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Stadtleben

»Asylbewerber kamen nicht zu Wort«

Zwei Cammerspielerinnen über ihre performative Stadtrundfahrt mit Flüchtlingen

  »Asylbewerber kamen nicht zu Wort« | Zwei Cammerspielerinnen über ihre performative Stadtrundfahrt mit Flüchtlingen

Am 23. September startet vor den Cammerspielen ein Theaterprojekt, das unter der Leitung von Clara Mickwitz und Julia Lehmann gemeinsam mit Asylsuchenden in Leipzig realisiert wurde. Es handelt sich um eine performative Stadtrundfahrt – Asylsuchende übernehmen die Leitung und zeigen ihr persönliches Umfeld in der Stadt auf. Das Projekt wurde über mehrere Monate in enger Zusammenarbeit mit den beiden Cammerspielerinnen Clara Mickwitz und Julia Lehmann ausgearbeitet. In unserem Interview erklären die beiden die Hintergründe und den Entwicklungsprozess des Projekts.

kreuzer: »Reisegruppe Heim-weh!« ist ein Theaterprojekt mit Flüchtlingen. Was war der Anlass hierfür?

JULIA LEHMANN: Im Prinzip ist die Idee schon 2012 entstanden. Ich war zu der Zeit in Athen und habe dort sehr viele Flüchtlinge kennengelernt. Ich habe mich mit ihnen auf der Straße unterhalten, sie gefragt, wie sie nach Europa gekommen sind und was sie für Vorstellungen haben. Gleichzeitig habe ich aus Athen auch sehr viel aus Leipzig mitbekommen und Videos von Bürgerprotesten gegen die dezentrale Unterbringung in Wahren gesehen. Das war der Anlass zu hinterfragen: In Leipzig kennt doch eigentlich niemand Flüchtlinge, niemand unterhält sich wirklich persönlich mit ihnen. Das steckt hinter dem Projekt. Ich habe mich mit Clara Anfang 2013 zusammengesetzt und dann haben wir langsam mit der Ausarbeitung des Konzepts begonnen.

CLARA MINCKWITZ: Es ging auch darum, dass in diesen Debatten viele zu Wort kamen, die Asylbewerber aber eben nicht. Von deren Seite hörte man relativ wenig.

kreuzer: Inwieweit hat das Projekt mit Theater zu tun?

LEHMANN: In erster Linie ist es eine performative Stadtrundfahrt. Es ist also kein Theater im klassischen Sinne, in dem jemand Rollen spielt, denn die Asylbewerber sprechen über ihr eigenes Leben. Im Prinzip ist es aber dennoch Theater, weil man sich in gewisser Weise immer in eine Rolle begibt, wenn man vor Publikum spricht. Rein autobiografisch ist das Ganze außerdem nicht – es werden auch Geschichten erzählt, die den teilnehmenden Asylsuchenden nicht selbst passiert sind. Neben diesen Geschichten wird es bei der Stadtrundfahrt auch Aktionen und theatrale Komponenten geben, die entlang des Weges stattfinden.

MINCKWITZ: Ausgangsmaterial sind Geschichten von Asylsuchenden, die aber auch in Fiktionalität übergehen können oder weitergesponnen werden. Das Projekt besteht außerdem nicht nur aus der Stadtrundfahrt, dahinter steckt auch ein Entstehungsprozess, bei dem Methoden des Theaters ins Spiel kommen.

kreuzer: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit?

MINCKWITZ: Wir haben vor ein paar Monaten angefangen, Asylbewerber persönlich kennenzulernen und proben momentan einmal die Woche mit ihnen im Rahmen eines Theaterworkshops. So versuchen wir auch, sie an das Medium heranzuführen, und es ihnen zu ermöglichen, vor Leuten zu sprechen und sich zu bewegen. In Form von ganz einfachen theatralen Übungen und Improvisationsübungen haben wir anfangen, mit ihnen zu arbeiten. Dazu gehört auch, dass man darüber ins Gespräch kommt, gewisse Themen aufgreift und diese auf der Bühne neu interpretiert.

kreuzer: Glauben Sie, dass das Projekt den Flüchtlingen hilft oder sie der Stadt näher bringt?

