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Kultur

Mittelfinger hoch

Das Festival-Tagebuch, Teil 7: Schwitzen auf dem Highfield (mit ganz vielen Bildern):

  Mittelfinger hoch | Das Festival-Tagebuch, Teil 7: Schwitzen auf dem Highfield (mit ganz vielen Bildern):

Staub. Überall ist Staub. In der Luft, auf den Schuhen, selbst wenn man sich die Nase putzt … Ansonsten ist da noch ganz viel Rock. Und ein kleines bisschen Hiphop. Das Highfield lockte wieder 20.000 Menschen vor die Tore der Stadt. Sie brachten unter anderem einen aufblasbaren Gummipenis mit.

Das Schönste am Highfield ist ja der Störmthaler See. Wie man hört, ist der noch gar nicht eröffnet, was schon allein deswegen toll ist, weil man vorher gar nicht wusste, dass ein See eröffnet werden muss, und man deswegen natürlich vor der Eröffnung noch viel lieber drin schwimmen geht. Es gibt die offizielle Badestelle, die eingezäunt und begrenzt ist, und es gibt den Rest des Sees. Klare Entscheidung für Zweiteres. Ein Security-Mann sieht es auch nicht als seine Aufgabe an, uns davon abzuhalten. »Wenn ich jetzt allen sagen soll, geht da nicht hin, dann bin ich ja nur am hin- und herrennen.« Das will natürlich keiner. »Geht da mal runter, da ist schön.« In der Tat. Ist ja auch das heißeste Wochenende des Jahres oder Jahrtausends oder überhaupt, es ist vor allem endlich mal heiß.

»Ich habe noch nie an einem so heißen Ort gespielt, ich flipp' aus«, ruft Casper. Wir flippen auch aus. Guter Mann. Böses T-Shirt. Was soll das mit dieser Batik-Mode? Und dass man in diesem Jahr schon den zweiten Artikel schreibt, in dem ein gebatiktes T-Shirt erwähnt wird, macht noch mehr Angst. Totschweigen? Ja. Aber es steht »Mit Verachtung« drauf und das ist wiederum wahr und richtig. »Mittelfinger hoch«, brüllt Casper. Also alle so Mittelfinger hoch. »Wer von euch war schon mal auf einem Hiphop-Konzert?« Ein paar Menschen schreien. »Okay, zählen wir Samy Deluxe dazu. Wer war schon mal auf einem Hiphop-Konzert?« Viele Menschen schreien. Dann lobt der Rapper Slayer. Jemand buht. »Was? Was kann man gegen Slayer sagen?« Nichts. Gegen Casper auch nicht. Ein Wolf auf dem Transparent, ein Lied für den nicht mehr da seienden Freund, eine Hymne auf die letzte Gang der Stadt. Bei Casper ist immer alles schlimm, aber nie schlimm genug, um nicht mitzutanzen. Und ihm gelingt es, einen der wenigen Momente des Highfields zu schaffen, in denen alles perfekt ist. Und jetzt wieder alle: »So perfekt.« Und sind das Kraftklub, die da plötzlich auch auf der Bühne rumhüpfen?

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Die waren am Freitag schon hier, trieben ihre belustigenden Spielchen mit der Masse: Linke Seite brüllen, rechte Seite brüllen. »Ich dachte ja, die linke Seite ist lauter«, meint Felix Brummer. Also alle brüllen. Und dann sind für einen kurzen Moment alle aus Karl-Marx-Stadt. Original Ostler, die springen und klatschen.

Während sie das tun, fangen auf der anderen Bühne schon The Shins an. Vergleichsweise leer ist es hier. Dafür entspannt. James Mercer und seine Bandkollegen spielen vor allem die fröhlicheren ihrer Lieder, während sie direkt in den Sonnenuntergang schauen. Sie haben sichtlich Spaß, obwohl genauso ersichtlich ist, dass sie hier – so zwischen Kraftklub und K.I.Z. reingequetscht – nicht so richtig hinpassen. Bei »New Slang« singen aber doch einige mit, irgendein Idiot schreit laut »schwul« und ruft nach »Punk«.

Dieses Publikum! Die meisten hier sind wahlweise besoffen, Rocker, total jung, ziemlich alt, bierbäuchig, dreckig, halbnackt, nicht ganz zurechnungsfähig. Irgendjemand hat einen aufblasen Riesengummipenis dabei, der wandert jetzt immer in den ersten Reihen herum. Andere rennen bei 35 Grad im Schatten in plüschigen Ganzkörpertierkostümen übers Gelände. Ein absoluter Knaller sind aufblasbare pinke Hände der Telekom, mit denen alle immer den Bands zuwinken, was so ein blöder Werbedreckstrick ist, dass man gerne vorschlagen würde, alle diese pinken Hände zu verbrennen. Als anti-kapitalistischen Großprotest quasi, und damit sie einem nicht ständig vor dem Gesicht rumwackeln.

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Macht hier aber keiner. Dafür brüllen alle beim K.I.Z.-Konzert »Du Hurensohn«, nachdem die die Nationalhymne angekündigt haben. Bei Bonaparte wird fröhlichst getanzt und wir verleihen ihnen hiermit den Preis für die besten Kostüme. H-Blockx sind alt geworden, singen aber immer noch »Little Girl«. Die Sportfreunde Stiller sind neben den Beatsteaks und Placebo einer der Headliner, was irgendwie aussagekräftig genug ist, dafür haben sie tolle Riesenwürfel auf der Bühne, auf denen bewegte Bilder gezeigt werden. Zu den Punkhelden Social Distortion kann die Autorin dieser Zeilen leider nichts sagen, weil sie aus privaten Gründen verhindert war. Dafür hat sie sich dann aber am Sonntag in den Sänger von Refused verknallt, weil der immer so hoch springt und sich auf den Boden wirft und auf Boxen klettert und Mikrofonständer um sich schmeißt, und bei all dem sehr elegant aussieht. Und weil er sich noch an das letzte Konzert im Conne Island erinnern kann.

Man würde gerne noch bleiben und ihn anstarren, aber auf der zweiten Bühne fangen die Black Keys schon an. Dass man die Musik der anderen, teilweise zeitgleich bespielten Bühne immer auch ein bisschen mithört, wenn man nicht direkt vor der Bühne steht, ist das größte Manko dieses Festivals. Wieso die auch nach der Erfahrung des letzten Jahres wieder so stehen, bleibt ungeklärt.

Kleine technische Probleme kommen dazu, als unter anderem bei den Black Keys kurz die Hälfte der Boxen ausfällt. Dafür machen die Amerikaner aber eine solide Rockshow, die mit einer Diskokugel endet. Da kann man mal ganz ohne Telekom-Hand laut in die Hände klatschen.

Die Tatsache, dass wir nicht auf dem Zeltplatz, auf dem man vor lauter Staub, Müll und Menschen sein eigenes Zelt nicht findet, schlafen müssen, sondern in zwanzig Minuten zu Hause sind, ist fast genauso schön ist wie der Störmthaler See.

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