koepp kam der Kontakt zur Leipziger Produktionsfirma Ariane-Film und zu Produzent Christian Schulzki zustande. Der hat sich dann um weitere Partner für das Projekt bemüht.

kreuzer online: Wie ging die Partnersuche vonstatten?

CHRISTIAN SCHULZKI: Wir haben uns zuerst an den MDR gewandt, weil wir mit denen regelmäßig zusammenarbeiten und man mindestens einen Fernsehsender braucht, um bei den Medienförderanstalten Gelder zu beantragen. Später kam der RBB hinzu, wodurch wir dann eine Produktionsförderung vom Medienboard erhielten. Die MDM (Mitteldeutsche Medienförderung, Anm. d. Red.) zeigte sich ebenfalls sehr interessiert, lehnte den Förderantrag zur Überraschung aller aber schließlich ab – wie immer ohne Begründung. Weitere Zusagen kamen von der Kulturstiftung Sachsen und der SLM (Sächsische Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien, Anm. d. Red.).

kreuzer online: Wie hoch war das Budget für den Film?

SCHULZKI: Einschließlich der Projektentwicklung beträgt das Gesamtbudget 150.000 Euro. Normalerweise geht man davon aus, dass ein Dokumentarfilm fürs Kino 200.000 Euro kostet.

kreuzer online: Ist nicht häufig sogar von 300.000 Euro die Rede?

SCHULZKI: Klar, aber 200.000 Euro ist die Untergrenze, darunter sollte man es nicht machen. Daher haben wir auch lange hin und her überlegt, aber schließlich gesagt: Augen zu und durch, das machen wir jetzt!

kreuzer online: Welcher Geldgeber trägt welchen Anteil am Budget?

SCHULZKI: Wir tragen als Produktionsfirma diesmal einen relativ hohen Eigenanteil von 36.000 Euro, also rund 25 Prozent. Von der Kulturstiftung Sachsen kamen 9.000 Euro für die Drehbuchentwicklung und 30.000 Euro Produktionsförderung. Von der SLM kam eine kleine Anteilsfinanzierung von 5.500 Euro. MDR und RBB haben brutto jeweils 10.000 Euro beigesteuert. Der größte Betrag ist das Darlehen vom Medienboard in Höhe von 50.000 Euro.

kreuzer online: Realistisch gesehen muss man das Darlehen aber nicht zurückzahlen, oder?

SCHULZKI: In der Regel erwirtschaften Dokumentarfilme nie so viel, dass man das Darlehen einer Förderanstalt zurückzahlen muss. Das ist erst dann fällig, wenn die Produktionsfirma ihren Eigenanteil wieder eingespielt hat. Ob uns das allerdings gelingt, wird sich erst noch zeigen.

kreuzer online: Bekommt man so eine komplexe Finanzierung als Filmemacher zu spüren? Bedeuten viele Geldgeber auch viel Einflussnahme von außen?

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SALLMANN: Interessant war für mich vor allem die eigentümliche Abwesenheit durch die Filmförderung und die überaktive Anteilnahme des Fernsehens. Während sich die anderen Geldgeber ganz und gar zurückgehalten haben, wollte das Fernsehen vieles mitentscheiden. Dabei beträgt der Anteil der beiden Fernsehsender an der Finanzierung zusammen nicht mal 15 Prozent. Ohnehin wird der Film erst 18 Monate nach dem Kinostart zu nachtschlafender Zeit ausgestrahlt.

kreuzer online: Haben die anderen Partner gar keinen Einfluss auf das Projekt genommen?

SCHULZKI: Vom Medienboard war praktisch kein Einfluss spüren. Von der SLM kam bloß die Aufforderung, ihnen den Film am Ende in dreifacher Ausführung zuzuschicken. Die Kulturstiftung war stark an der künstlerischen Gestaltung des Films interessiert, das kann man auch in ihrem aktuellen Jahrbuch nachlesen.

kreuzer online: Wie hat sich die Einflussnahme des Fernsehens bemerkbar gemacht?

SALLMANN: Vor allem in den einzelnen Abnahmen, da wollte das Fernsehen vieles mitentscheiden. Normalerweise haben Dokumentarfilme eine besondere Form der Freiheit und setzen ein mündiges Publikum voraus. Aber das Fernsehen scheint seine Zuschauer gern an die Hand zu nehmen. Daher sollte ich alle Personen im Film mit einer Kommentarstimme einführen. Ob das allerdings wirklich zu mehr Nähe führt oder letztlich doch zu mehr Distanz, ist streitbar.

kreuzer online: Wie muss man sich so eine Abnahme konkret vorstellen?

SCHULZKI: Bei der ersten Abnahme kommen in der Regel Regisseur, Cutter, Produzent, Fernsehredakteure und Filmförderer an einem Schnittplatz zusammen und sichten das Rohmaterial.

