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Filmkritik

Menschwerden ist schon nicht einfach

Die Kinostarts im Überblick

  Menschwerden ist schon nicht einfach | Die Kinostarts im Überblick

Beatrice Möller porträtiert in »Alles was wir wollen« drei Frauen um die 30 auf der Suche nach dem richtigen Lebensentwurf und zeichnet zugleich das Spiegelbild einer Generation, die wabernd durchs Leben streift und nur schwerlich zur Ruhe kommt. Sean Baker beschert uns diese Woche mit seiner bildschönen Geschichte »Starlet« über ein Pornosternchen und ihre Freundschaft zu einer alten Frau unser Mai-Leinwandhighlight in jeglicher Hinsicht. Auch wenn »MansFeld« erst ab dem 16. Mai seinen Kinostart hat, feiert der kreuzer-Liebling beim letztjährigen DOK Leipzig bereits am 14. seine Leipzig-Premiere. Und zum »Schimpansen«-Film wurde eigentlich schon hier alles gesagt.

Am Anfang sehen wir nur einen blonden Haarschopf. Nach einer kurzen Weile taucht das verschlafene Gesicht der 21-jährigen Jane auf und noch ein wenig später wühlt sich auch ihr Chihuahua Starlet durch das Bettdeckendickicht auf die Leinwandoberfläche. Jane ist eine der beiden Protagonistinnen, um die Sean Baker in seinem Film »Starlet« eine zauberhaft poetische, äußerst gefühlvolle Geschichte über Freundschaft und Einsamkeit entspinnt. Auf einem Flohmarkt kauft Jane der 85-jährigen Sadie eine Thermoskanne ab. Kurze Zeit später entdeckt die junge Frau darin 10.000 Dollar. Alle Versuche scheitern, der mürrischen alten Dame davon zu erzählen. Was anfangs nach einem vorhersehbaren Plot klingt, wird von Sean Baker ganz subtil verpackt und der Zuschauer immer wieder überrascht. Verharrt die Kamera bisweilen auf Janes wunderschönem Gesicht oder ihren langen Beinen, verlagert sich im Verlauf des Films der Blickwinkel. Fast beiläufig erfahren wir, dass Jane in der Pornoindustrie ihr berufliches Zuhause hat. Plötzlich tauchen kleine Risse in der Figur der blonden Schönheit auf, die von Dree Hemingway überzeugend gespielt wird. Kaum zu glauben, dass sie genauso wie Besedka Johnson als Sadie ihr Leinwanddebüt gibt. In sonnendurchfluteten Bildern erzählt Baker nicht nur von den Schattenseiten der kalifornischen Traumfabrik. Für die aufkeimende Freundschaft zwischen den beiden sympathischen Heldinnen, die den eigentlichen Hauptschauplatz des Filmes gibt, spielen diese keine Rolle. Gerade diese Zurückhaltung, mit der Baker sich gesellschaftskritischen Themen widmet und sein Augenmerk zugleich auf ganz banale, aber essenzielle Dinge im Leben richtet, ist die größte Leistung dieser kleinen Indie-Wunderperle und unserem absoluten Mai-Highlight.

»Starlet«: 9.-14.5., Schaubühne Lindenfels

Die Gegend wirkt, als sei sie in den Dornröschenschlaf gefallen. Hier in einem kleinen Dorf im Mansfelder Land wachsen die Jungen Sebastian, Tom und Paul auf. Viel passiert nicht in ihrem Alltag, außer wenn sich das alljährliche Pfingstfest nähert und ein archaisches Ritual zum Leben erweckt wird. Mario Schneider, der mit diesem behutsamen Porträt seine Heimat-Trilogie beschließt, verzichtet auf jeglichen Kommentar und verlässt sich ganz auf die Kraft seiner Bilder und seine kindlichen Protagonisten. Im aktuellen kreuzer finden Sie eine ausführliche Besprechung.

