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Politik

»Antirassismus muss Alltag werden«

Refugees Welcome! ruft am Samstag zur antirassistischen Demo. Worum geht’s?

  »Antirassismus muss Alltag werden« | Refugees Welcome! ruft am Samstag zur antirassistischen Demo. Worum geht’s?

Das Solidaritätsbündnis Refugees Welcome! Leipzig lädt am Tag vor der Europa- und Kommunalwahl zur antirassistischen Demonstration. Was genau die Ziele der Veranstaltung sind, wo es auch in ganz alltäglichen Situationen Rassismus gibt und wie man Flüchtlinge unterstützen kann, erklären die Initiatoren im Interview.

kreuzer online: Ist das Datum ein Tag vor der Wahl bewusst gewählt?

REFUGEES WELCOME!: Ja. Der 24. Mai ist nicht nur der Tag vor der Stadtrats-, sondern auch vor der Europawahl. Und es ist vor allem die Europäische Abschottungspolitik, die immer wieder zu Katastrophen wie Ende letzten Jahres vor Lampedusa führt. Die Europäische Grenzpolitik ist somit zentral für das Thema Asyl und Flucht. Und ja, wir sehen auch neben der NPD offen rassistische Parteien. Die AfD versucht momentan mit einer kruden rassistisch-neoliberalen Verwertungslogik, auf die von der CSU losgetretene »Asyldebatte« aufzuspringen. Lokal zeigt sich dieses peinliche, aber leider effektive hin und her zwischen plumpen Nationalismus und Möchtegern-Liberalismus in den Kommentaren der AFD zum Moscheebau in Gohlis: »Aus der Religionsfreiheit lässt sich kein Grundrecht auf Großmoscheen ableiten«, ließ sich Leipzigs Kreisverbands-Chef-Chef Uwe Wurlitzer zitieren. Außerdem kommt ein starkes außerparlamentarisches Zeichen gegen Rassismus nie zur falschen Zeit!

kreuzer online: Wie äußert sich rassistischer Alltag in Leipzig?

REFUGEES WELCOME!: Medial wahrnehmbar ist der bei den Protesten gegen die Asylnotunterkunft in Schönefeld und den Moscheebau in Gohlis. Aber auch im Leipziger Alltag finden sich immer wieder rassistische Tendenzen. So vertreten beispielsweise einige NPD-nahe Ultra-Gruppen ganz offen und unverblümt rassistische Positionen. Auch rassistische Einlasskontrollen, wie sie vom Antidiskriminierungsbüro Sachsen untersucht wurden, zeigen, dass rassistische Ressentiments nicht nur in den Köpfen von martialisch auftretenden Nazis stecken. Menschen werden nach wie vor nach Aussehen und Herkunft kategorisiert. Racial Profiling der Polizei ist ein besonders ekelhafter Ausdruck davon: Straftaten werden im Zweifel bei »ausländisch« aussehenden Menschen vermutet. Zusätzlich kommt es im Leipziger Umland immer wieder zu ausländerfeindlich motivierten Gewalttaten und Anschlägen. Angriffe wie in der Silvesternacht auf die Asylunterkunft in Borna sind leider relativ häufig.

kreuzer online: Wo sehen Sie die größten Probleme für Geflüchtete in Leipzig?

REFUGEES WELCOME!: Wie in ganz Sachsen sind es vor allem Residenzpflicht und die Unterbringung in Massenunterkünften, die zur sozialen Isolation der Geflüchteten führt. Im Leipziger Landkreis gibt es noch dazu ein Waren- und Lebensmittelgutscheinsystem, welches es Heimbewohnern nur erlaubt, in bestimmen Läden bestimmte Artikel zu kaufen. Neben dieser sehr anstrengenden Wohn- und Lebenssituation spielt auch der komplizierte Umgang mit der Ausländerbehörde eine Rolle. Die Menschen sind verständlicherweise der deutschen Bürokratie gegenüber völlig überfordert. Auch weil es nicht ausreichend Übersetzer gibt. Hinzu kommt der desolate bauliche und hygienische Zustand, in dem sich diese Unterkünfte oftmals befinden. Krassestes Beispiel war hier die vorübergehende Notunterkunft in einer verlassenen Schönefelder Schule, wo über den Winter die Bewohner, um sich zu waschen, Sanitärcontainer auf dem Hof nutzen mussten, nicht selber kochen konnten und außerdem der ständigen rassistischen Mobilmachung von NPD und »Wutbürgern« ausgesetzt waren.

kreuzer online: Welche Handlungsfelder sehen Sie?

