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Filmkritik

Vom Schrebergärtchen aufs Matterhorn

Die Kinostarts im Überblick und was sonst Filmisches in der Stadt geschieht

  Vom Schrebergärtchen aufs Matterhorn | Die Kinostarts im Überblick und was sonst Filmisches in der Stadt geschieht

Es wird Ihnen diese Woche im Kino einiges zugemutet: Katrin Gebbes Filmdebüt »Tore tanzt« fasst seine Zuschauer nicht mit Samthandschuhen an und doch wollen wir Ihnen dieses Werk des jungen deutschen Kinos auf der Leinwand ans Herz legen. Ebenso den Erstling des niederländischen Filmemachers Diederik Ebbinge: »Matterhorn« ist ein märchenhafter Film. Ähnlich ans Herz geht der Dokumentarfilm »Dancing in Jaffa«, der palästinensische und jüdische Kinder auf dem Parkett zusammenbringt. Auch im Konflikt zwischen Israel und Palästina angesiedelt ist der Politthriller »Bethlehem«. Robert Redford überzeugt mit einer Ein-Mann-Show – und Oliver Hirschbiegel versucht dem Mythos Diana eine neue Facette abzugewinnen, was ihm leider nicht wirklich gelingt.

Märtyrer im Schrebergarten: Es wirkt geradezu bedrohlich, wie die Kamera aus der Vogelperspektive über dieser Schrebergartensiedlung kreist. Die Idylle ist brüchig, dafür braucht es keine großen Anhaltspunkte. In jeder dieser Gartenlauben könnte sich das abspielen, was uns Katrin Gebbe in ihrem fast zweistündigen Filmdebüt »Tore tanzt« zumutet. Ja, man muss hier von Zumutung sprechen, denn Gebbes Film ist wie ein Faustschlag in die Magengrube. Seinem göttlichen Vorbild gleich will der junge Jesus-Freak Tore (Julius Feldmeier) das Leid der Welt auf sich nehmen. Eines Tages trifft er auf einem Rastplatz Benno (Sascha Alexander Geršak), dessen Freundin Astrid (Annika Kuhl) und deren Kinder Dennis und Sanny. Die Familie wohnt in einer Gartenlaube am Rande der Stadt und genau hierhin lädt Benno Tore für den Sommer ein. Das Familienidyll im Schrebergärtchen trügt. »Was können mir die Menschen schon tun?«, fragt Tore, der ein »Lord teach me«-Tattoo auf dem Rücken trägt. Diese harmlos wirkende Frage stellt Gebbe dem Film, den sie in drei Kapitel »Glaube«, »Liebe«, »Hoffnung« unterteilt hat, voran und läutet damit Tores Leidensweg und Demontage ein. »Tore tanzt« ist radikal auf so vielen Ebenen, aber vor allem in der Passivität seiner Hauptfigur. Einer Passivität, wie sie die Figur der Selma in »Dancer in the Dark« seinerzeit für den Zuschauer auf unerträgliche Weise zelebrierte. Lars von Triers Film war wohl auch Inspiration für Gebbe. Aus diesem Grund wird zeitgleich zu »Tore tanzt« auch noch einmal »Dancer in the Dark« in der Schaubühne Lindenfels gezeigt. Die ausführliche Besprechung können Sie im aktuellen kreuzer nachlesen.

»Tore tanzt«: 10.-12., 19., 21.-25.1., Schaubühne Lindenfels, 27.-29.1., UT Connewitz

In der kleinen Gemeinde in Seeländisch-Flandern sind die Geschlechterrollen klar verteilt. Hier gehört ein Mann zu einer Frau und eine Frau zu einem Mann. Die Jungen spielen Fußball und die Mädchen auf jeden Fall nicht. Etwas anderes wird nicht geduldet, schließlich wirft der liebe Gott einen Blick darauf. Hier lebt Fred (großartig: Ton Kas), ein biederer Mann Anfang 50, passionierter Bach-Hörer und Witwer. Jeden Tag Punkt 18 Uhr steht das Abendessen auf dem Tisch, sonntags geht er in die Kirche. Freds monotoner Alltag wird durchbrochen, als er mal wieder durch die Gardine lugend im Garten seines Nachbarn den vermeintlichen Landstreicher Theo (René van 't Hof) entdeckt. Den festgezurrten Konventionen zum Trotz lädt Fred Theo zu sich ein. Um das erste gemeinsame Abendessen entspinnt sich eine unkonventionelle, märchenhaft queere Liebesgeschichte voller Überraschungen, die zwei Menschen zueinander bringt, die sich in ihrer Gegensätzlichkeit und Schrulligkeit kaum übertreffen und genauso gut dem Filmuniversum Wes Andersons entsprungen sein könnten. Die ganze Kritik können Sie im aktuellen kreuzer nachlesen.

»Matterhorn«: 12.-15.1., Cinémathèque in der naTo

Herzstück der letzten Filmkunstmesse: Hilla Medalias Dokumentarfilm »Dancing in Jaffa« begleitet den rund 70-jährigen, in den USA lebenden Tanzlehrer Pierre Dulaine, der in den arabisch geprägten Stadtteil Jaffa von Tel Aviv zurückkehrt und ein Schultanzprojekt initiiert, bei dem palästinensische und jüdische Kinder gemeinsam Tanzen lernen. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten kommt das Projekt ins Rollen. Die israelische Filmemacherin wagt einen äußerst originellen Blick auf den medial so präsenten Nahostkonflikt und befreit ihre Geschichte auf unterhaltsame und rührende Weise von gängigen Medienklischees. Wunderbar!

