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Filmkritik

Kleine, große Heldin

Haifaa Al Mansour gelingt mit ihrem Debüt »Das Mädchen Wadjda« etwas Großartiges

  Kleine, große Heldin | Haifaa Al Mansour gelingt mit ihrem Debüt »Das Mädchen Wadjda« etwas Großartiges

Wadjda ist ein zehnjähriges Mädchen und lebt in Riad, der Hauptstadt Saudi-Arabiens. Sie kommt jeden Morgen auf dem Weg zur Schule an einem Spielzeuggeschäft vorbei. Dort steht ein grünes Fahrrad, das es dem Mädchen angetan hat. Doch abgesehen davon, dass sie kein Geld hat, ist es Mädchen in ihrem Land untersagt, mit dem Rad zu fahren.

Wenn die Bauarbeiter auf dem Dach des Nachbarhauses erscheinen, müssen die Mädchen sofort den Schulhof räumen. Denn der Anblick ihrer unverschleierten Gesichter stellt einen Affront dar für die Männer dort oben auf dem Dach, die aus der Ferne nur schemenhaft zu erkennen sind. Was für westliche Zuschauer vollkommen absurd wirkt, gehört in der saudi-arabischen Gesellschaft zur Normalität.

Der Alltag in dem Land, in dem mit dem Wahabismus eine besonders strenge Form des Islam zur Staatsreligion erhoben wurde, ist für Frauen enorm kompliziert. Sie dürfen weder Autofahren noch öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Um zur Arbeit zu kommen, müssen sie Fahrer engagieren, von deren Zuverlässigkeit das berufliche und private Wohlergehen abhängt. Aber nicht nur die motorisierte Mobilität bleibt eingeschränkt, selbst das Fahrradfahren ist Frauen untersagt. In »Das Mädchen Wadjda« erzählt die saudische Filmemacherin Haifaa Al Mansour nun die Geschichte eines Mädchens, das sich nichts sehnlicher wünscht als ein Fahrrad. Die Mutter (Reem Abdullah) winkt nur müde ab. Was für eine Idee! Viel zu teuer und sie wisse doch ganz genau, dass Mädchen nicht Rad fahren. Außerdem hat die Mutter andere Sorgen. Ihr Ehemann schaut nur noch unregelmäßig vorbei und es besteht Grund zur Sorge, dass er sich eine Zweitfrau nimmt, die ihm endlich einen Stammhalter gebären soll. Aber Wadjda ist ein Mädchen, das nicht so schnell aufgibt. Um das Geld für das Fahrrad, das beim Kaufmann um die Ecke in all seiner bunten Schönheit erstrahlt, zusammen zu bekommen, verkauft sie selbst gemachte Armbänder und übernimmt Botendienste zwischen heimlich Verliebten. Als das nicht reicht, beteiligt sie sich schließlich an einem Koranwettbewerb, lernt die Suren auswendig und versucht die Jury mit ihrer schönen Stimme zu überzeugen. Haifaa Al Mansour ist die erste und bisher einzige Filmregisseurin Saudi-Arabiens – ein Land, in dem es keine Kinos gibt und Filmemachen für eine Frau noch abwegiger ist als Fahrradfahren. Mit einer deutschen Produktionsfirma hat Al Mansour den Film auf die Beine gestellt und auf dem Papier sieht das Projekt aus wie eine typische Koproduktion, die das Schicksal der Frauen im Islam anprangert und an die feministischen Fürsorgeinstinkte des westlichen Publikums appelliert. Aber die Regisseurin hält sich von allen mitleidigen wie kämpferischen Posen fern und schert sich wenig um westliche Vorurteilsstrukturen und politisch korrektes Multikultikino. »Das Mädchen Wadjda«, der direkt in Saudi-Arabien gedreht wurde, erzählt seine emanzipatorische Geschichte ganz nah am Alltäglichen. Die Sehnsucht des jungen Mädchens nach einem Fahrrad ist eng verbunden mit zahlreichen interessanten Details aus der gesellschaftlichen Normalität Saudi-Arabiens. Al Mansour zeigt nicht mit dem Finger auf die teilweise absurd wirkenden Vorschriften, sondern fängt die Diskriminierung in Seitenblicken ein, ohne Wadjdas hartnäckigen Kampf aus den Augen zu lassen. Die zwölfjährige Waad Mohammed strahlt in der Titelrolle eine Lebensenergie und einen Willen zur Unkonventionalität aus, wie sie für Mädchen in diesem Alter nicht nur in Saudi-Arabien typisch sind. Al Mansour schaut mit zärtlichem, aber keineswegs paternalistischem Blick auf ihre junge Heldin, die am Ende glücklich und außer Atem mit ihrem Fahrrad an der Kreuzung zu einer großen Straße steht und ihr eigenes Stück Zukunft in den Händen hält.


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