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Filmkritik

Haarige Gangs und Denker-Doku

Videowelt – Die kreuzer-DVD-Tipps

  Haarige Gangs und Denker-Doku | Videowelt – Die kreuzer-DVD-Tipps

Jeden letzten Montag im Monat bespricht die kreuzer-Redaktion DVD-Neuerscheinungen, Wiederauflagen und filmische Fundstücke für die Mattscheibe. Im Februar geht es um haarige Gangs, alte Romcoms und die Weiten des Denkraums.

Die Geschichte von dem Mann, der sich unsterblich in eine Prostituierte verliebt und fortan davon träumt, sie »da heraus« zu holen, hat schon öfter ihren Platz auf der Leinwand gefunden. Die Motive von Polizist Nestor Patou (Jack Lemmon) sind weniger von Romantik geprägt, er ist schlicht eifersüchtig auf die Freier seiner Irma, zu deren »Manager« er unverhofft geworden ist. Damit provoziert er wiederum ihre Eifersucht, handelt sich eine Mordanklage ein und wenige Verwechslungswendungen später das ersehnte Familienglück mit Hochzeitsglocken und Nachwuchs. Alles nur, weil seine Moralvorstellungen Irmas Strich in der Pariser Rue Casanova nicht dulden wollten. Neu im Bezirk ignoriert er das Abkommen zwischen Zuhältern und Polizei und lässt eine Razzia durchführen. Dies kostet ihn den Job, sodass er sich fortan die Nächte auf dem Großmarkt um die Ohren schlagen muss, während er gleichzeitig in Verkleidung als Freier auftritt und als Zuhälter bei Irma wohnt.

Billy Wilders Komödie ist mehrfach ausgezeichnet. André Previn erhielt 1964 den Oscar für die beste Musik, Shirley MacLaine den Golden Globe als beste Schauspielerin, sie und Jack Lemmon wurden zudem beide mit dem Golden Laurel für das beste Schauspiel ausgezeichnet. Nicht zuletzt der Musik ist es zu verdanken, dass eine bunte und rasante Atmosphäre entsteht, die den Zuschauer gleich beteiligt und dem Pariser Rotlichtmilieu seine Anrüchigkeit nimmt. Shirley MacLaine gibt als Irma ganz die tüchtige Geschäftsfrau hinter der namensgebenden süßen Fassade, die mit herzzerreißenden Geschichten ihren Freiern die letzte Centime aus den Taschen zieht. So entwirft »Irma la Douce« ein romantisches Parisbild der sympathischen Unterwelt-Szene mit hinreißend hübschen und selbstbewussten Bordsteinschwalben. Eine Romcom der alten Schule, die komische Elemente unter anderem auch aus Schlägereien und dem Auftritt von Streifenpolizisten zu ziehen weiß und der man die Liebesgeschichte ohne genervtes Augenverdrehen abnimmt. FR

»Irma la Douce«: FSK: 12, Komödie, USA 1963, 135 Min. R: Billy Wilder, B: Alexandre Breffort, Billy Wilder, I. A. L. Diamond, D: Jack Lemmon, Shirley MacLaine, Lou Jacobi, Herschel Bernardi; Extras: Original Kinotrailer, Zweitausendeins Edition

 

Big Brother in der Kalahari

Tiere zu vermenschlichen, ist unzulässig. Man kann einer Bande fellig-süßer Tiere mit großen Knopfaugen nicht unterstellen, dass sie so ticken wie Menschen. Freude, Liebe, Eifersucht sind Empfindungen, die sie nicht haben, und dass eine Gruppe von Erdmännchen immer zusammen rumhängt – der Biologe nennt das »ausgeprägtes Sozialverhalten« –, heißt nicht, dass sie Kumpels oder Freunde sind, füreinander eintreten oder das Motto »einer für alle, alle für einen« kennen. Es macht aber trotzdem Spaß. Mag sein, dass in das Verhalten der putzigen Biester nur reininterpretiert wird und nichts davon tatsächlich im Kopf eines der kleinen Mangusten stattfindet, und sehr sicher ist sogar, dass sie sich nicht deshalb auf ihre Hinterläufe stellen, um menschenähnlicher zu wirken.

