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Kinder & Familie

»Regenbogenfamilien sind nicht schrill«

Katja Irle fragt in ihrem neuen Buch, ob Homosexuelle die besseren Eltern sind

  »Regenbogenfamilien sind nicht schrill« | Katja Irle fragt in ihrem neuen Buch, ob Homosexuelle die besseren Eltern sind

Wer wissen will, wie homosexuelle Paare Eltern werden, der sollte Katja Irles neues Buch lesen. Ob durch Samenspende von Freunden, Leihmutterschaft, Adoption oder durch Sperma per Post: Im »Regenbogen-Experiment« lassen sich alle Möglichkeiten nachlesen, obwohl es der Autorin eigentlich nicht darum geht, die Neugierde der Heterosexuellen zu befriedigen. Sie möchte vor allem aufzeigen, wie die Gesellschaft über schwul-lesbische Familienformen denkt und fragt im Untertitel: »Sind Schwule und Lesben die besseren Eltern?«

In Deutschland leben zur Zeit schätzungsweise einige Tausend Kinder in Regenbogenfamilien. Obwohl die Zahl gering ist, wird die öffentliche Debatte um die Gleichstellung von Schwulen und Lesben im Hinblick auf eine Familiengründung sehr hitzig und kontrovers geführt. Immer noch wird einem gleichgeschlechtlichen Paar der Wunsch nach einem Kind erschwert: Ein Adoptionsrecht für homosexuelle Paare gibt es in Deutschland nach wie vor nicht. Wir sprachen mit der Autorin, die zur Buchmesse nach Leipzig kommt.

kreuzer: Der Titel fragt: Sind Schwule und Lesben die besseren Eltern? Recht schnell stellen die Leser fest, dass es in Ihrem Buch nicht wirklich um diese Beweisführung geht. Ist der Titel also Provokation?

KATJA IRLE: Sie haben Recht, der Titel ist provozierend. Ich habe es »Das Regenbogen-Experiment« genannt, weil Erziehung immer ein Experiment ist, unabhängig davon ob die Eltern heterosexuell oder homosexuell sind. Bislang wird ja immer gefragt, ob Lesben und Schwule nicht doch die schlechteren Eltern im Vergleich zu heterosexuellen Eltern sind. Mit dem Untertitel »Sind Schwule und Lesben die besseren Eltern?« wollte ich den Spieß umdrehen.

kreuzer: Man vermutet einen Ratgeber oder ein Leitfaden für Wunscheltern hinter dem Titel. Das war aber nicht Ihre ursprüngliche Absicht für das Buch, oder?

IRLE: Das Buch ist explizit kein Ratgeber. Es ist auch kein Szenebuch, sondern ein Debattenbuch, das die politische und gesellschaftliche Debatte um Regenbogenfamilien abbildet. Der Ausgangspunkt ist die Frage: Warum wird über homosexuelle Eltern so kontrovers und so heftig gestritten?

kreuzer: Wer soll das Buch lesen?

IRLE: Die Zielgruppe ist sehr breit. Es ging mir darum, nicht nur Regenbogeneltern anzusprechen, sondern generell alle, die sich für die Frage interessieren, wer und was Familie heute ist.

kreuzer: Sie sprechen davon, dass Kinder aus Regenbogenfamilien Vorteile haben. Welche denn?

IRLE: Eine Studie der australischen Melbourne Universität kommt zu dem Ergebnis, dass Kinder aus Regenbogenfamilien zumindest ein starkes Selbstbewusstsein haben und eine etwas höhere emotionale Stabilität. Andere Studien legen nahe, dass viele homosexuelle Eltern aufgrund eigener Diskriminierungserfahrungen offener sind gegenüber anderen Lebensformen und ihre Kinder vorurteilsfreier erziehen. Das halte ich für plausibel. Dennoch bin ich auch skeptisch, was solche Befragungen betrifft.

kreuzer: Warum?

IRLE: Oft sind das Studien mit geringer Teilnehmerzahl, und es handelt sich fast immer um Selbstauskünfte. Deshalb lassen sich daraus pauschale Aussagen über Regenbogenkinder nicht ableiten. Letztlich ist aber die sexuelle Orientierung der Eltern für Kinder viel weniger wichtig, als das in der allgemeinen Debatte so angenommen wird.

kreuzer: Der erste Kuss zwischen zwei Männern wurde im deutschen Fernsehen Anfang der 90er Jahre in der »Lindenstraße« gezeigt. Seitdem sind Schwule und Lesben in den Daily Soaps präsent, auch als Eltern. In der Öffentlichkeit sieht man sich küssende Männer aber immer noch selten. Ist das Medium Fernsehen also wirklich ein Abbild des realen Lebens?

IRLE: Ich glaube, dass Film und Fernsehen schon maßgeblich dazu beigetragen haben, das Bild von Homosexualität in der Gesellschaft zu prägen und zu verändern. Ich denke da beispielsweise an meine Eltern, die auf dem Land leben: Die kennen Homosexualität in ihrem Umfeld gar nicht. Sie erleben das aber über die Medien. Aber es hat auch den Nachteil, dass in den Medien nur ganz bestimmte Aspekte von homosexuellem Leben dargestellt werden, oft nur das Schrille. Regenbogenfamilien sind nicht schrill, sie leben ein ganz normales Alltagsleben wie die allermeisten anderen Familien auch.

kreuzer: Das Buch informiert auch ganz praktisch über die verschiedenen Möglichkeiten für gleichgeschlechtliche Paare, ein Kind zu bekommen. Heterosexuelle fragen sich ja immer: Wie machen die das eigentlich, die Schwulen?

IRLE: (lacht) Da waren die Regenbogenfamilien auch immer ganz amüsiert, dass die Heterosexuellen immer fragen: Wie macht ihr das eigentlich? Ich habe ein lesbisches Paar getroffen, das sehr offen damit umgeht, auch den Kindern gegenüber. Die soziale Mutter sagte, sie erzählt es einfach, wenn sie gefragt wird, und dann ist es gut.

kreuzer: Die Familien erlauben den Lesern viel Einblick in ihr Leben. Was haben Sie durch die Gespräche mit den Familien Neues für sich erfahren?

IRLE: Im Laufe der Recherche habe ich gemerkt, dass Regenbogenfamilien einen Alltag leben, der sich von anderen Familien kaum unterscheidet. Ich habe aber auch gemerkt, wo meine persönliche Toleranzschwelle liegt. Für mich war es das Thema Leihmutterschaft. Ich habe ein schwules Paar besucht, das drei Kinder über Leihmütter im Ausland bekommen hat (Leihmutterschaft ist in Deutschland gesetzlich verboten. Anm. der Red.). Das finde ich hochproblematisch, weil die Kinder keinen Zugang zu ihrem Ursprung haben. Hier stellt sich die Frage, wie geht die Familie damit um: Thematisiert sie es oder nicht? Ich glaube, es ist wichtig, dass Kinder zumindest die Möglichkeit haben, Kontakt zu diesem Teil ihrer Familiengeschichte aufzunehmen.

kreuzer: Mit welchem Gefühl gehen Sie jetzt auf die Buchmesse, um Ihr Buch vorzustellen?

IRLE: Ich gehe mit einem guten Gefühl hin. Ich hoffe, dass das Buch dazu beiträgt, die Debatte noch ein bisschen voranzutreiben. Ich weiß, dass der Titel polarisiert. Das ist auch legitim, wenn man eine Debatte führen möchte, und es ist auch legitim, wenn man nicht nur Regenbogeneltern ansprechen möchte, sondern das ganze Spektrum von Familien.


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