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Integrationsfrage: Ungelöst

Zu einem Leserbrief des Bündnis gegen die Integrationsdebatte

  Integrationsfrage: Ungelöst | Zu einem Leserbrief des Bündnis gegen die Integrationsdebatte

An dieser Stelle beantworten kreuzer-Redakteure ausgewählte Leserbriefe. Dieses Mal reagiert Marco Irrgang auf einen Leserbrief zu einem Artikel zur Podiumsdiskussion »Integration = Ausgrenzung? – Zur Kulturalisierung sozialer Probleme« im Centraltheater.

Liebe kreuzer-Redaktion,

mit diesem Brief reagieren wir auf den Beitrag von Marco Irrgang »Integrationsfrage: Ungelöst« in der online-Ausgabe über unsere Podiumsdiskussion »Integration = Ausgrenzung? – Zur Kulturalisierung sozialer Probleme«. Wir antworten auf diesen Artikel, weil er an vielen Stellen missverständlich formuliert ist und das grundlegende Anliegen der Veranstaltung falsch darstellt. (Viele Argumente sind aber auch richtig dargestellt.)

Nicht zuletzt der Titel des Beitrags stellt die Intention der Veranstaltung auf den Kopf. In der Diskussion wurde ganz und gar nicht nach einer »Lösung« für eine »Integrationsfrage« gesucht. Mit seinem Schlusssatz suggeriert Marco Irrgang gar, das Buch von Sarrazin habe Fragen aufgeworfen, deren »Lösung« auf der Veranstaltung diskutiert worden sei. Das war nicht der Fall. Alle Podiumsteilnehmer/innen waren der Meinung, dass es sich bei dem Sarrazin-Buch um ein rassistisches Pamphlet handelt, das keineswegs relevante Fragen aufwirft, sondern selbst Teil des Problems (Rassismus) ist.

Ausgangspunkt der Diskussion auf der Veranstaltung war vielmehr, dass in der »Integrationsdebatte« unter dem Begriff Integration Menschen stigmatisiert und diffamiert werden. Mit dem Schlagwort »Integrationsprobleme« werden MigrantInnen zu Sündenböcken für allgemeine gesellschaftliche Missstände, wie Bildungsungerechtigkeit, Arbeitslosigkeit oder Sexismus gemacht. Unter dem Stichwort »Integration« machen Regierung und Bundestag bereits seit einigen Jahren repressive Gesetze, die der Kontrolle und Ausgrenzung von MigrantInnen dienen.

In der Ablehnung dieser diskriminierenden Gesetze und der hetzerischen »Integrationsdebatte« waren sich die Podiumsteilnehmer/innen einig. Von diesem Punkt startete die Diskussion. Die Uneinigkeit bestand darin, ob man mit dem Begriff Integration im Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung überhaupt noch etwas anfangen kann. Imran Ayata und Rex Osa befanden, hinter »Integration« stehe grundsätzlich eine Einteilung, Kategorisierung, Klassifizierung von Menschen (in Normale, gut Integrierte, zu Integrierende und nicht-zu-Integrierende). Das sei ausgrenzend und undemokratisch. Daniela Kolbe und Stojan Gugutschkow dagegen verteidigten ihre Position, sich unter dem Begriff der Integration für den Abbau von Ungleichbehandlung und rechtlicher Benachteiligungen einzusetzen.

Nicht so richtig beantwortet wurde am Ende der Veranstaltung die Frage nach Handlungsansätzen im Kampf gegen Rassismus. Ein erster Schritt aus unserer Sicht ist dabei, dem Gerede von »Integration« eine Diskussion über Rassismus entgegenzustellen. Dafür sollte die Veranstaltung ein Anfang sein – und nicht für eine neue »Integrationsdebatte.«

