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Kultur

»Die physische Verdopplung des realen Raums«

Der Leipziger Maler Oliver Kossack hat das Foyer des Centraltheaters umgestaltet

  »Die physische Verdopplung des realen Raums« | Der Leipziger Maler Oliver Kossack hat das Foyer des Centraltheaters umgestaltet

Die schweren goldenen Eingangstüren, die kreisrunde Empfangshalle in Rot und Weiß oder die Bühne, der Saal, das Ensemble: In der Bosestraße 1 gibt es vieles, das Besucher aus dem Alltag entführt und ihnen ein Glitzern in die Augen setzt. Vieles, nur nicht das Garderobenfoyer. Das hat sich nun Dank Oliver Kossacks künstlerischem Projekt »Zentrum« geändert – oder zumindest gehörig verändert.

Das Foyer ist ein Ort, dem ständige Unaufmerksamkeit widerfährt, wenn Gäste nervös ihre gerade gekauften Karten kontrollieren oder sich aus ihren Mänteln hieven. Theaterfoyers sind zwar noch nicht die Knabberstände vor Kinosälen, spielen aber ebensowenig in der Liga der großzügigen Foyerhallen von Opernhäusern. Meist durchquert man sie, um noch einmal auf die Toilette zu gehen, oder verschüttet Prosecco auf den Teppich.

Die Ausstattungsleiterin des Centraltheaters, Susanne Münzner, und der Leipziger Maler Oliver Kossack wollten diese Ignoranz nicht länger dulden und haben sich das Foyer als Spielwiese für ihr künstlerisches Projekt »Zentrum« ausgesucht. Bis zum Sommer nächsten Jahres ernennen sie das Theaterfoyer zum inoffiziellen Nachfolgesternchen der elektrischen Willkommenspforte des Centraltheaters.

Münzner und Kossack brechen mit ihrer Umgestaltung des Foyers zunächst die gewohnte Wahrnehmung des Raums auf. Quer gedacht ist das direkt unterm Zuschauersaal gelegene Foyer nicht nur eine Durchgangsstation, sondern im Aufriss des Gebäudes das eigentliche, aber unbeachtete Zentrum des Theaters. An diese architektonisch prominente, aber gestalterisch vernachlässigte Lage knüpfen Münzner und Kossack an: Mit skulpturalen Arrangements, geometrischen Zersplitterungen der Oberfläche, malerisch-gestischen Spuren und ruhigen Farbbahnen machen sie auf die wahre Position des Foyers aufmerksam.

Die sonst dunkel gehaltene Beleuchtung des Aufenthaltsraums ersetzen sie durch gleißendes elektrisches Licht, statt der sonst gedeckten Wandfarben lassen sie poppiges Gold und Lila von links nach rechts durch den Raum schreien. »›Zentrum‹ soll den Ort Foyer erfahrbarer, bewusster wahrnehmbar machen – so, wie er war, ist und sein könnte«, erklärt Kossack. Das Foyer als eine Art zweite Bühne? Kossack relativiert: »Ich denke eher in der Kategorie Bühnenbild.« »Zentrum« sei keine Neugestaltung im Sinne eines neu designten Produkts, sondern es gehe um den permanenten Prozess der Veränderung im Raum. »Die Umgestaltung schafft eine Art physische Verdopplung des realen Raums«, so Kossack.

Die ursprüngliche Substanz des Foyers haben Münzner und Kossack mit Hohlkonstruktionen und Holzverschalungen ummantelt und mit zusätzlichen Säulen und architektonischen Elementen bestückt: »Die Oberfläche ist gleichzeitig das Feld, auf dem meine Malerei mit der geometrischen Gliederung des Raums spielt«, führt Kossack aus. Nicht nur die Wahrnehmung wird folglich auf die Probe gestellt, sondern auch die Erfahrung eines Raumes an sich. Und weil Unklarheiten bekanntlich kein umschiffter Punkt der Kunst sind, haben Wahrnehmung und Raumerfahrung der Gäste vorsorglich auf der blau getünchten Garderobentheke Platz genommen und machen dort Pause.

Nach mehrmaligem, intensivem Umschauen im neuen alten Raum eine Bilanz: Das triste Schattendasein des Foyers hat sich vorübergehend unter einem Discoanstrich versteckt und beherbergt inmitten des Farbrauschs fragende Blicke. Kossack versichert, dass das Projekt auch in seiner Wahrnehmung Fragen aufwirft: »Als bildender Künstler konfrontiert mich ›Zentrum‹ einmal direkt mit dem Publikum und seiner direkten Reaktion, was ja sonst nicht so oft vorkommt.« Wir, die Besucher, verändern in diesem Sinne die Wahrnehmung des Künstlers durch unsere Reaktionen auf den Raum. Vielleicht auch nur durch unsere Fragezeichen in den Augen oder weil wir trotz Kossacks und Münzners Arbeit das tun, was man so macht im Garderobenfoyer des Centraltheaters: mit den Gläsern klirren, quatschen und anschließend auf die Toilette gehen.


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