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Filmkritik

Im Namen der Wissenschaft

»Unter Menschen« dokumentiert den Leidensweg von misshandelten Schimpansen

  Im Namen der Wissenschaft | »Unter Menschen« dokumentiert den Leidensweg von misshandelten Schimpansen

Traurig, aber wahr: Zwecks Forschungen für einen Impfstoff gegen Aids experimentierte der österreichische Pharmakonzern Immuno seit Beginn der 1980er Jahre mit artengeschützten Schimpansen. In ihrer aufwühlenden Dokumentation »Unter Menschen« begleiten die Regisseure Christian Rost und Claus Strigel eine Gruppe engagierter Tierschützer, die es sich bis heute zur Aufgabe gemacht hat, die psychisch gestörten Tiere zu resozialisieren.

In der Kleinstadt Gänserndorf an der österreichisch-tschechischen Grenze gibt es einen ehemaligen Safaripark. Die dort ansässigen 20 Schimpansen haben die Torturen der Wissenschaftler überlebt. Viele von ihnen wurden zu Versuchszwecken mit dem HIV-Virus infiziert und nicht nur auf engstem Raum gehalten, sondern auch von ihren Artgenossen isoliert. Ein Team von vier Pflegerinnen kümmert sich aufopferungsvoll um die gebeutelten Tiere mit dem Ziel, die Primaten wieder aneinander zu gewöhnen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich in einer natürlicheren Umgebung zurechtzufinden.

In bewegenden, aber unaufdringlichen Bildern dokumentieren die Regisseure Christian Rost und Claus Strigel in ihrem Dokumentarfilm »Unter Menschen« die Arbeit des Pflegerinnen-Teams. In den Interviews mit den Frauen wird deutlich, wie sehr sie sich mit dem Projekt identifizieren. Das Schicksal der Schimpansen geht ihnen so nahe, dass sie kaum ohne schlechtes Gewissen ihren Dienstschluss antreten können. Die Nähe von Mensch und Tier wird inszenatorisch untermauert: Ist ein Schimpanse im Bild, werden sein Name und die Jahresanzahl seiner Gefangenschaft eingeblendet – ist eine Pflegerin zu sehen, erfährt der Zuschauer auch ihren Namen sowie die Dauer ihrer Tätigkeit im Affenhaus.

Original-Fernsehberichterstattungen aus dem Archiv verdeutlichen die Kaltherzigkeit des Konzerns und seiner Mitarbeiter. Zur Entwicklung des Impfstoffes nahmen sie die Qualen der Schimpansen billigend in Kauf. 15 Jahre lang laborierte man an den Menschenaffen herum, um dann der Öffentlichkeit mitzuteilen, dass es keine brauchbaren Resultate gebe. Beweiskräftige Dokumente belegen außerdem ein korruptes Zusammenspiel von Wirtschaft und Politik, die Mittel und Wege fanden, das illegale Einführverbot von Schimpansen zu umgehen.

Zwar schaltete sich die Naturschutzorganisation WWF ein, ließ aber aufgrund der politischen Brisanz einmal mehr viel zu schnell von seinem Vorhaben ab. Leider werden all diese empörenden gesellschaftlichen Verflechtungen in dem Dokumentarfilm nur oberflächlich behandelt. Der Fokus liegt vielmehr auf den Menschen, die seither um Schadensbegrenzung bemüht sind. Die Verhaltensforscherin Jane Goodall begab sich vor laufender Kamera unter die in Gefangenschaft gehaltenen Schimpansen, um auf deren Schicksal öffentlich aufmerksam zu machen.

Entscheidend für die Fortführung des Resozialisierungsprojektes ist auch der Fortbestand der Schimpansen-Stätte, die der deutsche Tierschützer Michael Aufhauser seit 2010 betreut.

Unumstritten ist die Aids-Forschung von großer Bedeutung. Moralisch anstößig ist aber dennoch die Gleichgültigkeit, mit der die Schimpansen oftmals unnötig misshandelt wurden. Unterm Strich ist der Film »Unter Menschen« ein emotionales Plädoyer für mehr Toleranz gegenüber tierischem Leben.


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