anzeige
anzeige
Filmkritik

Wie zehntausend Säue

Heute startet die Verfilmung des Bestsellers »Die Vermessung der Welt«

  Wie zehntausend Säue | Heute startet die Verfilmung des Bestsellers »Die Vermessung der Welt«

Der Naturforscher Alexander von Humboldt zieht aus, die Welt zu vermessen, der Mathematiker Carl Friedrich Gauß zieht es vor, zu Hause zu bleiben und sie zu berechnen. Was die beiden verbindet, ist die Neugier und Wissenschaft, was sie trennt, sind ihre Arten und Lebensumstände, die Welt zu erfahren und zu verstehen. In »Die Vermessung der Welt« liefert Detlev Buck wie eh und je solide Unterhaltung, bleibt in der bildlichen Umsetzung aber hinter den Möglichkeiten, die die Geschichte hergibt.

»Es ist ein Treiben in mir, als wären es zehntausend Säue«, ruft Alexander von Humboldt (Albrecht Abraham Schuch) begeistert aus und atmet die Luft des fremden Kontinents tief ein. Endlich ist er dort, wo er sich Zeit seines jungen Lebens hingesehnt hat. Weg aus der Enge Preußens und auf in die unerforschten Weiten Südamerikas. Ein unbändiger Drang die Welt zu erkunden, beseelt den Aristokratensohn, der im frühen 19. Jahrhundert zum bedeutendsten wissenschaftlichen Feldforscher in unterschiedlichsten Disziplinen von der Physik, Chemie, Geologie, Mineralogie bis zur Botanik, Zoologie und Klimaforschung wurde. Reisen – das ist Carl Friedrich Gauß (Florian David Fitz) ein Graus. Seine Entdeckungen macht der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Mathematiker, Astronom und Begründer der modernen Zahlentheorie allein in seinem Kopf.

Die beiden konträren Wissenschaftsgenies führte Daniel Kehlmann in seinem 2005 erschienenen Roman »Die Vermessung der Welt« zusammen, von dem mehr als zwei Millionen Exemplare allein im deutschsprachigen Raum über die Ladentische gingen. Nun hat Detlev Buck den Weltbestseller fürs Kino adaptiert – ein hoch ambitioniertes Projekt für einen Regisseur, der nach seinen Komödienerfolgen, von »Wir können auch anders« bis zu »Männerpension«, mit Filmen wie »Knallhart« und »Same Same But Different« in den letzten Jahren gezielt in kleineren, halbdokumentarischen Formaten gedreht hat. Kehlmann selbst hat am Drehbuch mitgeschrieben und den Roman, der ohne direkte Rede verfasst ist, ins Dialogische übersetzt. Der Film arbeitet die Kontraste zwischen den beiden gleichberechtigten Hauptfiguren deutlich heraus.

Auf der einen Seite Humboldts Kindheit in der preußischen Adelsgesellschaft, wo er mit Privatunterricht zu einem vielseitig gebildeten, wissenshungrigen Mann heranwächst, wohingegen es Gauß auf der anderen Seite allein seinem mathematischen Genie zu verdanken hat, dass er sich nicht wie seine Eltern als Ziegeleiarbeiter verdingen muss. Später, als Humboldt in Südamerika anlandet und dort die tropische Fauna und Flora, den Amazonas, Naturvölker und Kannibalengebiete erkundet, wird der Gegensatz zum düsteren, deutschen Kleinstadtmief, aus dem sich Gauß kaum herausbewegt, noch stärker visualisiert. Dabei mangelt es den Humboldtschen Reisesequenzen allerdings an cineastischer Größe. Dieser Erzählstrang schreit förmlich nach imposanten Landschaftsaufnahmen, in denen das Verhältnis zwischen Mensch und Natur adäquat ins Bild gefasst wird. Aber dafür fehlten der knapp budgetierten Produktion offensichtlich wohl nicht allein der künstlerische Wille, sondern vor allem die finanziellen Ressourcen. Das sieht man auch deutlich in den komparsenintensiven Szenen, in denen kostspielige Totalen gemieden werden. Stattdessen wurde das Geld in die aufwendige 3D-Technik gepumpt, die hier nicht wirklich überzeugen kann. Ein Zeigefinger hier, der sich in den Zuschauerraum bohrt, ein paar Schmetterlinge dort, die sich von der Leinwand lösen – das sind nette Spielereien, ergeben aber noch längst nicht das spektakuläre, durchkomponierte, visuelle Konzept, das der Stoff verdient hätte.

Immerhin wird hier schauspielerisch einige Ausgleichsarbeit geleistet: Florian David Fitz ist als junger Gauß, der in seiner eigenen Genialität eingesperrt ist, genauso überzeugend wie als alter, knorriger Mathematiker, der den Kleingeist seiner Umgebung verachtet. Die durchaus eigenwillige Art, mit der sich das Genie um das Herz seiner Johanna (Vicky Krieps) bemüht, wird sehr hübsch ausgespielt. Mit Albrecht Abraham Schuch hat man sich für ein junges, unverbrauchtes Gesicht entschieden, was der Darstellung des Humboldtschen Forscherelans die richtige Frische verleiht. Dennoch bleibt diese Verfilmung eines der wichtigsten Romane der jüngeren, deutschsprachigen Literatur deutlich hinter den Möglichkeiten des Stoffes zurück. Die zehntausend Säue, die Humboldt antrieben – im künstlerischen Elan des Films finden sie keine wirkliche Entsprechung.


Kommentieren


0 Kommentar(e)