LEHMANN: Das lässt sich noch nicht wirklich sagen, da wir ja noch mitten in dem Projekt stecken. Wir wissen aber, dass die Asylbewerber gerne zu den Theaterworkshops kommen. Es für sie eine Zeit ist, in der man zusammen Spaß hat, gemeinsam etwas unternimmt, und alle anderen Probleme mal vergisst. Generell haben die Asylbewerber natürlich Wichtigeres zu tun, als mit uns Theater zu machen. Es ist ihnen auch nicht immer möglich, zur Probe zu kommen, weil sie mit anderen Problemen – unter anderem der drohenden Abschiebung – zu kämpfen haben. Aber wenn sie es einrichten können, kriegen wir schon die positive Rückmeldung, dass sie das Projekt als Ausgleich zu ihrem Alltag hier – oder eben fehlendem Alltag – sehr schätzen.

MINCKWITZ: Ich glaube schon auch, dass es eine Heranführung an die Stadt Leipzig bedeutet. Während einer wirklichen Stadtrundfahrt, die wir unternommen haben, konnten die Asylbewerber ganz neue Orte in Leipzig entdecken. Das beginnt schon bei ganz einfachen Sachen; wir machen die Proben nicht im Asylbewerberheim sondern in den Cammerspielen – dadurch müssen und kommen sie mal woanders hin. Dieser gemeinschaftsstiftende Moment des Theaters hat damit auch viel zu tun. Die Asylbewerber untereinander sind eine sehr feste Gruppe geworden, haben sich besser kennengelernt und Freunde gefunden. Aber sie machen auch viel mit uns oder mit den anderen Beteiligten an dem Projekt. Wir als Gruppe kommen immer enger zusammen, man kommt mit vielen verschiedenen Leuten in Kontakt und das ist für alle eine Bereicherung.

kreuzer: Inwieweit soll das Projekt ein größeres Bewusstsein für die Situation von Flüchtlingen in Leipzig schaffen?

LEHMANN: Es geht uns eher darum, Leipzig mit den Asylsuchenden in Berührung zu bringen, sodass sie eben nicht als »die Asylbewerber« gesehen werden beziehungsweise als eine Gruppe von Menschen, die hierher kommen. Sie sollen eher als Einzelne wahrgenommen und kennengelernt werden. Da liegt ja oft das Problem, durch das sich dann auch Vorurteile bilden. Wir haben vor den Leipziger Asylbewerberheimen Umfragen gemacht und Passanten befragt, bei denen die Existenz dieser Vorurteile auch bestätigt wurde. Diesen wollen wir entgegenwirken. Durch den Gemeinschaftsmoment hoffen wir, dass solche Vorurteile nochmal überdacht werden. Natürlich ist das sehr idealistisch und ob das wirklich klappt, wissen wir noch nicht. Die Stadtrundfahrt ist eben auch dafür da, ihr Umfeld zu zeigen und zu erfahren, wo sie sich in Leipzig bewegen. Denn das ist ja ein ganz anderes Leipzig, als wir es kennen.

MINCKWITZ: Natürlich ist das ein Anspruch von uns – denn wir sind ja auch durch die Videos der Bürgerproteste in Wahren darauf aufmerksam geworden. Wir wollen aber nicht noch ein politisches Statement in diese politische Debatte bringen, sonders es auf einer anderen Ebene versuchen. Nämlich auf der Ebene der Performance oder des Theaters, sodass eben im Rahmen dieser Busfahrt eine Begegnung mit einzelnen Menschen stattfindet. Das ist unser Ansatz. Und es wäre natürlich toll, wenn das Projekt Bewohner mit Vorurteilen aus diesen jeweiligen Gebieten anspricht. Deswegen machen wir dort diese Umfragen, treten an Bürgervereine heran und versuchen, über unser Theaterprojekt zu informieren.


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