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Kultur

Unter schlechten Sternen

Das Berlin Festival wurde erst ab-, dann auf ein Minimum runtergebrochen

  Unter schlechten Sternen | Das Berlin Festival wurde erst ab-, dann auf ein Minimum runtergebrochen

Gegen 2:30 Uhr in der Freitagnacht kam es an einer Sicherheitsschleuse vor Hangar 4 zu Szenen, die Polizei, Sicherheitskräfte und Veranstalter so stark an die Fernsehbilder von der Loveparade in Duisburg erinnerten, dass die Reißleine gezogen wurde. Festivalabbruch, weil sich zu viele Fans am Bauzaun drängten. Samstag öffnete das Festival dann noch einmal die Türen, aber in einer Light-Version: Weniger Acts, viel früherer Beginn und um 23:30 Uhr war Schluss. Das fanden viele Besucher zu Recht nervig, aber irgendwie war es auch abzusehen, denn beim Berlin Festival läuft traditionell immer etwas schief.

Gegen 2:30 Uhr in der Freitagnacht kam es an einer Sicherheitsschleuse vor Hangar 4 zu Szenen, die Polizei, Sicherheitskräfte und Veranstalter so stark an die Fernsehbilder von der Loveparade in Duisburg erinnerten, dass die Reißleine gezogen wurde. Festivalabbruch, weil sich zu viele Fans am Bauzaun drängten. Samstag öffnete das Festival dann noch einmal die Türen, aber in einer Light-Version: Weniger Acts, viel früherer Beginn und um 23:30 Uhr war Schluss. Das fanden viele Besucher zu Recht nervig, aber irgendwie war es auch abzusehen, denn beim Berlin Festival läuft traditionell immer etwas schief.

»Haste Scheiße am Schuh, haste Scheiße am Schuh«, sagt man im Fußball, wenn ein Stürmer nicht mehr trifft. Einmal in die Scheiße getreten, wird man das Zeug eben nicht mehr so schnell los. Das Berlin Festival hat irgendwie auch von Anfang an Scheiße am Schuh gehabt. 2005, im Gründungsjahr, gab es eine eklatante Fehlkommunikation mit dem Namen: Das Festival fand satte 50 Kilometer außerhalb von Berlin statt. Natürlich waren die Veranstalter fest entschlossen, diesen Fakt geschickt durch das Wort »Berlin« im Namen zu übergehen, die Zielgruppe durchschaute diesen Trick allerdings. Die ersten Jahre kamen trotz beachtlicher Line-Ups im Schnitt nur etwa 300 Besucher. Die einzig richtige Konsequenz war, in die Innenstadt von Berlin zu ziehen. Doch Festival und Zuschauer kamen immer noch nicht auf einen grünen Zweig, auch weil sich lang keine passende Location fand.

Als noch alles in Ordnung war: Freitags-Timetable als Flugplan (Foto: Geert Schäfer)
Diesbezüglich und auch was das Booking angeht, gab es im letzten Jahr einen entscheidenden Schritt nach vorne: Man holte die Booker vom Melt!-Festival mit ins Boot und verlegte die Veranstaltung auf das Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Und plötzlich lief es, der Stürmer traf, fast 10.000 Besucher kamen. Und doch lief wieder etwas schief: Kurz vor Festivalbeginn gab es eine Auflage vom Ordnungsamt. Wegen der umliegenden Wohngebiete mussten die eigentlich für draußen vorgesehenen Bühnen in die Hangars gestellt werden. Groß genug sind die Hallen ja. Doch leider sind sie auch aus Metall. Die Soundtechniker konnten auf die Beschallung der überdimensionalen Blechbüchsen nicht mehr rechtzeitig reagieren. Auftritte wie der von Dendemann sind inzwischen aufgrund des unterirdischen Klangs schon fast legendär.

Dieses Jahr wollte man nun endlich alle Fehler aus der Vergangenheit bereinigen und das Festival lief auch tatsächlich vielversprechend an. Der Einlass ging trotz langer Schlangen schnell voran (von einem zweistündigen Anstehmarathon am Presse-/Gästelistenstand mal abgesehen, Anm. d. Red.), der Zentralflughafen, wie in großen Buchstaben über dem Eingang stand, empfing seine Gäste.

Zu viele Tickets verkauft? Menschenmassen vor der Hauptbühne (Foto: Geert Schäfer)
Doch die Veranstalter machten einen großen Fehler, der vermeidbar war. Die Hauptbühne, mit einer Kapazität von mindestens 10.000 Fans, wurde am Freitag nach dem Konzert der Editors um 0:30 Uhr komplett geschlossen. Wie schon im letzten Jahr, waren Lärmschutz-Auflagen der Grund. Doch damit mussten sich die Fans, die bis dahin vor der Hauptbühne gestanden hatten, neu auf dem Gelände verteilen. Die rund 10.000 begannen damit, sich neue Getränke zu holen, Essen zu gehen und langsam darüber nachzudenken, was sie sich als nächstes anschauen wollten. Fever Ray und Junip spielten gleichzeitig auf den verbliebenen Bühnen, bei Fever Ray wurde schon niemand mehr reingelassen. Als dann Atari Teenage Riot nach Fever Ray spielen sollten, die auf erheblich weniger Gegenliebe der Fans stießen, kam es vor der anderen Bühne, wo Caribou spielen sollten, schon zu den ersten gefährlichen Szenen: Tausende drängten sich an den Schleusen und gegen die Bauzäune daneben. Die Schleusen wurden geschlossen, die Unzufriedenheit der Fans stieg. Als sich dann eine gute Stunde später auch an der anderen Bühne noch mehr Zuschauer drängten und einige begannen, an den Zäunen zu rütteln, um auf keinen Fall 2manydjs und Fatboy Slim zu verpassen, geriet die Situation so außer Kontrolle, dass die Konzerte abgesagt wurden.

