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Filmkritik

Biopic mit Exportoptionen

Kein kleines Fernsehspiel: Marie Noëlle und Peter Sehr inszenieren »Ludwig II.« als großes Kinoepos

  Biopic mit Exportoptionen | Kein kleines Fernsehspiel: Marie Noëlle und Peter Sehr inszenieren »Ludwig II.« als großes Kinoepos

Ein ewig Rätsel wollte Ludwig II. seinen Untertanen bleiben, und auch die Neuverfilmung seines Lebens wird dem Anspruch und Wunsch des Monarchen letzten Endes gerecht. Die Filmemacher Marie Noëlle und Peter Sehr zeigen den Bayernkönig – fernab der märchenhaften Mythen, die sich um Ludwig II. ranken und den filmischen Interpretationen dieser Figur – als äußerst gebrochenen, jungen Mann, der sich an den politischen Gegebenheiten seiner Zeit aufrieb. Der Soundtrack für »Ludwig II.« wurde vom Intendanten der Leipziger Oper, Wagner-Experte Ulf Schirmer, eingespielt. Martin Petzold, langjähriges Ensemblemitglied der Oper Leipzig, gibt im Film den Lieblingstenor von Richard Wagner.

Der bayrische König Ludwig II. (1845-86) gehört zu den Exzentrikern unter den Monarchen. In den Reiseführern wird er als »Märchenkönig« gehandelt. Seine maßlose Liebe zur Kunst und der Musik Richard Wagners, der exzessive Schlösserbauwahn, mit dem er sich architektonisch verewigte, und der nie restlos aufgeklärte Tod in den Fluten des Starnberger Sees begründeten einen Mythos, der bis heute seine Anziehungskraft nicht verloren hat. Allein 1,4 Millionen Besucher haben sein Schloss Neuschwanstein im letzten Jahr besichtigt. Aber nicht nur dokumentationswütige, japanische Touristen erliegen der Faszination für den letzten amtierenden bayrischen König, sondern auch Filmemacher haben in der stürmischen Biografie des Monarchen immer wieder einen Stoff fürs Kino entdeckt. Helmut Käutner (1955), Hans Jürgen Syberberg (1972) und sogar der italienische Meisterregisseur Luchino Visconti (1972) widmeten sich dem Leben und Wirken Ludwigs II.. Vierzig Jahre später nehmen nun Peter Sehr und Marie Noëlle (»Die Frau des Anarchisten«) den Stoff wieder auf und legen das Biopic des Wittelsbacher Königs nicht als kleines, deutsches Fernsehspiel, sondern als großes Kinoepos mit Exportoptionen an. Der Wille zur Größe endet im deutschen Kino nur zu oft in peinlichen Bauchlandungen, weil es meistens sichtbar an materiellen Mitteln oder auch an filmemacherischem Vermögen fehlt. Aber hier ist es mit einem großzügigen Produktionsbudget von 16 Millionen Euro gelungen einen Historienfilm auf die Beine zu stellen, der den eskapistischen Ansprüchen des Genres mit Kostümgeraschel, Ausstattungsorgien und spektakulären Originalschauplätzen gerecht wird und gleichzeitig ein differenziertes Porträt des kapriziösen Königs zeichnet.

Gerade 18 Jahre ist Ludwig (Sabin Tambrea), als er die Nachfolge seines früh verstorbenen Vaters Maximilian II. (Axel Milberg) antritt. Regierungsgeschäfte und Militärtamtam haben den jungen Mann bisher nicht interessiert, dafür umso mehr Kunst und Musik. Als erste Amtshandlung holt er Richard Wagner, der überall als aufrührerischer Geist verschrien ist, nach München. »Bayern soll zum Mittelpunkt der Schönheit werden«, schwärmt der junge König und lässt seine Soldaten an der Geige statt am Gewehr ausbilden, um mit seinen Orchestern gegen feindliche Armeen anzutreten. Aber für solche künstlerisch-pazifistischen Fantasien wurde Ludwig in die falsche Zeit hineingeboren. Bismarcks Preußen macht mobil gegen Österreich und Bayern lässt sich widerwillig in einen Krieg hineinziehen, der für das Land im Desaster endet. Nach einer Phase des pragmatischen Regententums und einer gescheiterten Verlobung folgt schließlich der Rückzug des Königs aus der Öffentlichkeit.

Deutlich legen Sehr und Noëlle den Schwerpunkt auf den Sturm und Drang der jungen Jahre, in denen der Idealismus des jungen Königs an den politischen Verhältnissen zerbricht. In seiner ersten, großen Kinorolle ist der wirklich hinreißende Sabin Tambrea ein absoluter Hingucker. Als zartes, androgynes Wesen spielt er diesen Ludwig und legt vollkommen überzeugend die Stimmungsschwankungen von Euphorie, Exaltiertheit, höchster Sensibilität und tiefster Depression nebeneinander. Selbst die homosexuellen Neigungen des Monarchen und dessen unerfüllte Liebe zu seinem Stallmeister Hornig (Friedrich Mücke) werden hier fernab naheliegender Klischees verhandelt. Erst in der Schlussgeraden, wenn Sebastian Schipper die Rolle des alten, wahnhaften Ludwigs übernimmt, wird die Angelegenheit ein wenig länglich. Vom abrupten Wechsel des Hauptdarstellers kann sich der Film nicht wieder erholen. Dennoch ist Sehr und Noëlle mit »Ludwig II.« ein hochinteressantes Porträt von einer der schillerndsten Persönlichkeiten der deutschen Adelsgeschichte gelungen, das auch bekennende Antimonarchisten in seinen Bann zieht.


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