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Stadtleben

Von Woody lernen, heißt siegen lernen

Eine Geschichte über Mücken, isländische Liebhaber und ultimative Rumkriegtricks

  Von Woody lernen, heißt siegen lernen | Eine Geschichte über Mücken, isländische Liebhaber und ultimative Rumkriegtricks

Valur Gunnarsson, 38, greift zu rabiaten Mitteln der Selbstverteidigung: Mit seinem Feuerzeug brennt sich mein isländischer Freund die Mücken von den Armen. Die Armhärchen zischen nur so weg, die Flamme hinterlässt Leerstellen im dichten Bewuchs. Trotz Mückenplage sieht Valur glücklich aus an diesem Sommerabend auf dem Balkon, denn neuerdings entflammen nicht nur Insekten unter seinen Händen. »Ich habe heute einer Frau ihren ersten Orgasmus geschenkt«, sagt er. Ich staune nicht schlecht und sage etwas Geistreiches wie: »Oho!«. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich möchte Valur keineswegs das orgasmusrelevante Fingerspitzengefühl absprechen. Bloß hatte er bislang eher Ärger ob seiner Frauenwahl.

In seiner Heimat ist Valur für die Übersetzung des Dichters und Sängers Leonard Cohen ins Isländische bekannt und für die Romane, die er schreibt. Sie handeln stets von den tiefen Tälern unglücklicher Liebesbeziehungen. Seine Exfreundinnen liefern ihm da genügend Inspiration. »Mein Liebesleben ist so absurd, es lässt sich nur noch mit den Mitteln der Fiktion beschreiben«, klagte Valur noch vor wenigen Wochen am Telefon. Doch seit seiner Ankunft in Deutschland ist er offenkundig zu einer Art Experte für Höhepunkte mutiert, zu einem nordischen Verführer. Das Exil tut Don Juansson gut. Endlich liegt sie hinter ihm, die Quelle seines bisherigen Herzruins: Reykjavík, Islands Hauptstadt am Nordatlantik.

Es ist eine Krux mit der Liebe in Städten. Man braucht als Städter ja nicht wirklich eine Beziehung: Mit den Freunden teilt man seinen Alltag und kuschelt gemeinsam vor dem warmen Ofen platonischer Zuneigung, finanziell sorgt man ohnehin lieber für sich selbst und bliebt unabhängig. Vor allem ist die Auswahl potenzieller Sexualpartner in der Stadt weitaus größer als auf dem Dorf, das Tratschbedürfnis der Nachbarn dagegen proportional kleiner. Wohl wahr, Sex ohne Liebe kann eine leere Erfahrung sein, aber wie Regisseur Woody Allen, der Urvater aller Stadtneurotiker, schon feststellte: Von allen leeren Erfahrungen ist das immer noch die tollste. Damit sich eine Beziehung lohnt, muss sie also richtig gut, ach was, noch besser am besten sein! Dieser hehre Beziehungsanspruch ist eine terroristische Idee. Sie vereitelt das dauerhafte Zusammensein mit einem anderen Menschen nahezu vollkommen.

Bei der Partnersuche in einer Stadt wie Reykjavík kommt außerdem noch erschwerend hinzu, dass sie einen, wenn man nicht aufpasst, geradewegs in den Alkoholismus treibt. »Das Format des Dates hat sich bei uns nicht durchgesetzt«, erklärt Valur die Feinheiten des isländischen Systems. Ausgegangen wird nicht zu zweit, sondern in der Gruppe. Am Wochenende treffen sich die Kontaktsuchenden in den zwei Dutzend Kneipen im Bezirk 101 von Reykjavík und lassen sich bis unters Dach volllaufen. Da ist nichts mit gemeinsam Trüffelpasta schaufeln über dem Polarkreis und hinterher vielleicht noch einen Film von Truffaut gucken. »Wir lernen einander kennen, indem wir versuchen, besoffen Sex zu haben«, fasst Valur die Sache zusammen. »Wenn du es geschafft hast, innerhalb weniger Wochen zwei Mal mit derselben Person zu schlafen – selbst wenn es rein zufällig war –, dann seid ihr so gut wie ein Paar.«

Die Trunkenheit folgt dabei, wie alle Dinge im Universum, ihrer eigenen Logik. Der lauteste Mensch im Raum bekommt die meiste Aufmerksamkeit. Dumm nur, dass Valur selbst im trunkenen Zustand ein eher leiser Mensch ist, einer, der sich für die Feinheiten von Kettenreimen interessiert, bei Spaziergängen die Hände hinter dem Rücken verschränkt und seine Freizeit damit verbringt, das Bücherregal im Haus seiner Großmutter geografisch zu ordnen. Valur gibt eine glänzende Verabredung ab. Früher oder später musste er also im Liebesexil landen, wo diese Qualitäten auf Anerkennung stoßen. So schreitet er durch Leipzig und Berlin, verschenkt Orgasmen und hat seine derzeitige Geliebte, eine schöne Deutschlehrerin, bei einem gemeinsamen Essen mit Woody-Allen-Zitaten rumbekommen. Wenn ich ausführte, dass es sich dabei allen Ernstes um Zitate aus dem Film »Der Stadtneurotiker« handelte, würden Sie mir das glauben? Es ist die Wahrheit. Valur erzählt von der Szene, in der Allen und Diane Keaton ihr erstes Date haben. Leider geht alles schief, weil beide so aufgeregt sind – und dann, sie spazieren gerade durch New York, schlägt Allen Folgendes vor: Die beiden mögen sich doch einfach erst mal küssen, dann hätten sie das hinter sich gebracht und könnten in Ruhe essen gehen. So kam Woody zu seinem ersten Kuss mit Diane und Valur zu seinem mit der schönen Deutschlehrerin. »Das klappt immer«, sagt er. Man könnte also festhalten, es läuft gerade ziemlich gut.

Spätestens als alle Balkonmücken tot sind und wir auf Youtube ein Interview mit dem Sänger Nick Cave gucken, wissen wir: nicht mehr lange. Nick Cave, schnauzbärtig, resigniert, sagt darin über Beziehungen zu deutschen Frauen: »Jeder hat Probleme mit deutschen Frauen. Es geht um Politik. Sie sind sexuell politisch.« Es gebe immer Diskussionen, man müsse herausfinden, wer wo steht. Machtverhältnisse – darum drehe sich alles. Valur guckt mich fragend an, so als sei ich qua Existenz plötzlich die Expertin fürs Thema. Ich sage natürlich erst mal nichts, denke mir aber: Nick Cave irrt. Es wäre doch herzlos dem Partner gegenüber, Beziehungen bloß als ein weiteres Mittel des Patriarchats zur Unterdrückung der Frauen zu betrachten. Einerseits. Andererseits verdienen die meisten meiner Freundinnen immer noch weniger als ihre Männer, sie nehmen längere Elternzeiten, die Abhängigkeit ist ungleich verteilt. Wie kann es da nicht um Machtverhältnisse im Zusammensein gehen? Lieben existieren nie nur für sich, sondern immer im Kontext: der Städte, der Länder, der Politiken. Ich stecke hier in einer Zwickmühle der Gedanken, Valur muss es merken. Er guckt immer noch fragend, dann spricht er es endlich aus: »Seit wann trägt Nick Cave eigentlich diesen dämlichen Schnauzer?«


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