Erdmännchen leben – abgesehen mal von Zoos wie auch dem Leipziger – im Süden des afrikanischen Kontinents. In der dortigen Kalahari-Wüste hat Regisseur und Tierfilmer Rob Bruyns die 3D-Kamera aufgestellt und erzählt in drei Episoden von Zerwürfnissen, Intrigen, Versöhnungen und dem normalen Alltag mit Dammbau, Schwangerschaft, Wachdienst und Nahrungsbeschaffung in der Großfamilie. Das ist ein ungewöhnlicher und witziger Ansatz, der glücklicherweise nicht überstrapaziert wird und Wissenswertes über die Lebensweise der Säuger neben der spezifischen Gruppendynamik dieser einen Familie nicht auslässt. Und es gibt auch Leben außerhalb der Gruppe: Feinde wie Krokodile oder Kobras, neutrale Nachbarn wie Schildkröten und solche, die beliebtes Futter bilden, darunter Insekten und kleine Vögel, oder vorhalten, wie der Kameldornbaum. So wird das Leben in der Kalahari aus einer anderen und doch menschlichen Perspektive zum Abenteuerurlaub mit Spannungsbogen, beeindruckende Naturaufnahmen inklusive. FR

»Die Erdmännchengang«: FSK: 12, Komödie, ZA 2012, 93 Min. R: Rob Bruyns, Extras: Keine, Sunfilm

In den Weiten des Unbestimmten

»Der Geist, der wacht, indem er zurückkehrt, wird sich immer um den Rest kümmern. Durch die Flamme oder die Asche, aber als ganz Anders, unvermeidlich.« – Jacques Derrida ist neun Jahre schon nicht mehr unter uns, der Film »Derrida, anderswo« macht bewusst, wie deutlich der Denker vermisst wird. Regisseurin Safaa Fathy ist das schier Unmögliche gelungen – sie hat einen philosophischen Film über einen Philosophen geschaffen, der ins Weite des unter- bis unbestimmten Denkraums vorstößt.

Philosophen und Film schließen sich in aller Regel aus. Man denke nur an die wackligen Versuche von Richard David Precht, mit seinen auswendig gelernten Stelz-Sätzen. Auch das »philosophische Quartett« war zwischen Walrossschnauben und Zikadenzirpen ungenießbar. Einzig Alexander Kluge kann wenigstens philosophische Spitzen im TV-Format unterbringen und Slavoj Žižek die Popkultur mit Hegel kommentieren. Im 2000 für Arte produzierten und nun auf DVD erhältlichen Film tritt Derrida zugleich als Mensch und manifestierte Suchbewegung zugleich auf. In Gesprächen mit ihm sowie Bekannten, in Monologen und Vorlesungen kommt sein komplexes Denken zum Vorschein, das die sich entziehende Welt begreifen wollte. Spürbar werden Derridas Versuche, eine eigene Philosophie zu entwickeln, die sich so mit ziemlichen allem beschäftigt. Immer aber, das hebt der Film gut heraus, waren es das Dickicht und die Vielheit, die Derrida interessierte, nicht das Gleichmachen. Auf behutsame Weise nähert sich die Doku diesem spannenden Denker, ohne ihn auf einen Podest zu heben, aber auch das Publikum nicht zu unterfordern. Und das große Wort Dekonstruktion klebt auch nicht an jeder Bildminute. Kurzum: Eine intellektuelle Freude. – »Lassen Sie sich Zeit, aber tun Sie es schnell, denn Sie wissen nicht, was Sie erwartet.« TPR

»Derrida, anderswo«: Doku, F 2012, 68 Min. R: Safaa Fathy, Extras: Keine, Edition Suhrkamp, absolut Medien


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