»Dancing in Jaffa«: 9.1., Passage Kinos

Im verminten Gelände: Im Vorfeld war »Bethlehem« zum Propagandastreifen gestempelt worden, weil er keine Pälestinenser-Opfer-Perspektive einnimmt. Die kommen zum Teil als waffenstarrende Protagonisten daher, die – mal religiös, mal ökonomisch motiviert, mal aus Machismo heraus – auf Menschen schießen. Und Israels Streitkräfte sind keine anonymen Robocops, denen das bisschen Intifada ganz recht geschieht. Im Zentrum stehen zwei Menschen, deren freundschaftliche Verbindung unwirklicher kaum sein könnte. Razi (Tsahi Halevi) versucht als Geheimdienstmitarbeiter palästinensische Terroristen dingfest zu machen. Der jugendliche Sanfur (Shadi Mar'i), Bruder eines führenden Militanten, ist sein Informant. »Bethlehem« gelingt ein eher selten dargestellter Blick in die direkte Konfliktzone hinein. Wenn zwischen Steine werfenden Jugendlichen, die Sicherheitsleute an der Verhaftung eines Terroristen hindern, plötzlich MG-Feuer auftaucht: Was sind dann die angemessenen Mittel? Wenn sich Hamas- mit Al Aqsa-Leuten um die Leichen von Märtyrern streiten, zeigt sich auch, wie wenig das monolithische Bild von den Palästinensern stimmt. Auch hier leben unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Interessen. Sich nicht vom Vorurteil leiten zu lassen, sondern in die Grauzone der individuellen Bewertung zu begeben, macht den ganzen Vorzug dieses – nebenbei: gut erzählten – Films aus. Die ganze Kritik können Sie im aktuellen kreuzer nachlesen.

»Bethlehem«: 9.-12., 14./15.1., Schaubühne Lindenfels

Redfordsche Glanzleistung: Robert Redford als einsamer Segler liefert eine faszinierende und überzeugende One-Man-Show ab. Und auch Regisseur J. C. Chandor (»Der große Crash«) holt aus dieser doch recht überschaubaren Geschichte eines Mannes in Seenot alles heraus und überzeugt mit einer Inszenierungsweise, die die Weite des Ozeans auch für den Zuschauer beängstigend nah kommen lässt. Nachdem ein auf hoher See treibender Container die Yacht eines sehr erfahrenen Seglers gerammt hat, treibt dieser allein und ohne jeglichen Funkkontakt auf dem Meer.

»All is Lost«: ab 9.1., Passage Kinos, Regina Palast, ab 30.1., Kinobar Prager Frühling

Diana war die meistfotografierte Frau der 90er. Selbst nach ihren royalen Pflichten war sie immer noch humanitär tätig und versuchte zwischen all den Paparazzi auch ihr privates Glück zu finden. Doch ihre Beziehungen litten unter dem permanenten Medieninteresse, so auch die mit dem britisch-pakistanischen Herzchirurgen Hasnat Khan, der bis heute noch als ihre große Liebe gilt. Oliver Hirschbiegel (»Der Untergang«) zeichnet in seinem Film die letzten beiden Jahre von Diana (Naomi Watts) nach und zeigt ihre Beziehung zu Khan (Naveen Andrews) sowie zu ihrer letzten Liebe Dodi Al-Fayed (Cas Anvar). Nicht so wirklich ein Biopic ist Hirschbiegels Arbeit. Zwar vermag er, eine spannende Liebesgeschichte zu erzählen, die tatsächlich auch im Zuschauer Neugier erweckt, auch wenn der Ausgang gewiss ist. Aber das funktioniert nur losgelöst von der prominenten Vorlage. Denn Hirschbiegel gelingt es nicht so ganz, dem Mythos Diana näher zu kommen.

»Diana«: ab 9.1., CineStar, Passage Kinos, 25., 28./29.1., Kinobar Prager Frühling

Nervenaufreibender Dokumentarfilm: Allein der Trailer zu diesem Dokumentarfilm ließ den Atem stocken. »Blackfish« ist ein schockierender Dokumentarfilm über die Gefangenschaft von Killerwalen. Mitte der achtziger Jahre wurde Schwertwal Tilikum im Nordatlantik gefangen. Seit fast 30 Jahren gehört das Tier nun zum Unterhaltungsprogramm verschiedener Freizeitparks. Seit 1991 beherbergt der Meeres-Themenpark SeaWorld den Orca. Seit seiner Gefangennahme ist der »Killer-Wal« für den Tod einiger Trainer verantwortlich. Der Film zeigt in Interviews und Expertenkommentaren die Ursache dafür: Die Umstände, unter denen die Wale der Freizeitparks leben müssen. Ohne ins Sentimentale abzudriften, schärft »Blackfish« das Bewusstsein für das Verhältnis von Mensch und Tier.

»Blackfish«: 10., 12.1., Kinobar Prager Frühling

Zwei alte Helden kehren zurück: Robert de Niro und Sylvester Stallone treffen sich 30 Jahre nach ihren großen Kämpfen im Boxring. Peter Segals Komödie beruft sich gleichzeitig auf »Rocky« und »Wie ein wilder Stier«, doch sehen vor allem auch die Gags ziemlich alt aus.

Zwei vom alten Schlag«: ab 9.1., Cineplex im Alleecenter, CineStar, Regina Palast

Hm, wenn Sie daran interessiert sind, zu sehen, wie man beim Versuch, die Bestseller-Verfilmung »Die Tribute von Panem« zu karikieren, haushoch scheitern kann, dann sollten Sie sich ein Ticket für diesen belanglosen und eher nervtötenden Abklatsch an der Kinokasse besorgen. Wenn nicht, dann scrollen Sie am besten wieder nach oben!

»Die Pute von Panem«: ab 9.1., CineStar

Weitere Filmbesprechungen und -tipps finden Sie hier und in unserer Printausgabe.

Gute Unterhaltung im Kinosessel!


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