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Filmkritik

Liebesbriefe an die Filmgeschichte

Die Kinostarts im Überblick und was sonst noch so Filmisches in der Stadt geschieht

  Liebesbriefe an die Filmgeschichte | Die Kinostarts im Überblick und was sonst noch so Filmisches in der Stadt geschieht

Zwischen Frieden und Freiheit liegt ein eklatanter Unterschied – und doch ist mir im Dezember-kreuzer der Fehler unterlaufen, diese beiden Worte unachtsam zu verwechseln. Madaraka Nyerere sagt im Film, dass Freiheit heute in einem Land wie Tansania illusorisch sei – und nicht wie es im Heft steht »Frieden«! Am Sonntag feiert der Dokumentarfilm »The Teacher's Country« von Benjamin Leers in der Kinobar Prager Frühling seine Deutschlandpremiere. Schneewittchen, Frauenfreundschaften und Männerbünde – weitere neue Leinwandgeschichten gibt es hier.

Weihnachtszeit ist Märchenzeit und das Märchen vom schönen Schneewittchen und der bösen Stiefmutter kennt nicht nur jedes Kind. Es inspiriert auch immer wieder Künstler und Filmemacher. Nun hat sich der spanische Regisseur Pablo Berger (»Die Torremolinos Homevideos«, 2003) an eine Adaption des Grimm’schen Stoffs gemacht. Ganz anders als seine jüngsten Vorläufer – der dunkle Fantasygrusel »Snow White And The Huntsman« und die quietschbunte Popversion »Spieglein, Spieglein« –, die auf ganz unterschiedliche Weise auf große Unterhaltungseffekte und ein gewisses Maß an Überfluss setzen, findet bei Berger das Quäntchen mehr höchstens in Mimik und Gestik seiner Protagonisten statt. Und das zu recht: »Blancanieves« verfrachtet im prächtigen Gewand schwarzweißer Stummfilmästhetik das Märchen ins archaische Südspanien der zwanziger Jahre inmitten von Stierkampfarenen, skurrilen Freakshows und Wanderzirkussen. Schneewittchen ist hier Tochter eines berühmten Toreros und heißt Carmen. Die Mutter stirbt bei der Geburt, der Vater ist nach einem Unfall in der Arena gelähmt. Er heiratet eine Krankenschwester, die die kleine Carmen sofort in ein Kellerloch steckt und als Dienstmädchen unsägliche Aufgaben von früh bis spät übernehmen lässt. Der Jäger ist Chauffeur und treu ergebener (Sex-)Sklave der Stiefmutter. Die sieben Zwerge sind ein Trupp herumfahrender kleinwüchsiger Toreros. Eine originelle Adaption ist Bergers Schneewittchen, das zwischen Melodram, liebevoller Komik und makabren Einsprengseln wechselt. Wenn der tote Vater als Fotomotiv in unterschiedlichsten Positionen auf dem Sofa zurechtgerückt wird, ist das komisch und surreal zugleich. Eine ausführliche Besprechung und was es sonst noch an Stummfilmen im Dezember auf Leipziger Leinwänden gibt, können Sie im Dezember-kreuzer nachlesen.

»Blancanieves – Ein Märchen von Schwarz und Weiß«: ab 28.11., Passage Kinos, ab 19.12., Schauburg , ab 29.12., Kinobar Prager Frühling

Lil und Roz sind seit ihrer Kindheit beste Freundinnen. Ihre Häuser sind nur wenige Meter voneinander entfernt und die Türen stets offen. Genau wie die Mütter verbindet auch die beiden Söhne Ian und Tom eine tiefe Vertrautheit. Wenn Mütter und Söhne abends beim Essen zusammensitzen, ist das ein Bild vollkommen entspannter Harmonie, die aus der Balance zu geraten droht, als Roz sich auf eine Affäre mit Lils Sohn einlässt und dessen Freund seinerseits mit Lil anbändelt. Mit »Tage am Strand« verfilmt die französische Regisseurin Anne Fontaine (»Coco Chanel«) eine Kurzgeschichte von Doris Lessing, deren Setting sie in eine paradiesische, sonnendurchflutete Bucht an der australischen Ostküste verlegt hat. Was zunächst als gefälliges Postkartenmotiv anmutet, ist hier der notwendige Nährboden für einen moralfreien Raum, in dem das sich überschneidende Beziehungsgeflecht zwischen Müttern und Söhnen verhandelt wird. Im Zentrum steht die unumstößliche Freundschaft der beiden Frauen. Naomi Watts und Robin Wright gelingt es hervorragend, diese tiefe Seelenverwandtschaft darzustellen, ohne die verschiedenen Konturen der Figuren zu verwischen. Die ganze Kritik können Sie im aktuellen kreuzer nachlesen.

