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Herbe Früchte, süße Träume

Zu einem Leserbrief von Elisabeth Fues

  Herbe Früchte, süße Träume | Zu einem Leserbrief von Elisabeth Fues

An dieser Stelle beantworten kreuzer-Redakteure ausgewählte Leserbriefe. Dieses Mal reagiert unser Theaterredakteur Tobias Prüwer auf einen Leserbrief zu einer kurzen Rezension über die Inszenierung »Kiwi« am Theater der Jungen Welt. Was ist »objektiver Journalismus« und wann ist eine Rezension mehr als ein gut gemeinter Programmhinweis?

Liebe kreuzer-Redaktion,

staunend lese ich, dass Sie den Text von Franziska Reif über die Inszenierung »Kiwi« am Theater der Jungen Welt als Rezension bezeichnen. Der Text ist ein etwas ausführlich geratener Programmhinweis. Wenn überhaupt. War Frau Reif überhaupt da? Hat sie das Stück gesehen? Leider finde ich darauf keinen Hinweis. Soll sich der geneigte Leipziger das Stück anschauen? Oder definitiv fernbleiben? Die »Rezension« glänzt hier mit objektivem Journalismus. Übrigens findet am Theater der Jungen Welt im Rahmen der Werkstatttage alle zwei Jahre ein Kritikerworkshop statt. Nur Leidenschaft …, die kann man nicht lernen. Darüber hinaus empfinde ich es als Unsitte, Szenenfotos abzudrucken, und die darauf abgebildeten Schauspieler nicht zu nennen, weder im Text noch in der Bildunterschrift. Der kreuzer ist in dieser Unsitte in bester Gesellschaft, eine Unsitte aber bleibt es doch.

ELISABETH FUES, Ensemblemitglied TDJW

Sehr geehrte Frau Fues,

haben Sie Dank für Ihren Leserbrief, auch wenn ich Ihre Kritik an der Rezension von Franziska Reif nicht teile. Den absurden Vorwurf, die Autorin wäre gar nicht in der Inszenierung gewesen, übergehe ich einfach.

Warum eine Beschreibung »objektiver Journalismus« – den es so ohnehin nicht gibt – ist, erschließt sich mir nicht. Ein Stück wie »Kiwi« lässt sich nicht wie »Die Räuber« oder »Faust« ohne Inhaltsangabe besprechen, weil es kein allbekannter Klassiker ist. Und dann hat die Autorin das besondere Setting der Inszenierung – das Publikum sitzt mittendrin – wiedergegeben und dieses herausgehoben: Der Zuschauer gehöre selbst zu jenem Rand der Gesellschaft, an dem die Straßenkinder leben, müsse sich direkt und unmittelbar damit auseinandersetzen und könne sich dem nicht entziehen. Damit hat Frau Reif in meinen Augen einen Clou der Inszenierung anschaulich und positiv hervorgehoben. Dass sie sich auf dem engen Raum von 1.500 Zeichen für diese Ebene entschieden hat und nicht für eine Kritik der Schauspielenden oder Kostüme, liegt im Ermessen der Autorin.

Natürlich könnte man argumentieren, solche Kurzrezensionen gleich ganz sein zu lassen, wenn sie nicht ausreichend Platz bieten, einer Inszenierung in allen Facetten gerecht zu werden. Ich halte sie aber gerade auch aufgrund des Sich-Entscheiden-Müssens für ein gutes Format. Auch an unserer »Unsitte«, wie Sie schreiben, die Bildunterschriften selbst zu gestalten und sich die Bildgröße auch nicht von der Länge der Vor- und Zunamen der Schauspielenden bestimmen zu lassen, möchten wir gern festhalten.

In ihrem Brief sehe ich die Tendenz dokumentiert, dass viele Theatermacher erwarten, in Kritiken ein »Daumen hoch« zu lesen. Das mag auch an den auf Jubel gebürsteten Ergüssen in manchen Presseerzeugnissen liegen. Ohne ein »Chapeau!«, »Bravo!«, »Vivat!« im Text wird eine positive Kritik oft gar nicht mehr als positiv wahrgenommen. Dieser Hang zu Superlativen ist schade, sollte für uns aber kein Anlass sein, diesem beim Schreiben selbst zu verfallen.

Mit den besten Grüßen aus dem kreuzer, TOBIAS PRÜWER, Theaterredakteur


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