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Kultur

»Nicht jede Figur kann man wieder leicht ablegen«

Nina Hoss über ihren neuen Film »Fenster zum Sommer«, Schicksal und ihre häufige Zusammenarbeit mit Christian Petzold

  »Nicht jede Figur kann man wieder leicht ablegen« | Nina Hoss über ihren neuen Film »Fenster zum Sommer«, Schicksal und ihre häufige Zusammenarbeit mit Christian Petzold

Seit sie vor 15 Jahren unter der Regie von Bernd Eichinger die Frankfurter Edelprostituierte Rosemarie Nitribitt spielte, ist Nina Hoss eine feste Größe im deutschen Film. Mittlerweile hat sie in unzähligen Filme mitgewirkt: von »Die weiße Massai« über »Elementarteilchen« bis hin zu »Nackt« und »Wolfsburg«. Gerade hat sie ihren fünften Film mit Christian Petzold, aus dessen Feder auch »Wolfsburg« stammt, gedreht. In »Fenster zum Sommer« von Hendrik Handloegten spielt die 36jährige nun eine Frau, die sechs Monate in der Zeit zurück katapultiert wird, an einen Punkt in ihrem Leben, den sie längst hinter sich glaubte. Statt mit ihrer neuen Liebe im finnischen Sommer lebt sie plötzlich wieder im nasskalten Berlin und mit einem völlig anderen Mann.

kreuzer: Einen Teil Ihres Lebens noch einmal zu leben – wäre das für Sie ein Traum oder ein Alptraum?

NINA HOSS: Ich finde die Vorstellung, noch einmal in die eigene Vergangenheit zu reisen, gar nicht so verlockend. Ich bin eher ein Mensch, der das, was passiert ist, ruhen lassen kann und lieber nach vorne blickt. Die Vorstellung zurückzugehen und die Vergangenheit, so wie es im Film geschieht, in eine andere Richtung zu lenken, wäre mir eher unheimlich.

kreuzer: Gibt es keine Zeit in Ihrem Leben, die Sie gern noch einmal erleben würden?

HOSS: Die völlige Unbeschwertheit, die ich als Kind gehabt habe, würde ich gern noch einmal erleben. Keine Verantwortung und sich um nichts kümmern müssen. Aber ansonsten gibt es in meinem Leben keinen Moment, von dem ich denke, dass ich vollkommen anders hätte handeln sollen.

kreuzer: Der Film gibt keinerlei Erklärung, wie es dazu kommt, dass Juliane plötzlich in ihrer eigenen Vergangenheit wieder aufwacht. Haben Sie sich selbst eine ausgedacht?

HOSS: Gar nicht. Entweder man macht das Gedankenexperiment mit oder man kann damit gar nichts anfangen. Für mich war das eine interessante Setzung: Jetzt schauen wir diesem armen Menschen zu, wie er sich noch einmal durch die eigene Vergangenheit ackert. Mir hat gefallen, dass die Figur dabei offen bleibt und sich mit einer gewissen Kraft dieser Merkwürdigkeit stellt. Zunächst ist Juliane entsetzt und kann gar nicht verstehen, was mit ihr passiert. Sie muss sich ihr Leben wieder neu zusammensuchen, realisiert langsam, dass sie tatsächlich etwas versäumt hat, und findet die Kraft sich den Konflikten zu stellen, denen sie vorher aus dem Weg gegangen ist.

kreuzer:… und sie versucht dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen. Glauben Sie an das Schicksal?

HOSS: Nein, überhaupt nicht. Ich bin selbst verantwortlich dafür, was mir passiert. Ich strecke nicht die Arme aus und denke, dass alles sowieso vorherbestimmt ist.

kreuzer: Wird Ihr Leben von den Figuren, die Sie spielen, beeinflusst?

HOSS: Ich würde nie sagen, dass ich von den Figuren, die ich spiele, etwas lerne. Ich mache mit ihnen Erfahrungen, durchlebe Situationen und stelle ihnen Gefühlswelten zur Verfügung. Ich kann mein Leben schon sehr gut von meinen Rollen trennen. Aber das heißt nicht, dass man jede Figur wieder leicht ablegen kann. Die Rolle in »Anonyma« hat mir zum Beispiel noch lange nachgehangen.

kreuzer: Die Balance zwischen Fragilität und Stärke bestimmt viele ihrer Figuren. Wie finden Sie da das richtige Gleichgewicht?

HOSS: Ich glaube nicht, dass Menschen immer stark oder immer schwach sind. Auch wenn man am Boden liegt, muss man sich entscheiden, ob man aufgibt oder sich noch einmal hochzieht. In solchen Situationen entwickeln die Menschen Stärke und das sind für mich immer die spannendsten Momente. Mich interessieren Frauenfiguren, die ein gewisse Empfindsamkeit haben und trotzdem zu einem Punkt kommen, an dem sie sich die Entscheidung nicht aus der Hand nehmen lassen.

kreuzer: Wie durchlässig gestalten Sie Ihre Filmfiguren? Wie viel geben Sie von deren Seele und deren Geheimnissen preis?

HOSS: Es ist keine bewusste Entscheidung, eine Figur besonders geheimnisvoll anzulegen. Aber ich will nicht, dass man beim Zuschauen gleich alles durchschaut. Das Leben ist nicht einfach. Menschen sind vielschichtig.

kreuzer: Sie drehen gerade Ihren fünften Film mit Christian Petzold. Was schätzen Sie an diesem Filmemacher besonders?

HOSS: Er schreibt einfach grandiose, wunderschöne Drehbücher, die sich wie Romane lesen. Durch wenige Worte erfährt man dort ganz viel vom Hinterland der Figuren. Er ist ein sehr guter Geschichtenerzähler und hat zu Deutschland etwas zu sagen. Wir arbeiten unheimlich gern zusammen. Bei seinen Filmen bin ich auch schon sehr früh involviert und habe fast ein Jahr Zeit, mich mit der Figur zu beschäftigen.

kreuzer: Wie viel Freiraum, wie viel Führung erwarten Sie von einem Regisseur?

HOSS: Am besten ist es, wenn man vorher so viel geklärt hat, dass man im Moment des Spieles frei ist. Ich kann nichts damit anfangen, wenn man mir genau sagt: »Jetzt geh dahin und nimm das Glas.« Solche Dinge ergeben sich organisch, auf der Basis dessen, was man vorher besprochen hat. Ein Regisseur soll wissen, was er will, aber vor allem soll er eine Atmosphäre schaffen, in der etwas entstehen kann.


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