»Tage am Strand«: ab 28.11., Passage Kinos, ab 26.12., Kinobar Prager Frühling

Am Anfang steht der Suizid. Zumindest der Versuch. Jedenfalls sieht es ganz danach aus. Ein älterer Mann steht gedankenverloren neben den geschlossenen Bahnschranken am Gleis. Als der Zug herandonnert, wird Felix (Henry Hübchen) von dem jungen Thomas (Maximilian Simonischek) in letzter Minute zu Boden geworfen. Mit viel Dankbarkeit wird der Retter jedoch nicht belohnt. Wenig später treffen die beiden Männer zufällig im leeren Speisesaal eines luxuriösen Hotels wieder aufeinander. Aus dem verlegenen Smalltalk entwickelt sich ein erstaunlich intensives Gespräch. Über eine Viertelmillion Exemplare wurden von dem Schweizer Bestseller hierzulande verkauft; dass es fast zehn Jahre bis zu einer Verfilmung dauerte, dürfte an der vermeintlichen Sperrigkeit des Stoffes gelegen haben. Eine Handlung, die weitgehend durch Dialoge erzählt wird, macht es der Dramaturgie nicht ganz einfach. Der Krimi-erfahrene Markus Imboden weiß, wie man Spannung aufbaut, dramaturgische Haken schlägt und das Publikum bei der Stange hält. Ihm gelingt es, aus diesem auf wenige Schauplätze begrenzten Kammerspiel ein verblüffend packendes Drama mit Thriller-Qualitäten zu entwickeln. Die ganze Kritik können Sie im November-kreuzer nachlesen.

»Am Hang«: ab 28.11. Passage Kinos

Wer schon länger einen Kinoausflug mit der ganzen Familie plant, kommt mit eisigen und auch liebreizenden Filmen auf seine Kosten: Zum einen ist da der beeindruckende Dokumentarfilm »Die Familie mit den Schlittenhunden«, der mit wunderschönen Naturaufnahmen das intime Porträt der Familie Olesen zeichnet, die in der Abgeschiedenheit der Natur im Norden Kanadas lebt. Aus diesem Grund ist das Leben von Vater Dave, Mutter Kristen sowie den beiden Töchtern Annika und Liv auch wenig abwechslungsreich. Die Olesens besitzen 37 Alaska-Huskys. Die 15-jährige Annika will beim Iditarod, einer Art Junior-Ausgabe des härtesten Schlittenhunde-Rennens der Welt, teilnehmen, und so macht sich die Familie auf die Reise.

»Die Familie mit den Schlittenhunden«: 1., 6.–8., 14., 21./22., 26.–29.12., Schaubühne Lindenfels

Ebenfalls viel Schnee und Eis sowie eine wohlig warme Geschichte gibt es in einer Neu-Interpretation der »Schneekönigin«: Durch eine Prophezeiung fällt das Königreich Arendelle in einen ewig währenden Winter. Um gegen das kalte Schicksal des Reichs anzukämpfen, schließt sich die Königstochter Anna mit dem schroffen Kristoff zusammen, einem draufgängerischen Bergbewohner. Ihr Vorhaben kann ihnen nur gelingen, wenn sie Annas Schwester Elsa, die mittlerweile als Schneekönigin bekannt ist, ausfindig machen und besiegen.

»Die Eiskönigin – Völlig unverfroren« (3D): ab 28.11., CineStar, Cineplex im Alleecenter, Passage Kinos, Regina Palast

»Peace Old Jazz Band« ist vielleicht die älteste Band der Welt. Seit mehr als 30 Jahren spielt sie jeden Abend im Peace Hotel in Shanghai. Der Film begleitet die sechs Herren zwischen 53 und 93 Jahren bei ihren Vorbereitungen für das größte Jazz-Festival in Europa, in Rotterdam. Nicht nur die Bandmitglieder werden näher betrachtet, sondern auch der Weg, den sie in den vergangenen Jahrzehnten zurücklegen mussten. Unterhaltsamer Dokumentarfilm, der sich ganz auf die Reise des Musiktrupps nach Europa konzentriert.

»As Time Goes By In Shanghai«: ab 28.11. Passage Kinos

1818 wird der junge und idealistische Priester Joseph Mohr nach Oberndorf versetzt. In dem kleinen Städtchen nahe Salzburg herrscht Armut und Perspektivlosigkeit, daher setzt sich Mohr das Ziel, die Kirche wieder näher zu den Menschen zu bringen.

