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Stadtleben

Der letzte Notausgang

Zu Besuch in der Schönefelder Asylbewerberunterkunft

  Der letzte Notausgang | Zu Besuch in der Schönefelder Asylbewerberunterkunft

Wer lebt eigentlich im Flüchtlingsheim Leipzig-Schönefeld? Ein Besuch bei der syrischen Familie al Shabi, die als eine der ersten in die Notunterkunft gezogen ist und dort endlich wieder durchschlafen kann.

Das Boot ist voll, so richtig voll. Die Menschen stehen bis zur Reling eng gedrängt aneinander und vor allem Kinder liegen dicht an dicht wie Robben nebeneinander auf dem Deck. Die Sonne scheint, rundherum offene See, Beerdigungsstimmung in den Gesichtern. Alle wissen, dass diese Reise genauso gut im Tod und nicht auf dem europäischen Festland enden könnte.

Bashar al Shabi hat diese Fotos mit dem Handy gemacht und er ist immer noch entsetzt und überrascht zugleich darüber, dass er, seine Frau Amene und ihre drei Kinder im Grundschulalter diesen Wahnsinn nicht nur einmal, sondern viermal mitgemacht haben. Auch Esslam, die jüngste Tochter, studiert die Fotos ganz genau, guckt dann in die Runde und lächelt triumphierend, als hätte sie eine Ahnung davon, was sie und ihre Familie da geschafft haben.

Das erste Mal wurden sie von der italienischen Küstenwache aufgegriffen und nach Libyen zurückgebracht. Das zweite Mal ist das Luftkissen ihres Luftkissenbootes mitten in der Nacht auf dem Mittelmeer geplatzt. Amene findet die Frage, ob sie schwimmen könne, lachhaft. Ja, sie kann schwimmen, ihr Mann und der älteste Sohn auch, aber das hätte genauso viel gebracht wie beten, also haben sie sich gegenseitig festgehalten und gebetet. Wieder kam die Küstenwache und hat sie nach Nordafrika zurückgebracht. Beim dritten Mal ist das Schiff gar nicht erst losgefahren und beim vierten Mal hat es dann geklappt. Sie sind in Sizilien gestrandet.

Immer wieder in so ein Boot zu steigen, sei das Vernünftigste gewesen, was sie in dieser Situation tun konnten, da sind sich Bashar und seine Frau Amene vollkommen einig. Die Wahrscheinlichkeit zu sterben war für sie in Libyen mindestens genauso hoch wie in ihrer Heimat, dem syrischen Homs. Von dort aus waren sie am 18. Juni 2012 aufgebrochen, als ihr Haus von einer Bombe getroffen und zerstört wurde. Bashar war Handwerker, Maler. Seit Ausbruch des Bürgerkriegs verschwendete jedoch niemand mehr einen Gedanken daran, sein Haus streichen zu lassen. Bashar hatte also keine Arbeit und auch keine Ambitionen, sich irgendeiner Miliz anzuschließen. Er hat eine Art Neurodermitis, seit er in Syrien Wehrdienst leisten musste, erzählt er.

Außerdem wollte er, dass sein ältester Sohn Abdallah endlich wieder ein funktionierendes Hörgerät bekommt, das war schon ein halbes Jahr nicht mehr zu kriegen. Also verkauften sie alles, was sie hatten, flogen nach Ägypten und fuhren von dort aus weiter auf Pick-ups oder Viehwagen nach Libyen: das freie Libyen ohne Gaddafi, wo Menschen mit übriggebliebenen Waffen aus dem Bürgerkrieg den alltäglichen Überlebenskampf bestimmen. Als Flüchtling dort am untersten Ende der Hackordnung zu stehen bedeutet, in Todesangst zu leben. Ein Jahr und vier Monate wurde die syrische Familie aus verschiedenen Städten immer wieder vertrieben, ständig bedroht. Dann hatte Bashar als Tagelöhner endlich das Geld für den »letzten Notausgang«, wie er sagt, eine Überfahrt nach Europa, zusammen.

Sie waren mit die Ersten, die Anfang Dezember in die alte Schule in Schönefeld gezogen sind, in diejenige Asylbewerberunterkunft, gegen deren Einrichtung einige Anwohner demonstrierten. Amane reckt den rechten Daumen nach oben und grinst breit, es sei wunderbar hier. Sie werden wieder behandelt wie Menschen. Sie schlafen in Ruhe ein, sie stehen in Ruhe auf und Omar, der Jüngste, der jetzt alle fremden Erwachsenen am Tisch mit einem Fernglas beobachtet und so tut, als würde ihn das alles nichts angehen, schläft wieder durch, ohne mitten in der Nacht in einem Schrei- und Weinkrampf zu erwachen. Das Essen, ja, das sei in der Tat ein bisschen seltsam, weil alles immer in einer komisch geschmacklosen Soße ertrinkt, aber auch das könne man nicht wirklich ein Problem nennen. Man solle lieber schreiben, sagt Bashar, dass sie sehr dankbar sind, hier sein zu können. Auch draußen auf der Straße in Schönefeld, das würde ihnen alles sehr gut gefallen, da gebe es keine Probleme.

Und bei der Sache mit der Soße muss man noch mal gucken, was man da machen kann.


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