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Politik

»Kürzer sind Ketzer«

Protest mit Strumpfmasken und Schlafsäcken vorm Büro von Beate Schücking

  »Kürzer sind Ketzer« | Protest mit Strumpfmasken und Schlafsäcken vorm Büro von Beate Schücking

Seit Anfang der Woche halten Studierende der Universität Leipzig das Rektorat besetzt. Mit kreativem Protest wollen sie die Stellenkürzungen verhindern und so das Institut für Theaterwissenschaft retten.

Das Vorzimmer der Büros im Rektorat der Universität Leipzig strotzt vor Pracht und musealem Flair. An der Wand hängen Gemälde uniformierter Männer, die Decke ziert aufwendiger Stuck, Flügeltüren führen hinaus zu einem großen Balkon. Doch diese Woche ist das Bild ein anderes: In der Ecke liegen Isomatten und Schlafsäcke, auf einer Kommode stapeln sich Einkaufstüten mit Saft und Keksen. Vereinzelt entdeckt man eine Zahnbürste auf dem Boden. Auf dem Balkon inmitten der Leipziger Innenstadt mit Blick auf den Augustusplatz stehen etwa zehn Personen mit bunten Masken. Sie sind laut, rufen durch ein Megafon: »Die Theaterwissenschaft bleibt.« Daneben hängen Transparente mit Sätzen wie »Kürzer sind Ketzer« sowie »Rektorat besetzt«.

Seit Montag hält eine Gruppe aus Studierenden der Theaterwissenschaft das Vorzimmer zu den Büros des Rektorats der Leipziger Uni besetzt, aus Protest gegen die bevorstehenden Stellenkürzungen. Sie nennen sich »Die Amputierten«, eine Anspielung auf die von Rektorin Schücking gewählte Metapher, man amputiere inzwischen ganze Muskelgruppen der Universität. Sie tragen bunte Strumpfmasken und verdecken damit ihre Gesichter. Jedoch nicht um sich zu verbergen, sondern um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie sagen: »Maske verbirgt nicht, Maske offenbart und macht sichtbar.« Ziel ist das Sichtbarmachen der Wut von Studierenden einer Wissenschaft, die in wenigen Monaten wegrationalisiert werden soll.

Der große Knall studentischer Proteste blieb nach Bekanntwerden der Kürzungspläne im vergangenen Januar zunächst aus. Einzelne künstlerisch geprägte Protestformen wie Stuhlperformance in der Innenstadt und Gespräche mit den Verantwortlichen lagen im Fokus der Studierenden. Nachdem dieses Vorgehen jedoch mehr ein Vertrösten als tatsächliche Veränderung der Beschlüsse erwirkt hat, wollen die Besetzenden die Proteste nun auf »eine neue Ebene bringen«. Die Besetzung sei durch die Masken »militant«, aber dennoch »lächerlich und bunt«, erklärt einer der Amputierten. Die Frustration über die Kürzungen habe zu einer sich anstauenden Wut geführt, die letztendlich in der vier Tage vorher geplanten Besetzung gipfelte. Dass dies in der Prüfungszeit und knapp vor den Semesterferien passiert, ist für die Gruppe kein Grund, pessimistisch zu sein. »Wir konzentrieren uns erst mal auf den nächsten Tag«, erklärt der Besetzer Peter.

Sie selbst bezeichnen die Besetzung als friedlich und betonen, dass sie den Arbeitsalltag im Rektorat nicht stören wollen – außer den der Rektorin Beate Schücking. Ihr wird der Zugang zu ihrem Büro nicht gewährt, solange sie nicht den Forderungskatalog der Besetzenden akzeptiert. Diese Forderung reichen von der Rücknahme der Stellenstreichungen am Institut für Theaterwissenschaft über die Forderung nach studentischer Mitentscheidung bis hin zur Erhaltung der Fächervielfalt der Uni Leipzig. Denn die Theaterwissenschaft ist so eine Muskelgruppe, die amputiert wird. Mittelfristig bedeuten die Kürzungspläne eine Schließung des gesamten Instituts und somit ein Wegfall des Studiengangs.

Schücking reagierte beim Zusammentreffen mit den Besetzenden am Montag unaufgeregt und erklärte nüchtern, sie nehme die Besetzung »als kreative, friedfertige Protestform« wahr und toleriere sie. Die Forderungen akzeptiere sie jedoch nicht, denn die »Rahmenbedingungen bleiben nun einmal bestehen«. Immer wieder betont sie, dass finanzielle Vorgaben von der Landesregierung kommen und verweist auf eine Profillinienbildung der Universität. Und tatsächlich: Urheber der Kürzungen ist nicht Beate Schücking oder das Rektorat, sondern die Landesregierung, die die Sparpläne vorlegt und von den Universitäten in ganz Sachsen Stellenstreichungen verlangt.

Der Vorwurf, die Besetzenden hätten die falsche Adressatin gewählt, schießt aber zu schnell. Zum einen erkennen sie an, dass »in erster Linie dafür LandespolitikerInnen der Koalition in Dresden als Verantwortliche zu nennen« seien, zum anderen kritisieren sie hauptsächlich, dass strukturelle Entscheidungen über den Kopf der Betroffenen hinweg gefällt wurden und die Kommunikation zwischen Rektorat und Institut mangelhaft und intransparent gewesen sei. »Uns ist bewusst, dass es eine Handlungsunfreiheit bei Frau Schücking gibt«, aber selbst bei der Frage, was wäre, wenn ihr die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen würden, erklärte die Rektorin sich nicht bereit, sich gegen die Kürzungen auszusprechen. Vielmehr wolle sie die Theaterwissenschaft umgestalten und somit eine Ökonomisierung weiter vorantreiben, erklärt eine Besetzerin. Die Doppelmoral sei bezeichnend: einerseits nehme sie sich aus der Schusslinie indem sie die Landesregierung beschuldigt, andererseits beziehe sie keine klare Position gegen die Stellenkürzungen.

Sowohl die Kommunikation als auch die Hoffnungen auf eine Rücknahme der Stellenstreichungen bleiben deprimierend für die Betroffenen. Und dennoch: Die Amputierten sind optimistisch. Gerade im Hinblick auf den Wahlkampf sehen sie die Besetzung als Möglichkeit, auch politisch Druck auszuüben und die Proteste auf Landesebene zu tragen. Zahlreiche studentische Gruppen und Fachschaften haben sich bereits solidarisiert, vereinzelt werden Seminare im besetzten Rektoratsraum abgehalten. Die Bewegung scheint in Gang zu kommen, ob sich das über die Semesterpause hält, bleibt abzuwarten. Für die Amputierten steht jedenfalls fest, dass sie bleiben.


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