Eine Bank, was Live-Auftritte angeht: LCD Soundsystem (Foto: Geert Schäfer)
Prinzipiell war das eine konsequente und – was die Sicherheit der Massen anging – auch richtige Maßnahme der Veranstalter und Sicherheitskräfte. Aber wäre das nicht im Vorfeld vermeidbar gewesen? Wenn es die Auflage gibt, die Hauptbühne nur bis 23:00 Uhr zu beschallen (ebendiese Auflage hatte der Berliner Senat erteilt), darf der Veranstalter das Festival nicht bis 6:00 Uhr morgens planen. Und wenn doch, dann darf er nur so viele Karten verkaufen, wie es die Kapazität ab 23:00 Uhr, also ohne Hauptbühne, erlaubt. 20.000 Karten zu verkaufen, war vor diesem Hintergrund fatal. Oder aber der Zeitplan des Festivals hätte von vornherein anders geplant werden müssen, nämlich als Nachmittags-Festival und nicht als Nachts-Festival. Die Umplanung am Samstag zeigte ja deutlich, wie der Ablauf in diesem Fall ungefähr hätte aussehen können: Hauptacts zwischen 20 und 23 Uhr, alle anderen Bands ab spätestens 14 Uhr. Allerdings dürfte den Veranstaltern klar gewesen sein, dass sie bei einem solchen Ablauf erheblich weniger Karten verkauft hätten – und man wollte schließlich ausverkaufen. Was die Organisation anging, war das Berlin Festival also ein Reinfall. Statt die Scheiße endlich vom Schuh zu bekommen, ist man noch mal voll reingetreten. Vor diesem Hintergrund ist es fraglich, ob das Berlin Festival nächstes Jahr wieder stattfinden wird.

Ambitioniert, aber etwas ermüdend: Fever Ray mit Stehlampen und Lasershow (Foto: Geert Schäfer)
Aber – soviel Fairness sollte sein – das Line-Up war toll. Und deshalb gab es auch einige musikalische Highlights, vor allem am Freitag, bevor die oben geschilderten Probleme die Laune trübten. Robyn war ein solches Highlight, die Schwedin hatte am Freitag den zweiten Teil ihres dreigliedrigen Albums veröffentlicht und tanzte ausgelassen eine Stunde im weißen Einteiler vor, viele Tausend tanzten mit. Ebenfalls grandios waren natürlich LCD Soundsystem – eine Bank, was Live-Auftritte angeht. Optisch besonders war die düstere Lasershow von Fever Ray, auch wenn viele Besucher angesichts der späten Stunde und der eher ruhigen Musik sichtlich müde wurden. Egal, denn auf der anderen Seite des Festivals gaben Caribou noch einmal alles, um die Müdigkeit auszutreiben – der beste Auftritt des Freitags.

Ebenfalls mit Lasern, aber auch mit nackter Haut: Peaches (Foto: Bernard George)
Der wurde dann auch am Samstag erst mit dem absoluten Hauptact Hot Chip überboten, vor mehr als 12.000 Zuschauern bewiesen die Briten ihre Qualitäten als Stadionrocker. Wahnsinn! Der Tag bis zum Hot Chip Auftritt war allerdings allein deshalb enttäuschend, weil irgendwann wirklich kein Mensch (auch nicht die herumlaufenden Festival-Angestellten) wusste, wer wann wo spielte. Es gab zwar neue, provisorisch entworfene Timetables, aber die stimmten nicht besonders lang. So kam es zur kuriosen Situation, dass ein vollständig gefüllter Hangar die Berliner Band Sizarr für die Londoner Band We Have Band hielt. Als der Gitarrist in bestem Deutsch erklärte, sie würden sich freuen, in so einer vollen Halle zu spielen und »vielen Dank für den Applaus. Wir sind Sizarr!«, sagte, staunte die Masse nicht schlecht. Etwa ein Drittel zog folgerichtig ab, der Rest blieb und gestattete Sizarr den wohl bisher größten Auftritt ihrer Bandgeschichte. Bitteschön dafür!

Ein weiterer Auftritt, der die Massen entzweite, fand um 17:30 Uhr auf Hauptbühne statt: Die englischen New Wave-Legenden Gang Of Four gaben sich die Ehre, sprangen im hohen Alter wie junge Wildschweine (»Rehe« ist hier wirklich nicht passend) über die Bühne und zerschlugen eine Mikrowelle. Die Sonne schien, eine sternenklare Nacht stand bevor und die Gang of Four haute Mikrowellen kaputt. Für einen Moment, ganz kurz, schien das Festival perfekt.


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