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Kultur

Das große Ganze hinterfragen

Spechtl und Stadlober über die Aktualität von Marcuses »Der eindimensionale Mensch«

  Das große Ganze hinterfragen | Spechtl und Stadlober über die Aktualität von Marcuses »Der eindimensionale Mensch«

Jubiläumsjahr hallo. Nach Mauerfall und Orwelljahr steht noch ein Geburtstag ins Haus: Der eindimensionale Mensch wird 50. Herbert Marcuses Werk, das 1964 erschien und nicht nur 68er-Rebellen prägte, ist Ausgangspunkt für einen Theaterkonzert-Abend, bei dem sich Thomas Ebermann (der »letzte Querulant«), Kristof Schreuf (Sänger von Kolossale Jugend), Andreas Spechtl (Sänger von Ja, Panik) und Robert Stadlober (Sänger von Gary, Schauspieler) in Songs und disharmonischen Dialogen mit Marcuses Gedanken auseinandersetzen.

kreuzer: Auf welche Themen habt ihr euch besonders konzentriert?

ANDREAS SPECHTL: Wir haben für uns grob ein paar Überthemen erstellt, an denen wir uns dann abgearbeitet haben. Zum Beispiel: das glückliche Bewusstsein, Kunst/Utopie, die Gewaltfrage, Sprachkritik und so weiter.

kreuzer: Wird das auch ein interessanter Abend für Menschen, die das Buch nie gelesen haben?

SPECHTL: Hoffentlich, denn ich glaube nicht, dass das Buch viele gelesen haben. Schon gar nicht heutzutage.

kreuzer: Dabei scheinen 50 Jahre nach dem Erscheinen von »Der eindimensionale Mensch« Marcuses Ausführungen aktueller zu sein, als sie es vielleicht sogar zu 68er-Zeiten waren. Was hat euch dazu bewogen, es jetzt auf die Bühne zu bringen?

ROBERT STADLOBER: Marcuse beschäftigt sich mit einer Gesellschaft, die heute in ihren Grundzügen noch funktioniert wie damals. Er analysiert eine sich verändernde Welt im Angesicht von neuen Arbeitsbedingungen, der aufkommenden Macht der neuen Medien und der politischen Emanzipation der Jugend. Die Gesellschaft, von der er spricht, ist die unsrige in ihren Kinderschuhen. Wenn man sich kritisch mit dem Heute beschäftigt, kommt man nicht an Analysen dieser Zeit des Umbruchs vorbei, denn vieles was uns heute beschäftigt, ist da eben schon angelegt und vielleicht dadurch auch noch klarer sichtbar.

SPECHTL: Marcuse geht es um eine ganz elementare Negation des Bestehenden, um eine Opposition, die sich jenseits von Grünen oder Linkspartei denkt und das ganz andere will. Der Gedanke ist heute vielleicht weniger stark in der Gesellschaft präsent, das macht ihn aber nicht weniger wichtig. Im Gegenteil.

kreuzer: Marcuse war recht pessimistisch, was eine Veränderung dieser Verhältnisse betraf. Kann man heute bei Themen wie dem Fehlen von Opposition oder Ungleichheit im Kapitalismus optimistischer oder muss man noch pessimistischer sein als er?

STADLOBER: Marcuses Analyse hat eine von kapitalistischen Zwängen befreite Gesellschaft im Sinn. Der Weg dorthin führt für ihn über die große Weigerung. Wir sind 50 Jahre nach Erscheinen des Buches weiter davon entfernt denn je. Gerade deshalb ist Marcuses Gesellschaftsanalyse noch mindestens so wichtig wie 1964, wenn nicht noch wichtiger.

SPECHTL: Marcuse schreibt: »Die kritische Theorie gesteht ihre Wirkohnmächtigkeit ein. Und trotzdem ist sie nicht widerlegt.« Ist das nun pessimistisch oder optimistisch? Das Schöne an Marcuse ist, dass man ihm mit solchen engen Festlegungen gar nicht wirklich beikommen kann.

kreuzer: »Das, was heute als links/progressiv/bürgerbewegt gilt, hat sich von einer substanziellen Kritik des Bestehenden entfernt«, sagt ihr in eurer Ankündigung. Inwiefern hat es das?

STADLOBER: Es ist vor allem das Fehlen einer radikal negatorischen Position im heutigen öffentlichen Diskurs. Herbert Marcuse scheute sich nicht, das große Ganze in Frage zu stellen. Vor allem das zeichnet ihn wohl auch aus, und zwar ohne in die Falle von halbgaren, reformistischen Verbesserungsvorschlägen zu tappen.

kreuzer: Wie kann man so ein Buch überhaupt auf die Bühne bringen? Also wie kann man sich euren Konzert-Theater-Abend dazu vorstellen?

SPECHTL: Als musikalische Installation – im besten Sinne. Eine Art Marcuse-Maschine, bedient und verkörpert von uns beiden, die Fragen, Textfragmente, Ideen und vor allem auch Musik in den Raum spuckt. Die nicht entschlüsselt, sondern Marcuses Ideen dialogisieren lässt, mit sich selbst, mit Zeitgenossen, mit Songs sowie mit dem Heute.

STADLOBER: Es gilt, einen Spagat zu schaffen, der kein Uni-Seminar und didaktischer Zeigefinger, aber eben auch nicht Marcuse light oder bloß effekthaschende postmoderne Tanzperfomance ist. Man muss sich dem Stoff fragend stellen – auch auf der Bühne. Es geht nicht darum zu sagen: Wir haben Marcuse verstanden und nach 90 Minuten in unserem Abend werdet ihr das auch haben!

kreuzer: Wie seid ihr vier zusammengekommen?

STADLOBER: Wir kennen uns alle aus dem einen oder anderen Projekt, oder mindestens vom gemeinsam an irgendwelchen Bars Rumstehen. Dann kam eines Tages der Anruf von Herrn Ebermann, der diese Idee schon länger mit sich herumtrug. Wir fandens gut und waren dabei.

kreuzer: Hätte eine Frauenrolle dem Ganzen nicht noch gutgetan?

STADLOBER: Ja, auf jeden Fall.

Und zum Schluss die Frage: Gibt es noch Hoffnung?

WALTER BENJAMIN: Solange es Hoffnungslose gibt, wird es auch Hoffnung geben.


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