Mit freundlichen Grüßen, Euer Bündnis gegen die Integrationsdebatte

P. S.: Einige Fehler haben sich in den Beitrag eingeschlichen, von denen wir die, die uns wichtig erscheinen, gerne richtig stellen würden: Rex Osa heißt nicht Rex Oser. Das The Voice Refugee Forum, in dem er aktiv ist, ist keine Organisation zur Beratung und Unterstützung von Flüchtlingen, sondern eine Selbstorganisation von Flüchtlingen. Daniela Kolbe hat auf der Veranstaltung sicher nicht gesagt, es gebe derzeit fünf Millionen arbeitslose Asylsuchende. Der Artikel suggeriert fälschlicherweise, es gebe nur deutsche Staatsbürger und Asylsuchende. Am stärksten Betroffen von den Zwangsmaßnahmen unter der Rubrik »Integration« sind aber Menschen mit befristeter Aufenthaltserlaubnis (ohne deutschen Pass). Wir heißen »Bündnis gegen die Integrationsdebatte« und nicht »Initiative…«.

Sehr geehrte Damen und Herren,

vielen Dank für Ihre Hinweise! Prinzipiell finde ich, dass wir in vielen Dingen einen ähnlichen Standpunkt vertreten und dass dies beim Lesen Ihres Leserbriefes und meines Beitrages auch deutlich wird. Deshalb verstehe ich Ihre Einwände zum Teil nicht. Das Rex Osa und Imram Ayta den Begriff Integration ablehnen, weil sie ihn rassistisch und diffamierend finden, habe ich beispielsweise klar zum Ausdruck gebracht.

Zur Erinnerung hier noch einmal entsprechende Passagen aus meinem Artikel: »Ein Ausdruck von Kolonialismus«, sagt Rex Osa, vom Netzwerk »The Voice Refugee Forum« / Ayata: »Weil es unterscheidet zwischen denjenigen, die dazu gehören und denjenigen, die draußen sind«, sagt Ayata, »und das ist undemokratisch.«

Auch die Verteidigung des Wortes Integration, etwa durch Daniela Kolbe, habe ich deutlich gemacht, Kolbe: »Aber man muss doch ein Problem erst benennen und klassifizieren, ehe es gelöst werden kann«.

Ich möchte auch darauf hinweisen, dass ich als Journalist versuche einen möglichst objektiven Blick auf die Ereignisse, über die ich berichte, zu werfen. Es geht darum Eindrücke zu beschreiben, ohne die Rhetorik oder die Intentionen bestimmter Akteure zu übernehmen, auch wenn es sich um ähnliche Sichtweisen handelt. Ich verstehe auch die Ziele und Absichten, die Sie mit dieser Veranstaltung verfolgt haben. Meines Erachtens wurde die Podiumsdiskussion diesen aber nur zum Teil gerecht. Es gibt hier offenbar eine Diskrepanz zwischen eigenem Empfinden und der Wahrnehmung von außen.

Dass die Runde eine Debatte um Rassismus anstoßen sollte und nicht um den Begriff Integration, wurde für mich beispielsweise nicht klar deutlich. Zugegeben Imran Ayata brachte diesen Punkt ins Spiel und hat auch versucht Stojan Gugutschkow in eine Diskussion zu verwickeln. Aber aus meiner Sicht war das nicht der rote Faden dieses Abends.

Zum Vorwurf einer fehlenden Differenzierung zwischen deutschen Staatsbürgern, Asylsuchenden und Menschen mit beschränkter Aufenthaltsgenehmigung nur so viel: Es sollte in meinem Bericht nur darum gehen, einen Eindruck von der Veranstaltung wiederzugeben und nicht ein umfassendes Bild des deutschen Asylsystems zu zeichnen. Andererseits wurde eine klare Unterscheidung von den geladenen Diskutanten ebenfalls nicht vorgenommen.

Die Fehler, die sich im Zusammenhang mit der Namensschreibweise und dem Titel ihres Bündnisses eingeschlichen haben, gehören wiederum zu den Dingen, die nicht passieren sollten. Dafür entschuldige ich mich ausdrücklich! Aus meinen Aufzeichnungen geht allerdings auch hervor, dass Daniela Kolbe tatsächlich von 5 Millionen arbeitslosen Asylsuchenden gesprochen hat.

Mit freundlichen Grüßen, Marco Irrgang


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