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Kultur

Lückenhafte Körperbilder

Das Museum der bildenden Künste zeigt Aktfotografien aus 150 Jahren – und vergisst dabei sein eigenes Revier

  Lückenhafte Körperbilder | Das Museum der bildenden Künste zeigt Aktfotografien aus 150 Jahren – und vergisst dabei sein eigenes Revier

Auch wenn die ersten Fotografien der Menschheitsgeschichte etwas so Unverfängliches wie einen gedeckten Tisch und den Blick aus einem Fenster zeigen: Es war der menschliche Körper, der bald zu einem Lieblingsmotiv der Fotografiepioniere wurde. Wie sich ihr Fokus über die Jahrzehnte veränderte und welche Bedeutung die Fotografie für die Prägung und Erkundung von Körperbildern hat, zeigt eine aktuelle Ausstellung im Museum der bildenden Künste noch bis zum 07. November.

Auch wenn die ersten Fotografien der Menschheitsgeschichte etwas so Unverfängliches wie einen gedeckten Tisch und den Blick aus einem Fenster zeigen: Es war der menschliche Körper, der bald zu einem Lieblingsmotiv der Fotografiepioniere wurde. Der Körper wurde vermessen, seine Abbilder wurden typologisiert und fein säuberlich in die Karteikästen von Medizinern, Psychiatern und Kriminalisten einsortiert.

Dass auch der unbekleidet fotografierte Körper in diese Ahnenreihe gehört und welche Bedeutung die Fotografie für die Prägung und Erkundung von Körperbildern hat, zeigt die aktuelle Ausstellung "Nude Visions" im Museum der bildenden Künste noch bis zum 07. November. Die Schau setzt sich zusammen aus Beständen des Münchner Stadtmuseums und der Sammlung Olbricht und macht nach Stationen in München, Hamburg und Wuppertal nun Halt in Leipzig. Das Museum unternimmt in seinem Unter­geschoss eine bildreiche Reise durch die Funktionen der Aktfotografie, durch ihren akademischen und ihren erotischen Zweig. Die Schwester der fotografischen Körpervermessung kann sich auf keine festen Grenzen zwischen den Genres berufen. Fotografien sind schon immer ambivalenter gewesen, als das Medium suggeriert, die Unsicherheiten und Grenzgänge, die das Medium beherrschen, sind keine Erfindung unserer Tage.

Dass im Museum nicht nur weibliche Akte gezeigt werden, hat keineswegs damit zu tun, dass eine Frau den Leipziger Anteil am Zustandekommen der Ausstellung besorgt hat, wie auf der Eröffnungsveranstaltung scherzhaft geäußert wurde – ein kleiner Herrenwitz inmitten nackter Körper. Nein, männliche Akte dienten wie auch die weiblichen dem Zeichenstudium in den Malerateliers. Und dass Erotik auch männliche Homoerotik bedeutet, zeigt die Schau ebenfalls. Von den im Rückblick rührend wirkenden frühen akademischen und erotischen Darstellungen schlägt die Ausstellung den Bogen über den Körperkult der Reformbewegung, die performativen Nacktheits-Inszenierungen der sechziger und siebziger Jahre bis hin zu den formalen Experimenten mit Körpern und Bildern von Körpern. Nan Goldins Exkurse zur »sexuellen Abhängigkeit«, Larry Clarks Teenagerpärchen und Thomas Ruffs Bearbeitungen von Porno-Footage aus dem Internet – sie sind alle dabei. So weit, so gut.

Was aber fehlt, sind die Bilder all jener Fotografen, die, sofern sie nicht sogar in den Depots des Museums schlummern, doch nur in Armweite davon entfernt gewesen wären. Eine ganze Generation einheimischer Künstler erkundete in den achtziger Jahren an der Leipziger Hochschule Körperbilder in ihrer Ausprägung Ost. Die eindrücklichen frühen »Akt­porträts« von Tina Bara, die hochsubjektiven Erkundungen des Genres durch Klaus Elle oder Florian Merkel – sie existieren nicht in der Schau. Und das, obwohl die Entstehungshintergründe der Körperbilder Ost und West zu dieser Zeit unterschiedlicher nicht hätten sein können: Nacktheit als Ware auf der einen Seite der System­grenze und auf der ande­ren die Körper als Spielfeld für das Auf­begehren gegen ein durchaus körperlich regierendes System.

Das Argument des Museums­direktors, andere Häuser hätten bereits ergänzend zu den Beständen aus der Sammlung Olbricht eigene Fotografien gezeigt und diese Idee habe man nicht kopieren wollen, sticht nicht. Denn wo sonst als in Leipzig, wo sich in den siebziger und achtziger Jahren Fotografen daranmachten, die Grenzen ihres Mediums auszu­testen, hätte man Korrektive und Erweiterungen für die Olbricht’sche Sammlung finden können? Aber auch das gehörte schon immer zu Körperbildern: die Dominanz bestimmter Blickkonventionen, das Vorherrschen bestimmter Auffassungen über das Zeigen. Das Museum hat sich und den Besuchern keine Ausnahme von dieser Gesetzmäßigkeit gegönnt.


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