SALLMANN: Ich erinnere mich an eine sehr beklemmende und eisige Stimmung bei der Rohschnittabnahme. Die RBB-Redakteurin sagte, dass der Film sich nicht selbst erkläre und daher dem Zuschauer ein Werkzeug an die Hand gegeben werden müsse, um ihn verständlich zu machen. Ein anderer polterte, dass der Film geradezu nach der Stimme des Autors schreie.

SCHULZKI: Ich empfand es eher so, dass sich die Idee zu einem Erzählerkommentar im Verlauf des Gesprächs entwickelte. So abwegig ist ein persönlicher Kommentar auch gar nicht, schließlich ist es ein sehr persönlicher Film.

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SALLMANN: Im Exposee des Projekts war allerdings nie die Rede von einem Erzählerkommentar. Das war eine plötzliche Geburt in der Rohschnittabnahme. Dabei hätte man sich über die Konsequenz einer solchen Entscheidung durchaus mehr Gedanken machen sollen. Das Absurde war ja, dass nur 24 Stunden nach der Rohschnittabnahme vom Leipziger Dokfestival die mündliche Zusage kam, dass der Film im Deutschen Wettbewerb gezeigt werden soll. Damit gab es die größtmögliche Spannbreite an Meinungen: Einerseits wurde das Rohmaterial vom Fernsehen zurückgewiesen und andererseits wurde es von einem renommierten Dokumentarfilmfestival angenommen. Das empfand ich schon als eine sehr abenteuerliche Schlitterpartie. Später sagte mir auch eine Förderin vom Medienboard, dass das Einzige, was sie am Film störe, meine Stimme sei, weil sie ihr die Neugierde raubt, die Personen selber zu entdecken. Auch nach der Vorführung beim Leipziger Dokfestival bekam ich von Kollegen und Zuschauern zu hören, dass ihnen mein Film zwar gefalle, aber sie nicht verstünden, warum ich immer so dazwischenquatsche.

SCHULZKI: Andererseits gab es bei einer Preview mal den Einwurf aus dem Publikum, dass man in einer bestimmten Szene gern gewusst hätte, in welchem Ort sie spielt.

SALLMANN: Natürlich gibt es immer auch eine Art von Publikum, das bei jedem eingeblendeten Kirchturm sofort wissen will, um welche Kirche es sich handelt und wann sie erbaut wurde. Aber letztlich stellt sich eben die Frage, welchen Film man machen will.

kreuzer online: Inwiefern muss man als Produzent zwischen den verschiedenen Interessen vermitteln, Herr Schulzki?

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SCHULZKI: Ohne Fernsehredakteure kriegen wir bei Förderanstalten keine Projekte durch. Insofern muss man ihnen Gehör schenken, auch wenn sie andere Positionen als die Filmemacher vertreten. Andererseits können wir froh sein, dass wir für so einen doch sehr regionalen Landschaftsfilm wie »Träume der Lausitz« überhaupt einen Fernsehsender gefunden haben. Immerhin haben wir von ZDF und 3sat Absagen kassiert – denen war der Stoff offenbar zu provinziell.

kreuzer online: Froh könnte man auch darüber sein, dass der MDR im Vergleich zum RBB überhaupt noch eine eigene Dokumentarfilmabteilung hat. Aber wie hoch ist dessen jährliches Budget? Vielleicht 300.000 Euro? Außerdem haben Dokumentarfilme im MDR zwar einen festen wöchentlichen Sendeplatz, allerdings erst zu ziemlich später Stunde: am Mittwochabend um 23.30 Uhr. Man hat den Eindruck, dass der künstlerisch anspruchsvolle Dokumentarfilm vom Fernsehen immer mehr ins Abseits gedrängt wird. Wie empfinden Sie die Situation?

SCHULZKI: Das Fernsehen verändert sich. Die Bildungsprogramme von damals schielen immer mehr auf die Quote. Aber völlig unverständlich ist das nicht, denn wenn die Zuschauerakzeptanz zu gering ist, ist das Gebührenfernsehen an sich in Frage gestellt.

SALLMANN: Es ist schon betrüblich, dass man von seiner Arbeit als Filmemacher, die man sehr gewissenhaft und selbstausbeuterisch macht, nicht leben kann. Da legt man einen 90-minütigen Kinodokumentarfilm vor und lebt trotzdem auf Hartz-IV-Niveau. So geht es vielen Dokumentarfilmern. Auch Claas Danielsen (Festivaldirektor der Leipziger Dokwoche, Anm. d. Red.) hatte das in seiner Eröffnungsrede letztes Jahr beklagt: Das Fernsehen zieht sich immer mehr aus der Dokumentarfilmbranche zurück. Das Budget wird immer geringer, und die Dokumentarfilme, die noch entstehen, werden immer formatierter. Wenn die Sender in ein paar Jahren nicht mal mehr 10.000 Euro, sondern nur noch 5.000 Euro für ein Projekt wie unseres dazugegeben, werden auch die letzten Ratten das sinkende Schiff verlassen. Dann wird es keine Dokumentarfilmer mehr geben, weil es keine Arbeit mehr für sie gibt. Interview: Jörn Seidel


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