REFUGEES WELCOME!: Menschen, die auf ihrer Flucht in Deutschland gelandet sind, müssen offen aufgenommen werden und es müssen ihnen Möglichkeiten und Perspektiven geboten werden. Bei allem Engagement der Bürger stellen wir eindeutige Forderungen an Stadt, Land und Staat. Wir fordern unbeschränkte Aufenthaltsgenehmigungen und die Aufnahme aller Geflüchteten ohne Verfahren, selbstbestimmtes Wohnen für alle, Abschaffung von Residenzpflicht und Gutscheinsystemen und die sozialrechtliche Gleichsetzung aller Geflüchteten! In Leipzig gibt es auf Initiative von Bürgern, Kirchen und Medien viele solidarische Organisationen und Vereine, die sich den Bedürfnissen von Geflüchteten zuwenden. So verbessern Angebote wie gemeinsames Kochen, Sprachkurse oder Patenschaftsmodelle ihren Alltag in jedem Fall. Das Problem ist jedoch, dass so der Staat aus der Pflicht genommen wird. Für den Staat ist dies nur Anlass, Ressourcen die in »Flüchtlingsarbeit« gesteckt werden, weiter zurück zu fahren. Ein Dilemma.

kreuzer online: Was kann eine Demonstration konkret gegen Rassismus bewirken?

REFUGEES WELCOME!: Es geht darum, ein öffentlich wahrnehmbares Zeichen gegen Rassismus und für eine solidarische Gesellschaft zu setzen. Das Thema soll, getragen von einem breiten Bündnis, in die gesellschaftliche Wahrnehmung dringen und die Menschen für den immer noch vorhandenen Rassismus sensibilisieren. Außerdem bildet die Demonstration den Abschluss einer Antirassistischen Aktionswoche mit mehreren Veranstaltungen zu den angesprochenen Themenbereichen.

kreuzer online: Wie antworten Sie auf mögliche Kritik, dass die Flüchtlinge einmal mehr entmündigt werden, weil andere für sie demonstrieren?

REFUGEES WELCOME!: Es geht eben nicht um Entmündigung oder Bevormundung. Wir stehen im Kontakt mit vielen Menschen, die eine Fluchthistorie aufweisen, möchten ihnen solidarisch zur Seite stehen und ein Sprachrohr für Ihre Forderungen sein. Es geht hier ganz klar um Empowerment, also eine Unterstützung zur Selbstermächtigung. Wir bemühen uns außerdem, dass so viele Geflüchtete wie möglich, trotz Residenzpflicht und anderer Hindernisse, zur Demonstration kommen. Darüber hinaus ist es gerade als Teil einer »weißen« Mehrheitsgesellschaft wichtig, sich mit Rassismus auseinanderzusetzen und das eigene Handeln in diesem Bereich stets zu hinterfragen.

kreuzer online: Flüchtlingsproteste haben seit letztem Jahr in ganz Deutschland zugenommen. Sehen Sie eine erstarkte antirassistische Bewegung?

REFUGEES WELCOME!: Die erstarkende, vor allem auch selbstorganisierte Refugee- Bewegung hat viele Gründe. Viele haben erkannt, dass sie den entrechteten Status in der BRD nicht hinnehmen müssen. Um die große Schleife durch die ältere und jüngste Geschichte abzukürzen: Wir hoffen eine erstarkende Antira-Bewegung am 24. Mai auf dem Johannisplatz zu sehen!

kreuzer online: Was antworten Sie einem Schönefelder, Wahrener etc., der sagt: »Ich bin kein Rassist, aber die Ausländer müssen hier nicht neben einer Grundschule leben«?

REFUGEES WELCOME!: Nein, sollten sie nicht müssen. Genau wie Sie sollten Geflüchtete selbstbestimmt wohnen. An dem Ort und auf die Art und Weise, wie sie es wollen. Ihre Aussage beinhaltet Vorurteile gegenüber Migranten und Asylsuchenden. Sie werden von Ihnen als potentielle Straftäter und Gefahr für die gesamte Gesellschaft gesehen. Dies sind pauschale Unterstellungen, für die es keine Belege gibt. Statt also rassistische Feindbilder aufzubauen und so das eigentliche Problem auszublenden, sollten Sie die Menschen in ihrem Kampf für ein selbstbestimmtes Leben unterstützen und so ein besseres Leben für alle ermöglichen. Genau dies ist der bürgerliche Rassismus, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen, weil er nach wie vor in den Köpfen vieler Menschen existiert. Antirassismus muss Alltag werden, auch darum ist es so wichtig zu demonstrieren.


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