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Kultur

Rundgang ohne Bullshit-Bingo

Hurra: Entspannt statt verklemmt zeigen sich die HGB-Künstler

  Rundgang ohne Bullshit-Bingo | Hurra: Entspannt statt verklemmt zeigen sich die HGB-Künstler

»Ohne Lemon. Ohne Cranberry. Ohne Bullshit« – Diese Bierwerbung hätte auch an der HGB hängen können. Denn analog kann man den diesjährigen Rundgang der Huchschule für Grafik und Buchkunst mit »Kein Foucault. Kein Rancière. kein Bullshit« überschreiben.

Ein spielerischeres Grundrauschen statt hervor gepresstem Diskursernst war bei der studentischen Leistungsschau zu vernehmen, der es spürbar weniger um verwertbare Leistung, denn das Zeigen und Schauen ging. Leichtigkeit und mehr Gelassenheit – so mein Eindruck – als in den vergangenen Jahren waren zwei sympathische Grundzüge des Rundgangs.

Damit man mich nicht falsch versteht: Diskurse über Kunst sind spannend wie wichtig. Man muss sie aber auch führen können. Behauptete Belesenheit wegen einem angeklatschen »Kunst ist widerständig«-Zitat und dergleichen, das war in den letzten Jahren immer wieder zu sehen an der HGB, ist das ärgerliche Gegenteil davon, weil es das Publikum nicht ernst nimmt. Ja, Kunst darf auch verarschen, dann aber bitte auf intelligente Weise. Solchen Ärgernisse begegnete ich in diesem Jahr nicht – selbst wenn sie nur geschickt versteckt waren, dann auch gut. Zwar drohte am Anfang wieder so ein klappendes Diskursmühlenwerk, als es – an einem ästhetischen Skulpturstück – um die Falte und das Barock ging. Aus dem Asphalt erwachsende Rinnsteinrillen-Müll-Netzwerke ließen ebenfalls die Gefahr wittern, gleich würde Deleuze heranzitiert und einmal mehr das Rhizomartige der Welt gefeiert. Fast unbekümmert meinte man aber nur: »Mich erinnert das an ein Spinnennetz.« – »Diese Arbeit knallt nicht und will es auch gar nicht«, dementierte anderswo ein Medienkunstwerk sich selbst.

»Noch immer treffen Konzepte Rundgang bei mir ein«: Selbstironisch hat eine Fotografie-Klasse ihr künstlerisches Feld abgesteckt. Es scheint, man hat sich frei gespielt. »Wir machen ja keine Kunst, sondern sind Gestalter«, hieß es aus der Typografie- und Buchkunstklasse. Zwei Fragen hätten die Studierenden in »Dying Dutchman« interessiert: Wie kann man vom Mythos Prohibition am Beispiel des Gangsters Dutch Schulz erzählen – und wie baut man eine Bar auf? Schön tight, kompromisslos, kurzum: ein feines Konzept ohne Firlefanz und schiefen Überbau. Durch Bedienen von Rollläden konnte der Zuschauer Mär und Malaise des Bierkönigs selbst entfalten. Von einem knalligen »Bang« bis zu letzten Worten und in Beziehung gesetzten Fotografien. Eine griffige Idee in schlanker Umsetzung, die sich auch in der entsprechenden Bar – »We want Beer« – niederschlug, die ebenso in klaren Formen und perlendem Geschmack überzeugte.

Wenn sich Joseph Ratzinger, the artist formely known as Papst, auf einer Schallplatte inmitten von anderen Popstars dreht, ist das ein hübscher Zufall. Brüderle-Konterfeis konnte ich nirgends ausmachen. Dafür stolperte ich fast über einen knalligen Kommentar zur Sexismusdebatte. Im ersten Stock erhob sich ein expressiver Aufwurf in Pink. Liebesperlen- und blinklichterkettenumspült türmten sich Puppen und Bunnies auf. Ein kopfloses Wesen fletschte sein gezähntes weibliches Gemächt – solche Figürchen müssten mal in den neuerdings im Konsum herumlungernden rosa Überraschungseiern (»sexistische Kackscheiße«) stecken. Ein schöner Beitrag auf gekränkte männliche Eitelkeiten konnte man in dem Arrangement entdecken, und ein Ablästern über die Furcht vor der vagina dentata, dem gezähnten und bissigen Unterleib, auf die maskuline Ur-Angst und Kastrationspanik, welche die Männer seit Beginn der Kulturgeschichte umtreiben.

Vieles mehr wäre hier lobend zu erwähnen. Alles, was mir aufgefallen ist, mich zum Lächeln und Grübeln brachte, positiv an- und erregte, aufzuzählen, wäre für alle Beteiligten ermüdend. Einfach mal selbst hingehen schadet sicherlich nicht, zumindest zeigt sich der HGB-Rundgang allemal attraktiver als in den letzten Jahren. Und allein, dass man sich von inneren und äußeren Drücken etwas freier gemacht hat, ist schon eine gute Nachricht. Und im Zweifelsfall lockt immer wieder eine Bar.


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