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Filmkritik

Familiengeschichten

Die Kinostarts im Überblick und was sonst noch Filmisches in der Stadt geschieht

  Familiengeschichten | Die Kinostarts im Überblick und was sonst noch Filmisches in der Stadt geschieht

Familiengeschichten haben Hochkonjunktur im Kino, sei es in Dokumentar- oder Spielfilmen. In dieser Woche haben wir gleich drei davon im Programm aus vollkommen unterschiedlichen Orten der Erde. Der italienische »Land der Wunder« erzählt realitätsnah von einer pulsierenden Familie in der Provinz, »Like Father Like Son« verlagert den Schauplatz mit ruhigen Bildern nach Tokyo und »Borgman« seziert die aalglatte Fassade der niederländischen Upper Class. Erhellende Einblicke wünscht die kreuzer-Kinoredaktion.

Film der Woche: Der Albtraum vieler Eltern: Was, wenn mein Kind im Krankenhaus vertauscht wurde? Würde ich es dann weniger lieben, weil es nicht mein eigen Fleisch und Blut ist? Mit dieser Frage sehen sich Ryota und Midori Nonomiya konfrontiert. Der erfolgreiche Geschäftsmann und seine Frau leben in einem schicken Appartement in Tokyo mit ihrem sechsjährigen Sohn Keita. Der Sprössling schaut zu seinem Vater auf und versucht dessen hohen Ansprüchen gerecht zu werden. Ryota beugt sich unter dem Druck seiner Arbeitsstelle, während Midori ganz in der Erziehung des Kindes aufgeht und die Abwesenheit ihres Mannes duldsam erträgt.

Dann erreicht sie eines Tages die Hiobsbotschaft: In dem Dorfkrankenhaus in der Nähe von Midoris Geburtsort gab es eine Verwechslung. Keita ist eigentlich der Sprössling des einfachen Elektrikers Yukari Saiki und seiner Frau Yudai und ihr Sohn Ryusei trägt die Gene der Nonomiyas. Nachdem der erste Schock überwunden ist, treffen sich die Nonomiyas und Saikis und die Kinder lernen die unterschiedlichen Lebensverhältnisse kennen. Ryota blickt abschätzig auf Yukari herab und plant, von seinem Arbeitskollegen angestachelt, das Sorgerecht für beide Kinder zu erwirken. Doch welcher Lebensweg ist wirklich der erfolgreichere und welches Kind ist glücklicher? Der Japaner Hirokazu Koreeda (»Nobody Knows«) behandelt die moralischen Fragen behutsam und verleiht seinen Figuren komplexe Konturen. Dafür gab es den Preis der Jury bei den Filmfestspielen in Cannes. Ausführliche Kritik im aktuellen kreuzer.

»Like Father Like Son«: ab 2.10., Cinémathèque

Seit dem Erfolg der »Tribute von Panem« haben düstere Zukunftsvisionen im Kino Hochkonjunktur. Mit den jugendlichen Helden lässt sich sogar die schwer erreichbare Zielgruppe der Teenager wieder ins Kino locken. Kein Wunder also, dass Hollywoods Produzenten nur zu gern in der Literaturgeschichte wildern, um neue Stoffe für den potentiellen nächsten Blockbuster auszumachen, der dann vielleicht sogar in Serie gehen kann.

In Lois Lowrys »Hüter der Erinnerung« fand man nun die perfekte Vorlage: Ein Protagonist an der Schwelle zum Erwachsenwerden, ein realistisches Zukunftsszenario und eine humanistische Botschaft sind vielversprechende Voraussetzungen, den Erfolg des Buches auf der Leinwand zu wiederholen. Erfreulicherweise hat sich Walden Media an die Adaption gemacht, die bereits mit der »Narnia«-Serie ein gutes Händchen mit eigener Handschrift bewiesen.

