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Kultur

Subtil, liebevoll und brüchig

Start der Lateinamerikanischen Filmtage

  Subtil, liebevoll und brüchig | Start der Lateinamerikanischen Filmtage

Nach der Absage der Argentinischen Filmtage im Oktober widmet sich der Verein Sudaca ausführlich der Kinematografie Lateinamerikas.

Seine neue Freundin taucht schon länger nicht mehr in der gemeinsamen Wohnung auf und das Freizeitfußballteam hat sich irgendwie auch gegen ihn verschworen. Um seine Patienten loszuwerden, täuscht er Stromausfälle vor. Die Rede ist von Rodolfo (Humberto de Vargas) – Zahnarzt, besessener Zimmerpflanzenpfleger und geschieden. Während Rodolfo zunehmend vereinsamt und eine äußerst innige Beziehung zu seinen Topfpflanzen hegt, verliebt sich seine Ex-Frau (Sara Bessio) gerade neu. Die gemeinsame Tochter (Anaciara Ferreyra Palfy) steckt mitten in der Pubertät und hat so gar keine Lust auf Schule. Viel lieber möchte sie in die Welt der Jungen abtauchen. Ungefragt versucht Rodolfo, wieder einen Platz im Leben der beiden Frauen zu erhaschen, die er vor zehn Jahren zurückgelassen hat. Der uruguayische Regisseur Pablo Stoll Ward (»Whiskey«, 2004) erzählt in seinem neuen Film »3/Tres« mit viel Witz von drei Menschen, die ein und dasselbe Schicksal teilen. Sie sind eine Familie, eine kaputte dazu. Um die Frage kreisend, wie genau man diese wieder kitten kann, dokumentiert Ward auf sehr subtile und liebevolle Weise die brüchigen Familienbande, erzählt von Egoismus und vom Erwachsenwerden. »3/Tres«, der am 22.11. offiziell in den deutschen Kinos anläuft, feiert während der 3. Lateinamerikanischen Filmtage in Leipzig bereits seine Premiere.

Nicht oft haben Filme, die im Rahmen der Filmtage laufen, tatsächlich hierzulande auch einen offiziellen Kinostart. In seinem Rundblick auf die lateinamerikanische Kinematografie beherbergt der Leipziger Verein Sudaca, der erst im Oktober die Argentinischen Filmtage wegen zu geringer finanzieller Mittel absagen musste, vor allem cineastische Perlen, die sonst nicht zu sehen sein würden. Indirekt führt der Verein thematisch fort, was DOK Leipzig bereits Anfang des Monats aufgreift. Im diesjährigen Länderfokus des Festivals stand das Dokumentar- und Animationsfilmschaffen im spanischsprachigen Lateinamerika. Die Lateinamerikanischen Filmtage spannen den Bogen jedoch weiter und werfen einen Blick auf die gesamte Region, zeigen kurze, fiktive und dokumentarische Geschichten aus den vergangenen vier Jahren und widmen sich in einem Schwerpunkt dem brasilianischen Kino.

Eine besondere Entdeckung im Programm ist aber der in Nicaragua produzierte Film »La Yuma« (»Der eigene Weg«) der französischen Regisseurin und Schauspielerin Florence Jaugey. Im Mittelpunkt steht die junge, temperamentvolle Boxerin Yuma (Alma Blanco), die mit ihren Geschwistern im Elendsviertel in Managua lebt und plötzlich die Möglichkeit erhält, diesem zu entfliehen und erfolgreiche Sportlerin zu werden. Was zunächst nach einer lateinamerikanischen Version von Clint Eastwoods Meisterwerk »Million Dollar Baby« klingt, entpuppt sich zunehmend als ungeschönter wie stimmiger Einblick in das Leben der kleinen Leute Nicaraguas. Ein Land, zu dem nur die allerwenigsten tatsächlich Bilder im Gedächtnis haben. Der Film ist der erste Spielfilm seit 20 Jahren von dort – entsprechend lang hat auch die Umsetzung des Stoffes gedauert. Wie viele Regisseure bei den Filmtagen erzählt Florence Jaugey mehr als nur aus dem Leben ihrer Protagonistin: Das Schicksal der jungen Boxerin ist wie das vieler anderer Protagonisten Ausgangspunkt eines größeren Sujets. In Yumas Kampf spiegelt sich die gewaltige Spanne zwischen Arm und Reich in Nicaragua, die massive Gewalt in den Elendsecken und die Schwierigkeit, sich diesen Gegebenheiten zu entziehen. Angesichts der Krisensituationen – privater wie politischer – zeichnen die Filme facettenreiche Zeitbilder des heutigen Lateinamerikas und verhandeln kulturelle Identitäten noch einmal neu.


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