anzeige
anzeige
Heavy Celeste

Das Ro(c)ko(c)ko der Romanik

Heute in Heavy Celeste: Tagespolitik und ein Fernsehtipp

  Das Ro(c)ko(c)ko der Romanik | Heute in Heavy Celeste: Tagespolitik und ein Fernsehtipp

Nicht auf den Metalhead gefallen: Warum das Nichts im Schädel nur die halbe Wahrheit ist und wir den Panzer-Volker vermissen werden.

Neulich in der Stadtratssitzung traf ich auf Kuno, den fantastisch-fahrigen Moderator von Nightfall bei Radio Blau. Zwischen den Journalistenkollegen fiel er angenehm auf. Da uns nicht jeder Punkt auf der Tagessitzung interessierte – Pro/Contra Senkrechtparken hinterm Zoo oder was die FDP von Bildungsgerechtigkeit hält – versenkten wir uns in unsere mitgebrachten Lektüren. Immer mal wieder wurde es dann doch interessant oder skurril, etwa als NPDepp Gerhardt über die »Renaissance des Mittelalters« im Bildungsbereich halluzinierte und ich mich fragte, ob er nicht eher das Rokoko der Romanik meinte. Dass OB Jung und seine Paladine auf eine Grünen-Anfrage, wie sie auf die veränderten GEMA-Sätze reagieren und wie sie das damit drohende Clubsterben verhindern wollen, keine Antwort hatten, war hölleschreiend blamabel. Dann wohl mit städtischem Segen weiterhin nach dem Motto agieren: legal, illegal, scheißegal. Irgendwann schaute Kuno von seinem Buch über einen jüdischen, von den Nazis ermordeten Fußballnationalspieler auf, erblickte mein Buch über den Brainkiller Kulturindustrie und lachte: »Wir Metalheads sind die einzigen, die Bücher dabei haben. Man könnte ja glauben, wir wären intellektuell.« Der hat Einfälle.

Was die Leutz von »Heavy Metal nix im Scheddel...?« sagen würden? Nun sie haben sich ein bisschen eingeigelt, um erst im September mit der eigenwilligen Kreuzung Marduk-Immolation-Gig black-death-mäßig zurückzuschlagen. Aber dem rhetorischen Fragezeichen im Crew-Namen nach müssen sich Grind und Grips, Hirn und Howling, Blasts und Birne nicht zwanghaft ausschließen. Und auch wenn hier nicht mit einer repräsentativen Studie gedient werden kann, darf dieses Ergebnis wohl angenommen werden. Schließlich macht die Kulturindustrie keine Gefangenen, wie ich nicht erst aus der Stadtratssitzungslektüre gelernt habe, und noch jedes Undergroundphänomen wurde an die Masse verschleudert. Und da kann ja nicht jeder drunter nur tumb sein. Sogar promovierte Metal-Bekenner gibts, wie den Soziologen Keith Kahn-Harris. Er ist der Autor der nicht mehr taufrischen, aber absolut erhellenden Schrift »Extrem Metal. Music and Culture on the Edge« und wird hier in Bälde als Interviewpartner einen Gastauftritt haben.

Ob er selbst in den Extrem-Metal-Kreisen auch nur als Gasthörer verkehrt, kann man sicher verneinen. Aber mit dem Säulenunheiligen aller Nachtschattengewächse Volker Panzer muss man einfach sympathisieren. Wo sonst als im Nachtstudio konnte Mensch zu später Stunde Mensch sein, individuell intellektuell abhängen, wenn der ganze Rest schon ratzte? Noch wach, keinen Bock auf seichten Mainstream? Die Panzer-Sendung ist einfach für den Metalhead gemacht. Umso erschütterter war ich, als ich der Tage vernahm, dass Panzer aufhört. Der Ruhestand, der Einstieg in den Ausstieg sei ihm gegönnt – zumal er sich mit einem ironischen »Loblied auf die Faulheit« verabschiedet. Aber warum das ZDF – mit nem Zweiten scheißt man besser? – das Kaminzimmer-Gespräch mir nüscht, dir nüscht einstampft, kann mir keiner erklären. Aufklärung ohne Abflachung und pure Lust aufs Denken ist bei Fernsehmachern wohl nicht erlaubt, die Mainzelmännchen-Clips lustig finden. Wo nun sollen Themen wie »Wenn der Körper denkt« und »Rückkehr zur Gelassenheit«, »Sex oder Liebe. Wo bleiben die Gefühle?« und »Strategien der Weltverbesserung« behandelt werden? Wer sonst erklärt die Welt: »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein – Erkenntnisquelle Rausch«? In Flammen soll das verkrüppelte Sendeschema aufgehen. [So, den Festival-Hinweis habe ich nun noch unterbekommen – hier spielen übrigens als Headliner folgerichtig Obituary, was ja nichts anderes als Nachruf heißt]

Die letzte Sendung, die diesen Sonntag um 0:20 Uhr läuft, stellt die Frage: »Wie viel Kultur braucht der Mensch – heute?« Das ZDF wird keine Antwort haben. Mit der Kultur ist es wie mit Metal, ohne sie ist alles nichts. Dann kann ich auch gleich das Ro(c)ko(c)ko der Romanik ausrufen. Volker, machs gut!


Kommentieren


1 Kommentar(e)

spät gelesen 29.08.2012 | um 17:45 Uhr

leider erst jetzt gelesen - ja, schade, dass das nachtstudio nich mehr ist