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Kultur

»Wir müssen an die Front der Neuen Musik«

Hans Rotman, der Intendant des Impuls-Festivals, über alte Vorurteile, die Abo-Kultur und Olaf Schubert im Neue-Musik-Konzert

  »Wir müssen an die Front der Neuen Musik« | Hans Rotman, der Intendant des Impuls-Festivals, über alte Vorurteile, die Abo-Kultur und Olaf Schubert im Neue-Musik-Konzert

Es ist das bundesweit einzige Orchesterfestival für Neue Musik, zu dem sich alle Orchester und Theater eines Bundeslandes zusammenschließen: Bereits zum vierten Mal findet das Impuls-Festival in Sachsen-Anhalt statt. Seit 2008 zieht der in Rotterdam geborene Dirigent und Komponist Hans Rotman aus, die Musik ab den fünfziger Jahren bis heute in Mitteldeutschland zu verbreiten. Motto der diesjährigen Ausgabe: »Zwischen Nacht und Traum«.

 

kreuzer: Herr Rotman, wo zwischen Nacht und Traum liegt die Neue Musik?

HANS ROTMAN: Oh, das ist leicht. Bei dem Titel ging es uns um die spannende Halbwachphase, in der die Fantasie am größten ist und am meisten spielt. Es ist ein Vorurteil, die Neue Musik sei schwer, trocken und kopflastig. So ist der Titel eine Einladung, sich auf die Fantasie einzulassen, ohne Vorurteile.

kreuzer: Viele verbinden mit Neuer Musik ja eher den Albtraum.

ROTMAN: Ja, hier greift das alte Vorurteil. In Holland nennt man das scherzhaft »beinharte« Neue Musik. Damit sind die rücksichtslos konzipierten Programme gemeint. Da sitzen dann 20 Leute in einem schlecht beleuchteten Raum, der noch dazu schlecht geheizt ist, und spielen Neue Musik für ebensoviele Hartgesottene im Publikum.

kreuzer: Dieses Jahr treten auch Dieter Hallervorden und Olaf Schubert beim Impuls-Festival auf. Was haben die mit Neuer Musik zu tun?

ROTMAN: Was die gemein haben? Die spielen jetzt dort, wo man sie nicht erwartet (lacht). Ich bin ein enormer Fan von Olaf Schubert. Und wenn er den Tribun in Maurizio Kagels »Der Tribun (oder 10 Märsche um den Sieg zu verfehlen)« spielt, der sich hoffnungslos verhaspelt, passt das wunderbar. Solche außergewöhnlichen Kombinationen muss man suchen, so etwas machen die Festivaldramaturgin Almut Fischer und ich liebend gern. Wir wollen den Blick auf die Neue Musik überraschend gestalten, sie »lekker« machen, wie der Holländer sagt. Neue Musik kann sexy sein.

kreuzer: Als Holländer in Mitteldeutschland: Wie würden Sie die musikalische Landschaft der Neuen Musik hier mit der in Ihrer Heimat vergleichen?

ROTMAN: In Holland ist es sehr ausgeprägt, ausgefallene Spielorte zu finden. Es gibt außerdem eine sehr bewegliche Szene. Auch gezwungenermaßen, denn es gibt nicht so viele städtische Institutionen. Das Publikum hier ist viel stärker Abo-orientiert und sitzt in den Theatern. In Holland habe ich viele spezialisierte Ensembles für Neue Musik geleitet, hier merke ich, dass ich es andersherum machen muss. Ich muss dafür sorgen, dass die Neue Musik bei den örtlichen Sinfonieorchestern ihren Platz findet, denn da sitzt das Publikum. Übrigens, in Holland gibt es außer in Amsterdam und außer der Nationalen Reiseoper keine Theater mit eigenen Ensembles oder Orchestern mehr.

kreuzer: Die teilnehmenden Orchester sind ansässig in den verschiedenen sachsen-anhaltischen Städten. Welche Rolle spielt der MDR?

ROTMAN: Für das Festival ist die Mitarbeit des MDR ein großer Gewinn – mit tollem Orchester und fantastischem Chor. Aber es gibt ein Problem: Wo spielt man mit denen? Die sind im Prinzip nie willkommen, weil es überall, wo die hinkommen, meist schon ein Orchester gibt, das dann um sein Publikum bangt. Die Orchester im Festivalverband für die Neue Musik zu vereinen, gibt der Sache jedoch ein neues Gesicht. Denn die aktive Suche nach einem neuen Publikum ist letztendlich für alle Orchester gut. Außerdem habe ich keine Angst vor gesunder Konkurrenz! Es ist wie in Amsterdam: Hast du zwei Kneipen an der Ecke, laufen beide Kneipen besser, als wenn nur eine da wäre.

kreuzer: Zeitgenössische Musik in Mitteldeutschland beziehungsweise Sachsen-Anhalt: Wie lautet Ihre Bestandsaufnahme?

ROTMAN: Für ein erfolgreiches Festival brauchst du eine erfinderische Programmierung, Zeit, Mut und vor allem Fantasie. Das ist im Festivalverband einfacher als für ein Theater oder Orchester allein, das unter den heutigen Sparzwängen keine Risiken mehr eingeht. Und Neue Musik ist immer ein Risiko, wenn auch ein spannendes. In einer sogenannten »Win-Win-Situation« nimmt das Festival den Orchestern dieses Risiko: Kommen die Programme gut an, ist es deren Erfolg, ist das nicht der Fall, geht es Impuls an den Kragen. In Mitteldeutschland ist die Neue Musik manchmal ein hartes Brot. Wir müssen an die Front der Neuen Musik. Es ist einfach, Neue Musik in Metropolen zu machen.

kreuzer: Wie sehen Sie die Situation der Neuen Musik?

ROTMAN: Das Repertoire der Neuen Musik wächst so wahnsinnig schnell. Da müssen wir uns keine Sorgen machen, dass es langweilig wird! Leider stecken die Finanzierungsstrukturen für die Musik noch immer fest in der Periode der Großen Oper und der Sinfonik: in der Romantik. Die Folge ist, dass oft überall ein ähnliches Repertoire gespielt wird. Aber eigentlich müsste doch auch Geld dahin, wo am meisten neu geschaffen wird, also in eine lebendige neue Szene!


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