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Filmkritik

Ein Mann wie ein Baum

Regisseur Clint Eastwood zeichnet in seinem neuen Film »J. Edgar« ein spannendes wie zurückhaltendes Biopic über J. Edgar Hoover

  Ein Mann wie ein Baum | Regisseur Clint Eastwood zeichnet in seinem neuen Film »J. Edgar« ein spannendes wie zurückhaltendes Biopic über J. Edgar Hoover

Eastwood legt den Fokus des Films nicht nur auf das öffentliche Leben des Begründers und langjährigen Direktors des FBI, sondern erzählt von Hoovers Kindheit, über seinen beruflichen Aufstieg wie seine 50 Jahre währende Regentschaft über das FBI bis hin zu seinem Tod im Jahr 1972.

Im Dunkeln sitzt der alte J. Edgar Hoover (Leonardo di Caprio) in seinem Büro. Die Stirn liegt faltig in seinem aufgedunsenen Gesicht. Allein Hoovers Augen funkeln noch immer, wenn er von seinem Kampf gegen den Kommunismus erzählt und davon wie alles anfing damals. Kurz darauf sieht man den jungen Hoover zielstrebig durch die Flure des Bureau of Investigation hasten, welches er später zum FBI ausbauen wird.

Man könnte ein aufreibendes Bioepos erwarten, nicht aber von Clint Eastwood, der sich in seinem Film »J. Edgar« gewohnt zurückhält. Stattdessen konzentriert er sich ganz auf die Person J. Edgar, auf einen innerlich zerrissenen Mann. Der in die Jahre gekommene Hoover diktiert Anfang der siebziger Jahre in seinem Büro jungen Studenten seine Memoiren. Durch Rückblenden gelingt Regisseur Clint Eastwood ein rundes wie unverklärtes Bild dieser sagenumwobenen Figur J. Edgar Hoover. Eastwood selbst, jenseits unseres heutigen Informationszeitalters, mit einem heroischen Bild Hoovers groß geworden, geht es vor allem darum, diese Einseitigkeit der eigentlich so vielschichtigen und widersprüchlichen Person zu korrigieren.

Bis zu seinem Tod 1972 hatte Hoover fast fünfzig Jahre lang als Direktor des FBI gearbeitet und sich in dieser Zeit als mächtigster Mann der USA etabliert. Umstritten waren seine Methoden, mit denen er Kommunisten oder andere Konkurrenten bespitzelte. Zielstrebig setzte Hoover seine Vorstellungen eines Federal Bureau of Investigation (FBI) durch, indem er die besten Forensiker des Landes um sich scharrte und eine Systematisierung der Ermittlungsdaten einführte.

Über sein Privatleben und seine vermeintliche Homosexualität wurde jedoch viel spekuliert. Der FBI-Begründer lebte mit seiner strengen, homophoben Mutter (Judi Dench) zusammen, die er abgöttisch liebte. Immer in Augennähe begleiten ihn seine engsten Vertrauten, wie sein attraktiver Assistenten Clyde Tolson (Armie Hammer) und seine Sekretärin Helen Gandy (Naomi Watts). Mit Tolson wurde ihm immer wieder eine sexuelle Beziehung nachgesagt, Gandy galt als Herz des Bureaus. Sie stand Hoover bis zu dessen Tod zur Seite.

Jede einzelne Beziehung zu Hoovers Wegbegleitern allein wäre wohl ein Film wert gewesen. Eastwood entschied sich für einen behutsamen Umgang mit seinen Charakteren. Man erfährt gerade so viel von ihnen, wie man braucht, um die Person Hoover zu verstehen. Wie weit beispielsweise die Beziehung zwischen ihm und seinem Assistenten tatsächlich ging, lässt auch Eastwood offen. Anhand kleiner Gesten, etwa wenn Hoover liebevoll Tolsons Hand im Auto nimmt, kann man vermuten, das die beiden mehr als nur freundschaftliche Gefühle verband. So werden Gefühle über Berührungen nur angedeutet, anstatt ausgesprochen.

Grandios verkörpert Leonardo di Caprio die Entwicklung Hoovers vom zielstrebigen Karrierestarter hin zum mächtigsten Mann jener Zeit, der auch nach all den Jahren an seinen Grundsätzen nicht rütteln lässt. Ein Mann wie ein Baum. Aus all den Geschichten und Erzählungen um und von J.Edgar hätte Clint Eastwood in Anlehnung an aktuelle Debatten auch einen Film über Datenschutz oder Integrität machen können. Dazu lässt sich Eastwood allerdings nicht hinreißen, genauso wenig wie zu Spekulationen über Hoover. Mit »J. Edgar« ist ihm vielmehr ein kluges Porträt gelungen, das zwar keine Stellung bezieht, dafür aber ganz nah dran ist an dem einst mächtigsten Mann der USA.


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