»MansFeld«: Premiere am 14.5. in Anwesenheit von Mario Schneider, ab 16.5. Kinobar Prager Frühling

In einer Zeit, in der alles möglich scheint und die Welt mehr Optionen denn je bereithält bahnen sich die drei Protagonistinnen in Beatrice Möllers Dokumentarfilm »Alles was wir wollen« ihren Weg. Claudia, Mona und Marie-Sarah sind alle um die 30. Über dreieinhalb Jahre hat Möller die Frauen mit der Kamera begleitet. Und so unterschiedlich die Lebenswelten sind, aus denen sie stammen – Mona ist in Palästina aufgewachsen, Claudia im Osten und Marie-Sarah im Westen Deutschlands –, so sehr ähneln sich die Probleme und Fragen, mit denen sie sich heute herumschlagen. Wo will ich hin? Sollte ich über Kinder nachdenken? Fühlt sich so das »Erwachsensein« an? Im Leben von Marie-Sarah beispielsweise sieht jeder Tag anders aus. Die Schauspielerin bezeichnet sich selbst als ständig im Umbruch. 29 mal ist sie bereits umgezogen. »Wir können alles machen, was wir wollen. Aber was will ich?«, fragt sie. In Zwiegesprächen mit ihren Müttern reiben sich die Frauen an unterschiedlichen Wertvorstellungen auf. Inhaltlich entwickelt sich dadurch ein starkes Spannungsfeld. Am Ende des Films haben sich Claudia, Mona und Marie-Sarah von der Hast und dem Unsteten ein Stück weit befreit. Sie haben sehr wohl Entscheidungen für ihr Leben getroffen, wenngleich die Frage nach dem »richtigen« noch immer mitschwingt. »Ein Mensch zu werden, ist auch ganz schön anstrengend«, resümiert eine der Protagonistinnen treffend. Die vollständige Besprechung finden Sie im aktuellen kreuzer.

»Alles was wir wollen«: Premiere am 8.5., Frauenkultur, 9.-12.5., Luru-Kino in der Spinnerei

Park Chan-wooks erster englischsprachiger Film wirkt, als hätte sich Alfred Hitchcock eine Neuverfilmung der »Adams Family« vorgenommen. Jetzt nicht unbedingt besonders werkgetreu, aber nach einigen Jahren Torture Porn freut sich der geneigte Zuschauer, mal keine jungen Frauen niedergemetzelt im Wald vorzufinden. Die Stimmung bei »Stokers« ist eine elegante und abgeschiedene. Dazu passend ist die Anzahl der Personen begrenzt: Die Witwe Evie, ihre Tochter India und der jüngere Bruder ihres verstorbenen Mannes. Niemand von ihnen lächelt und jeder misstraut dem anderen. Park Chan-wook dirigiert den Streifen mit einer erstaunlichen Präzision und Kontrolle. Mia Wasikowska wirkt als India wie eine beschädigte Version von Alice im Wunderland und Nicole Kidmans Evie ist in ihrer absonderlichen Art herzzerreißend. Das ist erstaunlich, denn genau genommen unterspielen sich alle, um die Fassade zu wahren. Der Wunsch, hinzuschauen und die Angst vor dem, was von der Leinwand zurückschauen könnte, diese Grundkonstanten der Horrorfilmpsychologie werden hier mit viel Feingefühl umgesetzt. Die ganze Kritik von Joris Januar können Sie im aktuellen kreuzer nachlesen.

»Stoker«: ab 9.5., Kinobar Prager Frühling

»Der viel gelobte Regisseur Peter Mettler legt eine tiefgründige und bildgewaltige Dokumentation vor, die nach >Picture of Light< (1996) und >Gambling, Gods & LSD< (2002) den Abschluss einer Trilogie bildet. Hier stellt er mit viel Taktgefühl und Ehrfurcht die Frage nach der Zeit, die für den Menschen so quälend wie faszinierend und schließlich doch unbegreiflich ist. Ein monumentales Werk mit hoffnungsvollem Resümee, das den Kinobesuch zu einem sinnlichen, meditativen Kinoerlebnis macht.« (TEXT: Cinémathèque in der naTo)

»The End Of Time«: 9.-14.5., Cinémathèque in der naTo

Hanni und Nanni (Jana und Sophia Münster) erwarten schon voller Vorfreude die im Internat Lindenhof angekündigten englischen Austauschschülerinnen. Durch ein Versehen von Frau Mägerlein (Suzanne von Borsody) entpuppt sich die britische Busladung allerdings als eine Gruppe gleichaltriger Jungen.

