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Kultur

Jam-Sessions à la Mittelalter

Das Leipziger Improvisationsfestival »LivFe!« belebt die Alte Musik neu

  Jam-Sessions à la Mittelalter | Das Leipziger Improvisationsfestival »LivFe!« belebt die Alte Musik neu

Zum zweiten Mal findet das Leipziger Improvisationsfestivals »LivFe!« statt, bei dem Künstler an verschiedenen Konzertplätzen Musik aus längst vergangenen Zeiten spielen.

»Alte Musik sagt uns, dass es keinen Fortschritt gibt« – Martin Erhardt, Blockflötist, Cembalist und Dozent für historische Improvisation an der Hochschule für Musik und Theater, misstraut dem Fortschrittsgedanken. Er impliziere chronologische Verbesserung und müsse damit zurückliegende Ereignisse notwendig als veraltet deklassieren. Erhardt hält es eher mit dem Begriff »Prioritätenverschiebung«, wenn er den Weg der Musikgeschichte beschreibt.

Erhardt ist Fan der vorbarocken alten Meister und künstlerischer Leiter des Leipziger Improvisationsfestivals »LivFe!«, das sich zum zweiten Mal an verschiedenen Konzertorten die Alte Musik erspielt – und das in keineswegs musealer Weise. Das Hauptaugenmerk liegt auf dem improvisatorischen Zugang zur Musik des Mittelalters, der Renaissance und des Barocks – jeweils im historischen musikalischen Vokabular.

Der Versuch, etwas wiederzubeleben, zu dessen wichtigster Eigenschaft es gehört, momentan und flüchtig zu sein, ist ein interessantes Unterfangen. Einerseits besteht der Wille zur Rekonstruktion, andererseits sind die Methoden aufgrund der dünnen Quellenlage begrenzt. Aber gerade darin sieht Erhardt einen Antrieb: »Uns bleibt nur schriftlich Überliefertes, um etwas Mündliches wiederzubeleben. Was für eine reizvolle Herausforderung!«

Eine ganze Reihe von Künstlern der Alte-Musik-Zunft ist geladen. Da finden sich Improvisationen über Tanzmusik des 15. Jahrhunderts (Ensemble all'improvviso), über Gesänge des 14. bis 16. Jahrhunderts (Le Chant sur le Livre) sowie an zwei Cembali im Geiste Bachs (Alexander Grychtolik und Eckhart Kuper) oder an der historischen Kinoorgel des Grassi-Museums zu Fritz Langs Stummfilm »Der müde Tod« (Svitlana Kapitanova). Und im Abschlusskonzert nehmen David Timm und Reiko Brockelt die Alte Musik zur Grundlage für ihre mit modernem Vokabular gestaltete Spontanmusik.

Höhepunkte des Festivals sind zum einen die Doppelkonzerte, bei denen sich je zwei Künstlergruppen improvisierend auf der Bühne begegnen und zum anderen die sogenannten Alte-Musik-Jam-Sessions, die dieses Jahr das Programm erweitern. Nach einem Eröffnungsset wird dafür das Podium für alle Musiker in Improvisationslaune geöffnet. Solche Sessions existieren bereits seit 2005 in Weimar, Leipzig und Dresden, um die für die Musik der Renaissance und des Barock typische Kultur des Improvisierens wiederzubeleben.

Letztendlich muss die Freude am Spiel der Alten Musik einfach jung halten. Erhardt sieht es so: »Früher war alles jünger, nicht älter.« Also auch die sogenannte Alte Musik.


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