Auch »Hüter der Erinnerung« zehrt von der Erfahrung des Studios. Die entworfene Zukunftsvision kommt ohne Effektegewitter aus und überzeugt auf zwischenmenschlicher Ebene in der Interaktion der Figuren. Im Mittelpunkt steht Jonas, der auserwählt wird, der neue »Hüter« zu werden. In der nahen Zukunft haben die Menschen aus den Trümmern eines schweren Krieges ein neues Utopia erschaffen, in dem es keine Lügen und keine Gewalt gibt. Jonas soll nun von seinem Vorgänger die Erinnerungen an die Zeit zuvor erhalten, um den Ältestenrate um die Vorsitzende beratend zur Seite zu stehen. Doch je mehr Jonas erfährt, desto mehr blickt er hinter den Vorhang der schönen neuen Welt. Mit einem vergleichsweise geringen Budget und einer beachtlichen Besetzung gelang eine überzeugende Umsetzung des Stoffes, die in der zweiten Hälfte leider stark gerafft wirkt, aber mit überzeugenden Jungdarstellern punkten kann. Ausführliche Kritik im aktuellen kreuzer.

»Hüter der Erinnerung«: ab 2.10., CineStar, Cineplex, Regina

Regisseur David Fincher zeichnet – basierend auf dem weltweiten Bestseller von Gillian Flynn – das Psychogramm einer Ehe auf. Wie gut kennt man den Menschen, den man liebt, wirklich? Diese Frage stellt sich Nick Dunne (Ben Affleck) an seinem fünften Hochzeitstag, dem Tag, an dem seine schöne Frau Amy (Rosamund Pike) spurlos verschwindet. Unter dem Druck der Polizei und des wachsenden Medienspektakels, bröckelt Nicks Darstellung einer glücklichen Ehe. Durch seine Lügen, Täuschungen und sein merkwürdiges Verhalten stellt sich jeder bald dieselbe unheimliche Frage: Hat Nick Dunne seine Frau ermordet? Einschließlich des Kinogängers, den der Meister des Thrills immer wieder auf neue Fährten führt. Als integere Figur in seinem Vexierspiel macht Ben Affleck eine hervorragende Figur. Ein komplexes Spinnennetz, dem man nur zu gern in die Falle geht.

»Gone Girl«: ab 2.10., CineStar, Cineplex, Regina

Auf der Flucht vor einer Gruppe brutaler Männer sucht der geheimnisvolle Landstreicher Borgman Unterschlupf bei der wohlhabenden Familie van Schendel. Vom Familienvater Richard zunächst verjagt, kehrt Borgman zurück und verzieht sich heimlich ins Gartenhaus des Anwesens. Richards Ehefrau Marina bietet dem Fremden unkompliziert Hilfe an und ein warmes Bad. Marina fühlt sich zunehmend von ihm angezogen und will nicht zulassen, dass er die Familie wieder verlässt. Kurz darauf verschwindet der Gärtner auf mysteriöse Weise, Borgman schleicht sich mit neuer Identität in die Mitte der Familie und nistet sich ein. Nun geraten auch die Kinder in seinen perfiden Bann, eine kaltblütige Manipulation beginnt. »Borgman« ist ein dunkler Thriller über die schlichtweg unheimliche Verführung durch das unscheinbare Böse. Irre, abgründig und offen für Interpretationen ist der Film des Holländers Alex van Warmerdam eine Hommage an das Genre des Domestic Horrors, eine kunstvolle Melange aus Filmen wie »Funny Games«, »Body Snatchers« und »Die Frauen von Stepford«.

»Borgman«: ab 2.10., Luru Kino auf der Spinnerei

 

 

Die Filmtermine der Woche

Cinema! Italia!

Die Passage präsentiert aktuelles italienisches Kino, preisgekrönt und nah an der Realität eines geschundenen Landes.

Miele | Honig

Jeden Monat fliegt Irene nach Mexiko. Nicht wegen eines anderen Mannes, wie ihr Liebhaber vermutet, sondern um sich das Einschläferungsmittel Lamputal zu beschaffen. Denn unter dem Decknamen »Miele« arbeitet Irene als heimliche Sterbehelferin.

3.10., 8.10., je 19.30 Uhr

 

Spaghetti Story

Vier junge Leute, die darauf brennen, etwas aus ihrem Leben zu machen. Valerio hält sich für einen guten Schauspieler, kriegt vorerst aber nur Mini-Rollen. Sein Freund Scheggia lebt noch bei seiner Großmutter, strebt jedoch eine »höhere Position« an.

 4.10., 19.30 Uhr

 

In Grazia Di Nio | Ein Neues Leben

Salento, Süditalien: Die eigene kleine Textilfabrik muss schließen, das Wohnhaus wird verkauft, eine Drei-Generationen-Familie kämpft um ihre Existenz. Nachdem ihr Bruder emigriert ist, sucht die energische Adele nach Auswegen.