»Hanni & Nanni 3«: ab 9.5., Cineplex im Alleecenter, CineStar, Passage Kinos, Regina Palast

Kate (Mary Elizabeth Winstead) und Charlie (Aaron Paul) sind ein junges Ehepaar. Jeden Abend gehen sie feiern und trinken. Dies geht jedoch soweit, dass Kate bereits morgens mit dem Trinken beginnt. Als sich die Grundschullehrerin nach einer durchzechten Nacht vor ihrer Klasse übergibt, behauptet sie, schwanger zu sein. Der stellvertretende Schulleiter Dave (Nick Offerman) rät Kate, eine Selbsthilfegruppe zu besuchen, mit deren Hilfe er selbst seit neun Jahren trocken ist.

»Smashed«: ab 9.5., CineStar

Als Captain Kirk (Chris Pine) und die Besatzung der Enterprise auf die Erde zurückgerufen werden, finden sie ihre Heimat in Trümmern wieder, zerstört von einer feindlichen Macht aus ihren eigenen Reihen. Für Kirk beginnt eine Jagd nach einem dunklen, verräterischen Gegenspieler, in einer Welt, die sich im Ausnahmezustand befindet! Dabei werden er und seine Mannschaft zu Schachfiguren in einem perfiden Spiel über Leben und Tod: Liebe wird auf die Probe gestellt, Freundschaften werden auseinandergerissen und Opfer müssen erbracht werden für die einzige Familie, die Kirk noch bleibt: seine Crew.

»Star Trek Into Darkness« (3D): ab 9.5., Cineplex im Alleecenter, CineStar, Regina Palast

 

Filmfutter fernab der Neustarts:

Wanderkino

Slapstick-Komödien, Monumentalfilme, Independent-, Avantgarde- oder auch Experimentalfilme – das Wanderkino ist wieder auf Sommertour und macht vom 11. bis 31. Mai Halt auf der Warze im Clara-Zetkin-Park. Neben Klassikern von Buster Keaton und Man Ray, die für die Filmgeschichte maßgeblich waren, zeigt das mobile Kino auch Videoanimationen von Tilo Baumgärtel. Tobias Rank am Piano und Gunthard Stephan an der Violine geben den Filme live ihre eigene musikalische Note. Natürlich fehlt auch Charlie Chaplins sozialkritische Tragikomödie »Lichter der Großstadt« von 1931 in diesem Jahr nicht im Programm. Chaplins offenes Bekenntnis zum stummen Format erzählt voller Optimismus die rührende Geschichte über einen Vagabunden, der sich in ein Blumenmädchen verliebt. »Es ist schon bemerkenswert, das ein freies und völlig ungefördertes Projekt sich nunmehr so etabliert hat und von Veranstaltern aus ganz Europa angefragt wird«, sagt Rank, der seit 1999 mit dem Wanderkino unterwegs ist. »Vielleicht ein kleines Erfolgsmodell in der oft so düster dargestellten (Leipziger) Freien Kulturlandschaft.« Ein Interview mit Tobias Rank finden Sie hier 11.-31.5., Warze im Clara-Zetkin-Park

Filmklassik-Doppel mit Björn Siebert

Im Mittelpunkt von Björn Sieberts Film-Doppel steht dieses Mal der niederländische Regisseur Paul Verhoeven, der nicht selten Sexualität und Gewalt in seinen Filmen zum Thema hat. Siebert beschäftigt sich mit den Filmen »Türkische Früchte« (1973) und »Der vierte Mann« (1983). 15.5., LURU-Kino in der Spinnerei

Weitere Filmbesprechungen und -tipps finden Sie hier und in unserer Printausgabe.

Gute Unterhaltung im Kinosessel!


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