anzeige
anzeige
Kultur

Archäologe der Gegenwart

Ralph Grüneberger zum 60. Geburtstag

  Archäologe der Gegenwart | Ralph Grüneberger zum 60. Geburtstag

»Bunte Pleite«: Der Leipziger Dichter Ralph Grüneberger ist sechzig geworden und hat sich selbst und uns einen Gedichtband geschenkt. Eine Rezension und ein Glückwunsch an die Nervensäge.

Wir hatten es nicht immer leicht miteinander, Ralph Grüneberger und der kreuzer. Ganze Generationen von Literatur-Redakteuren haben sich an dem Ur-Leipziger Dichter und Vorsitzenden der »Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik« gerieben, so wie er sich an ihnen. Und um die Wahrheit zu sagen: Der Mann ist eine Erznervensäge. Aber verdankt es sich nicht gerade dieser seiner unbeirrten Hartnäckigkeit, dass Grüneberger aus dem Leipziger Literaturleben schlicht nicht wegzudenken ist? Nein, wir können und mögen auf ihn nicht verzichten, und wir wären die letzten, die solchem Einsatz für die Literatur den Respekt versagten. Übrigens ist das Verhältnis schon seit längerem ausgesprochen entspannt. Wir werden auch nicht jünger, und da trifft man sich ab und an auf einen Kamillentee, blättert hernach noch in Grünebergers neuestem Werk – und ist aufrichtig davon angetan.

»Bunte Pleite« ist eine lyrische Reise durch das Land zwischen Ostsee und Erzgebirge. Aber selbstredend begnügt sich Grüneberger nicht mit oberflächlichen Sehenswürdigkeiten, in den fünfzig Gedichten, die zwischen 1986 und 2010 entstanden sind, erschließt er unsere Gegenden auch in ihrer zeitlichen Tiefe. »Archäologen der Gegenwart/ Sichern die bunte Pleite«, heißt es am Schluss des letzten und Titel gebenden Gedichts. Ein Archäologe stößt auf sehr unterschiedliche Dinge, kostbare und schöne, Schätze und Abfälle. Und wie sein wissenschaftlicher Kollege interessiert sich auch der poetische Archäologe Grüneberger gleichermaßen für das eine wie das andere. In »Nach der Flut« treiben »Kadaver von Kühen und Gastanks« im Wasser herum, und auch in der heimatlichen Idylle hat es Zwangsarbeiterlager und KZs gegeben. Grüneberger lässt seine Fundstücke für sich selbst sprechen; er mildert nichts ab, bläst nichts auf. Seine Lyrik ist ungekünstelt, lakonisch, bisweilen von einer schroffen, geradezu schmerzhaften Authentizität, und eben darin kunstvoll.

Und natürlich ist »Bunte Pleite« eher ein Geschenk Grünebergers an seine Leser als an sich selbst. Danke, Ralph!


Kommentieren


0 Kommentar(e)