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Kultur

Karl die Qualle

Das Sommer-Festival-Tagebuch. Teil 1: Immergut

  Karl die Qualle | Das Sommer-Festival-Tagebuch. Teil 1: Immergut

Ein Basilikumstrauch, eine Diskokugel und ein rülpsendes Gummischwein – viel mehr hat der Käptn nicht dabei, sieht man von einer Kühlbox voller Hackfleisch und Steaks ab. Wir treffen den Käptn, wie wir ihn wegen der Matrosenmütze auf seinem Kopf nennen, auf dem Immergut Festival.

Denn das war schon immer nicht nur gut, sondern der Treffpunkt der Freunde guter Musik. Und vor allem der der sympathischen Freaks. So auch dieses Mal. Es ist ja alles eine Frage des Stils. Auch der Festivalbesuch. Das Line-Up ist natürlich wichtig, aber alles andere auch. Die Diskokugel hängen wir an den Pavillion, unter dem wir sitzen. Der Basilikum wird neben das Zelt gepflanzt, mit einem Gartenzaun aus Zeltheringen und Absperrband. Der Grill wird angeworfen, der Schnaps ausgetrunken. Es kann losgehen.

Auf der kleinen Bühne im so genannten Birkenhain singt Gisbert von Knyphausen traurig-schöne Lieder, die wir nicht verstehen. Es fängt an zu regnen, wir begeben uns direkt vor das schützende Dach der Bühne, die nun Tino Hanekamp betritt, um aus seinem Buch »So was von da« zu lesen, in dem die Protagonisten versuchen, eine Nacht in Hamburg durchzufeiern. Das Gummischwein des Käptn rülpst. Laut und immer wieder. Hanekamp weiß jetzt auch nicht, ob er lachen oder weinen soll. »Leute, wie spät ist denn das?« Halb sechs, aber egal. Hanekamp schmeißt eine Runde Wodka. Alles wird gut.

Frank Spilker singt allein ohne die Sterne seine Lieder, die einem immer noch und immer wieder und vor allem hier so aus den Herzen sprechen. Die sehr jungen Jungen von Chuckamuck punkrocken auf der Hauptbühne, aber man muss ja auch nicht alles mitmachen. Zurück zur Diskokugel. Die Zeltnachbarn kommen aus Neustrelitz. Einheimische also, die tatsächlich jedes Jahr hier sind. Manch einer schon zum 12. Mal, Tradition hat auch ihr Gutes. Während wir uns streiten, ob das auf unserem Grill Köfte, falscher Hase oder einfach nur Mett ist, singen von der Hauptbühne die schwedischen Mädchen Those Dancing Days fröhliche Lieder herüber. Denn das Schönste beim Immergut ist, dass alles so schön klein ist. Keine weiten Wege zu Bühne und Zelt, keine Schlangen vor den Dixies, alles so vertraut. Und die Musik ist immer da.

Vor der Zeltbühne bebt der Boden. Die Isländer Who knew spielen, alles tanzt und hüpft und schwitzt. Draußen danach dann Darwin Deze, der am besten von allen tanzt. Immer schön im Kreis und rappen kann er auch noch. Stimmungvollstes Highlight des Abends ist der Auftritt von Ra Ra Riot, mit Streichinstrumenten und Rock’n’Roll. Es ist längst nach Zwölf, als Mogwai anheben, eine riesige Soundkulisse über die Nacht zu breiten. Postrock at it’s best. Instrumental, laut, krass. Etwas konträr dazu die gutgelauten Indie-Smasher des DJ-Teams, mit dabei der in Leipzig altbekannte Haircut. Aber das spielt keine Rolle mehr. Hits, Hits, Hits. Wir vereinen alle verbleibenden Kräfte, aber selbst der Käptn kann bald nicht mehr stehen.

Nachts um vier im Zelt. Die Ohrstöpsel verfehlen ihre Funktion, zu laut schallen die Bässe vom Gelände. Der Zeltnachbarin reicht’s, sie spingt wieder auf, geht tanzen zu Noze, was soll man machen?

Der nächste Morgen ist nie schön, aber immerhin hat niemand den Basilikum zertreten. Es kommt sogar einer, der hat Tomaten und Mozarella und fragt, ob er was abhaben kann. Gerne, ihr wisst ja, alles mit Stil. Tagsüber macht das Schwein eine kleine Tour zu anderen Tieren, wie dem aufgeblasenen Pinguin, dem Menschen im Eisbärkostüm und dem Plüschhund an der Leine, der auf Kommando Sitz machen kann. Und zu einem Mensch im Neptunkostüm, der das Schwein auf den Namen »Karl die Qualle« tauft. Wir spielen derweil »Wer bin ich?« mit Jesus und deina Mudda. Der Käptn trifft ein Mädchen mit Verband am Arm, er erkundigt sich. »Da hat mir jemand einen Leberfleck entfernt.« Was man hier alles machen kann, freut sich der Käptn. Zum Glück geht das Programm weiter, das ist doch sonst hier alles Quatsch.

Der Radioheld der Jugend Jürgen Kuttner spielt uns die Festival-Hymne zum Mitklatschen vor: Rolf Schwendter singt systemkritisch »Ich bin noch immer unbefriedigt. Deshalb muss ich schreien.« Musikalisch geht es auf der Akustikgitarre mit Jason Collett weiter. Der Käptn trifft Erobique, der zu Hamburger Band Herrenmagazin will. Sein eigener Auftritt ist erst um halb vier, wie soll er das durchhalten? Karl die Qualle weiß es auch nicht.

Hauptact des Abends ist das Jane Fonda Trio. Eine Band, die nicht existiert und daher im Vorfeld für ausufernde Spekulationen sorgte. Die Ärzte seien es, hieß es. Aber nein, es sind Bodi Bill. Da kann man nicht meckern, da kann man nur zu tanzen. Wie zu fast allen Bands des Abends. Waters sind die alten Port'O'Brien, Balthazar bringen Pop aus Belgien, dEUS beenden in alter Würde und mit neuen Songs den Abend auf der Hauptbühne, bevor die gute, alte Indiedisko des Karrera Klubs die Abschiedsparty einläutet. Draußen um halb vier dann endlich: Erobique.

Er ist durch, das sagt er gleich. Sagt und singt es in sein Mikrofon. Er musste einfach trinken, das sei ja sonst auch gemein, hier bis halb vier nachts nüchtern rumhängen zu müssen. Dafür singt er jetzt, wie schön es ist, auf Drogen zu tanzen, wenn die Sonne gerade aufgeht. Auch ohne ist es schön.

Der Käptn hat’s verpasst. Er wacht um sechs auf. Schnappt sich alles, was sich noch bewegen kann, und tanzt zu den letzten Songs der Indiedisko. »All der Krach und Schmutz und Staub, all die Menschen in meinen Armen«, singen Tomte, singen alle. Die Hymne des Immerguts.

Und dann ist es auch schon wieder vorbei. Die Diskokugel hat irgendwer geklaut, zum Frühstück gibt’s nur noch Thunfisch, Karl die Qualle rülpst nochmal, den Basilikum lassen wir wachsen. Bis zum nächsten Mal.


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