5.10., 17 Uhr

 

Sacro Gra | Das Andere Rom

Es gibt das Rom der Paläste, Gärten und historischen Sehenswürdigkeiten. Und es gibt ein ganz anderes Rom, abseits vom Zentrum und allen Touristenattraktionen, entlang des riesigen Autobahnrings GRA, der die italienische Hauptstadt auf 70 km Länge umkreist.

6.10., 19.30

 

Tutti Contro Tutti | Jeder Gegen Jeden

Der Arbeiter Agostino lebt mit seiner Frau Anna, seinen Kindern Erica und Lorenzo, seinem Schwager Sergio, dessen Frau Romana, deren Kindern und dem griesgrämigen Großvater Rocco in einem kleinen Haus am Stadtrand Roms.

7.10., 19.30 Uhr

 

Population Boom!

Ein bekanntes Horrorszenario: Sieben Milliarden Menschen auf der Erde. Schwindende Ressourcen, giftige Müllberge, Hunger und Klimawandel - eine Folge der Überbevölkerung? Wer behauptet eigentlich, dass die Welt übervölkert ist? Und wer von uns ist zu viel? Im Rahmen der GlobaLE Leipzig; Anschließend Gespräch mit dem Filmemacher Werner Boote.

2.10., 20 Uhr, Werk 2

 

Woyzeck

Das Dreamteam Werner Herzog und Klaus Kinski inszenierte diese aberwitzige Verfilmung des Dramenfragments von Georg Büchner. Im Rahmen des Festivals »kunst : verrueckt«.

3.10., 20 Uhr, Sächsisches Psychiatriemuseum

 

Freak Orlando

Ulrike Ottingers Interpretaion des 1928 erschienenen Romans »Orlando. Die Geschichte eines Lebens« von Virginia Woolf.

4.10., 19.30 Uhr, Schaubühne Lindenfels

 

Hedwig and the Angry Inch

Ein androgyner Ostberliner Junge soll einen GI heiraten und unterzieht sich einer - nur teilweise erfolgreichen - Geschlechtsumwandlung. Als rockende Transe tingelt er durch Amerika. Mitreißendes musikalisches Drama mit fantastischen Darstellern, allen voran Regisseur John Cameron Mitchell in der Hauptrolle.

6.–8.10., 21 Uhr, UT Connewitz (OmU)

 

Leipzig im Herbst

Filmtrilogie zur Friedlichen Revolution von Andreas Voigt und Gerd Kroske.

6.10., 18 Uhr, Museum in der »Runden Ecke«

 

Lighter than Orange

Von 1961 bis 71 wurden mehr als 80 Mio. Liter dioxinhaltiger Herbizide wie Agent Orange von der US-Luftwaffe über Vietnam versprüht, um freie Schussfelder und eine Unterbrechung des Ho-Chi-Minh-Pfades zu erreichen. Der Film untersucht die Folgen. Aktuelle vietnamesische Dokumentation aus dem letzten Jahr.

7.10., 19 Uhr, Zeitgeschichtliches Forum

 

Dallas Buyers Club

Ein Film voller stiller Intensität: Ron Woodroof infiziert sich 1985 mit HIV, was so gar nicht in das homophobe Weltbild des Elektrikers und Rodeo-Cowboys passt. Matthew McConaughey gelingt es, das widersprüchliche Innenleben seiner Figur herauszuarbeiten. An seiner Seite brilliert aber mehr noch Jared Leto, der sich als transsexueller Rayon im Leben des mürrischen Cowboys einrichtet und sich allein durch Blicke und Gesten im Gedächtnis festsetzt. In der Reihe »Filme vom Abschied« - anschl. Gespräch mit Sozialarbeiterin Sandra Gödicke

8.10., 19.30 Uhr, Passage Kinos

 

Welt am Draht

Im Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung haben Wissenschaftler eine künstliche Welt erschaffen, die die reale imitiert. Nach dem überraschenden Ableben des Institutsleiters scheint seinen Nachfolger Fred Stiller das gleiche Schicksal zu ereilen. Denn auch Stiller muss feststellen, dass die Realität, in der er lebt, womöglich nur eine Simulation ist. Fassbinder verfilmte den 1954 erschienenen Roman »Sulacrum-3«. – im Rahmen von »Speculative Fiction Series II« - eine Reihe vom Kunstraum D21

8.10., 20 Uhr, LURU-Kino in der Spinnerei


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