»Stille Nacht«: ab 28.11., Schauburg

Es ist der Flop der Woche, ja sogar des Monats, so enttäuschend ist Ridley Scotts neuer Film »Counselor«, der eine Riege Schauspielstars um Fassbender, Cruz, Bardem, Diaz und Pitt versammelt, die alle nicht so recht miteinander ins Spiel kommen. Auf einer Party wird dem Counselor vor Augen geführt, dass er viel zu wenig aus seinem Leben macht und mit seinem Charisma eine ganze Menge mehr Geld und viel mehr Ruhm erringen könnte. Der Counselor lässt sich auf einen augenscheinlich lukrativen Drogendeal ein und wird bald zum Spielball der mexikanischen Drogen-Kartelle. Da sich das Jahr dem Ende neigt, soll also auch mal Platz sein, Unmut über das zu äußern, was im Laufe der zwölf Monate so über die Leinwände stolperte. Der Unmut ballt sich heute in Ridley Scotts neuem Film, für den Cormac McCarthy das Drehbuch lieferte. Scotts Geschichte über einen Anwalt, der nicht genug kriegen kann, fährt schnurstracks gegen die Wand mit einem zusammenhangslosen, gewollt bedeutungsschwangerem Wirrwarr an Figuren, die zu keiner Zeit auch nur irgendeine Bindung miteinander oder gar zum Zuschauer aufbauen. Genauso wenig, wie sich der Zuschauer in die Geschichte einfindet, gelingt es den Figuren oder auch den Schauspielern, ihren Platz im Film zu finden.

»The Counselor«: 28.11., CineStar, Cineplex im Alleecenter, Regina Palast, ab 19.12., Schauburg

Der Dokumentarfilm »The Teacher's Country« des gebürtigen Leipzigers Benjamin Leers wirft einen Blick auf Tansania 50 Jahre nach der Unabhängigkeit des Landes und begleitet Madaraka Nyerere, den jüngsten Sohn des ersten Präsidenten, auf den Kilimandscharo. Bereits Ende 2011 berichtete der kreuzer über das Projekt, das damals noch in der Finanzierungsphase steckte. Hier gibt es einen kleinen Vorgeschmack auf das, was Sie bei der Deutschlandpremiere am ersten Advent in der Kinobar Prager Frühling erwartet.

 

Filmfutter jenseits der Neustarts:

Shed vertont »Nosferatu – Eine Sinfonie des Grauens«:

Der Hahnenschrei verkündet das Ende einer langen, düsteren und exzessiven Nacht. Die aufsteigende Sonne mahnt an die baldige Heimkehr. Länger zu bleiben zöge Schmerzhaftes nach sich. Dass Technofan und Graf Orlock nun nicht mehr nur im Unwillen gegen das Morgengrauen vereint sind, ist Shed zu verdanken, der sich einer Neuvertonung von Murnaus Vampir-Klassiker angenommen hat.

28.11., UT Connewitz

»extra – experimental trails« – Festival für experimentelle Film- und Videokunst:

»extra«, das zum zweiten Mal in Leipzig stattfindet, bietet neuen filmischen Sichtweisen internationaler Provenienz für drei Tage eine offene und zeitgenössische Diskussions- und Ausstellungsplattform. Es reiht sich ein in die seit 2006 im D21 Kunstraum existierende »Reihe Experimentalfilm«. »extra« speist sich aus Arbeiten experimenteller Filmkünstler, deren Positionen, Ästhetik oder Arbeitsweise noch nicht oder wenig etabliert sind und die noch keinem allgemeinen Kanon oder Konsens angehören.

28.–30.11., Cineding

Abschlusspräsentation der PMMC 2013:

Am 29. November findet um 20.30 Uhr im Luchs-Kino in Halle (Saale) die Abschlusspräsentation der PMMC (Professional Media Master Class) statt, die seit 2011 von der Werkleitz, dem Zentrum für Medienkunst, durchgeführt wird. In Kooperation mit DOK Leipzig oder auch der Mitteldeutschen Medienförderung werden regionale dokumentarische Kurzfilmproduktionen in die Tat umgesetzt. Zum diesjährigen Jahrgang gehören Sandra Barth, Emerson Culurgioni, Florian Fischer, Malte Fröhlich, Maria Kindling, Katharina Knust, Johannes Krell, Jonas Matauschek, Martha Runge, Nick Teplov. Es gibt die Möglichkeit zum Gespräch mit den Filmemachern.

Abschlusspräsentation: 29.11., LUCHS KINO in Halle (Saale), Reservierung empfohlen: pmmc@werkleitz.de

Weitere Filmbesprechungen und -tipps finden Sie hier und in unserer Printausgabe.

Gute Unterhaltung im Kinosessel!


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