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Stadtleben

Einmal muss das Fest ja kommen

Oder: Wie organisiere ich ein Straßenfest? Ein Guide aus der Merseburger Straße

  Einmal muss das Fest ja kommen | Oder: Wie organisiere ich ein Straßenfest? Ein Guide aus der Merseburger Straße

Es sind ungefähr 30 Leute in dem Café, in dem gerade das zweite Großplenum des Mersefests stattfindet. Hier kann man den Merseburger essen und vielleicht bald das Mersebier trinken – für eine Portion Straßenpatriotismus ist also gesorgt. Vor allem Anwohner und Ladenbesitzer sind gekommen. Manche wohnen erst seit zwei Monaten in der Merseburger Straße, andere schon seit 30 Jahren. Sie alle fragen sich, was man noch braucht, damit das Fest endlich kommen kann.

1. »Hätte, hätte ...«

Schon lange reden Lena und Jan von diesem Fest. Fast so lange, wie die Merseburger Straße lang ist, die in Plagwitz anfängt, die Karl-Heine- und die Lützner Straße kreuzt und irgendwann hinter dem Industriepark zur Merseburger Chaussee wird. Die Häuser sind teils saniert, andere sind ziemlich marode. Brachflächen klaffen zwischen den Gründerzeitbauten wie Zahnlücken. Es ist eine Straße mit Geschichte: Früher war sie eine Fußgängerzone. Von der sind nur noch die Schaufenster geblieben und die Läden dahinter. Die stehen teilweise leer, in andere sind sogenannte junge Kreative eingezogen. Im oberen Teil der Merseburger Straße findet man keinen Gemüseladen und keinen Bäcker, Lebensnotwendiges kann man hier nicht kaufen. Aber es gibt ein Hausprojekt, eine Druckwerkstatt und einen Lehmkunstladen. Dort arbeitet Jan. Schräg gegenüber in der Wohnküche hinter einem großen Schaufenster sitzt Lena und möchte Kino auf dem Dach organisieren. Ideen gibt es genug – aber hätte, hätte, Fahrradkette ... »Irgendwann im Januar war ich kurz davor, Papa zu werden«, erzählt Jan. Da war klar, jetzt muss ein Termin gemacht werden solange der Kuchen noch heiß ist.

2. Klar Schiff machen – Wohin und mit wem?

Keine Straße ist wie die andere. Und somit gibt es selbst in Lindenau eine ganze Bandbreite an unterschiedlichen Straßenfesten, wie das Westpaket oder das Georg-Schwarz-Straßenfest. Konsum oder Kritik? Wer ein Straßenfest organisieren will, sollte sich klarmachen, wozu er den Raum nutzen will und für welches Publikum. In der Merseburger Straße gibt es ganz unterschiedliche Leute. Lena wohnt im recht gepflegten oberen Teil der Straße. Fährt man weiter runter, ändern sich die Hausfassaden so schnell wie der Straßenbelag. Kopfsteinpflaster löst löchrigen Asphalt ab, unterhalb der Lützner gibt es plötzlich keine Blumenkästen mehr an den Häusern, sondern dicken grauen Staub. Ab und zu flitzt ein Rennradfahrer durch den schnell fließenden Verkehr, vor dem Lidl dreht die Rollatorengang ihre Kreise. Die Merse zeigt, was der Leipziger Westen mal war und was er noch werden könnte: eine Melange aus Diabetes und dreikäsehohen Kunststudenten, alles von verranzt bis schick. »Wir wollen die Menschen zusammenbringen, die täglich die Straße entlangfahren und doch nicht ins Gespräch kommen«, sagt Lena. »Manche fahren sogar viermal täglich hier durch und kennen sich nicht.« Den Autoverkehr lahmlegen und Platz schaffen für ein entspanntes Kennenlernen. Das könnte klappen, denn nach einer Studie sind Nachbarschaftskontakte in verkehrsberuhigten Straßen häufiger und intensiver.

3. Ins Boot holen

600 Mietparteien gibt es in dem oberen Teil der Merseburger Straße. Da haben Jan und Lena mit den anderen Klinken geputzt, Flyer verteilt und zum nächsten Großplenum eingeladen. Schwuppdiwupp war aus einem überschaubaren Freundeskreis eine Gruppe von zwanzig Menschen geworden, die alle ihre Lieblingsprojekte im Kopf hatten: von menschlichem Kickerspiel und Pizzaofen-selbst-Bauen bis zur Discokugel über der Straße. »Wir wollten auf keinen Fall eine Konsumveranstaltung. Alle, die mitmachen, müssen auch eine Aktion anbieten, nicht nur Kaffee und Kuchen«, erklärt Jan das Konzept. Erst mal wird aber eine Internetseite gebaut und eine Telefonnummer eingerichtet. Drei Stunden am Tag verbringt Lena damit, E-Mails zu beantworten und Telefonanrufe entgegenzunehmen.

4. Die Wogen der Bürokratie glätten

Katharina ist in der Ämter- und Finanzengruppe des Mersefestes. Inzwischen weiß sie, warum man eine Suppe auf der Straße verkaufen, aber nicht kochen darf, welche Genehmigungen man braucht, damit aus einem bunten Haufen ein Verein wird und wie der dann an Geld kommt. Dafür hat sie sich im Stadtteilladen beraten lassen. »Erstmal ist das Ordnungsamt dran, dann das Lebensmittelaufsichtsamt«, rät Katharina. Um ein Straßenfest zu organisieren, muss man kein Verein sein, aber als Verein wird die Verantwortung geteilt und der Schaden auch, falls die Discokugel mal runterfallen sollte. Um Kosten zu sparen, könne man sich zum Beispiel die Verkehrszeichen für die Absperrung von anderen Straßenfesten leihen, gibt Katharina als Tipp. Geld hat sie beim Europäischen Fond für Regionale Entwicklung (EFRE) beantragt. Drei Monate braucht es für die Bürokratie der Organisation des Festes mindestens.

Bei »André’s Imbiss« stehen ein paar Männer im Nieselregen und nippen an ihrem Bier. Von der Organisation haben sie nicht viel mitbekommen, aber die Idee von einem Fest gefällt ihnen. »Lieber mit dem Fahrrad zum Strand als mit dem Mercedes zur Arbeit«, hat jemand an eine Hauswand in der Merseburger Straße gesprüht. Eine Strandbar soll es beim Mersefest auch geben. Und am Samstag heißt es dann: Frohes Fest!


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