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Stadtleben

Speckröllchen um Leipzig

Das Projekt Einundleipzig will der Debatte um Gentrifizierung fundierten Boden geben

  Speckröllchen um Leipzig | Das Projekt Einundleipzig will der Debatte um Gentrifizierung fundierten Boden geben

Die Webseite Einundleipzig untersucht den Hype um Leipzig. Die Stadtentwicklung wird dort nicht nur von den Journalisten und Wissenschaftlern, sondern auch von Politikern und Leipzigern diskutiert.

Ein Speckröllchen legen sich Städte oft am Rand zu, in Leipzig umringt der Gürtel des Wohlstandes hingegen den Auwald. Das ergibt zumindest die Betrachtung der Preise von neu zu vermietenden Wohnungen. Eingefärbte Punkte auf einer Karte der Internetseite des Projekts Einundleipzig zeigen genau, wo wie viel Geld für ein neues Zuhause auf den Tisch gelegt werden muss. Die Daten werden über ein Programm aus einem großen Immobilien-Portal gezogen und laufend aktualisiert. Stadtentwicklung live – aber was für jeden einzelnen Bewohner dahinter steht, lässt sich nur erahnen.

Einundleipzig ist ein journalistisch-wissenschaftliches Projekt, das die Studenten Christina Schmitt, Wolfgang Amann und Carolyn Wißing vor einigen Monaten ins Leben riefen (s. kreuzer 10/2014). Das Ziel: den mutmaßlichen Hype um Leipzig untersuchen und der Diskussion über die Stadtentwicklung einen sachlichen Hintergrund geben. Nach einem ersten Blog ist nun eine umfangreiche Webseite mit allerlei Videos, Grafiken und Reportagen entstanden. Auch die Leipziger selbst sind aufgerufen, sich einzubringen. So können die Einwohner auf einer zweiten Karte eintragen, wie viel sie für ihre Miete bezahlen.

Am Anfang der Untersuchungen steht die Frage, was eigentlich hinter dem viel zitierten Begriff Gentrifizierung steckt. Auf der Seite kommen verschiedene Akteure zu Wort: vom FDP-Politiker René Hobusch, der einige Facetten der Debatte ein »Luxusproblem« nennt, bis hin zum Netzwerk »Stadt für Alle«, das sich um Verdrängung sorgt. Ein Clip erklärt mit einfachen Mitteln die Dynamik hinter der Aufwertung von Stadtteilen. »Niedrigschwellig« soll das Angebot sein, sagt die 27 Jahre alte Arabistik-Studentin Wißing – eine Informationsplattform für alle, die sich für die Diskussion interessieren.

Besonderen Wert bieten dabei die interaktiven Elemente, die Fakten zur Stadtentwicklung anschaulich aufbereiten. Ein visuelles Schmuckstück ist etwa die Grafik über die Umzüge innerhalb der Stadt. Die Daten stammen im Rohzustand vom Statistikamt, der für die Technik zuständige Wolfgang Amann hat sie in einen Kreis aus Stadtteilen gegossen. Von jedem Stadtteil aus verlaufen Linien in die jeweils anderen Wohngebiete. So kann nachvollzogen werden, wie beliebt zum Beispiel die Südvorstadt bei Leipzigern ist.

Ergänzt werden die Daten durch Reportagen aus den Stadtteilen. Befragt wurde der Rentner in der Krochsiedlung im Norden der Stadt ebenso wie ein Mann im In-Viertel Schleußig, dessen Wohnhaus saniert werden soll. »Die Leute sind ja alle kleine Experten in ihrem Stadtteil«, sagt Wißing. Und es zeigt sich schnell: Trotz aller Diskussionen kann die Leipziger Stadtentwicklung nicht über einen Kamm geschoren werden. Ob in der Platte, im Altbau oder einer alten Industriehalle – die Menschen und ihr Wohnraum sind ganz unterschiedlichen Entwicklungen ausgesetzt.

Und was bedeutet nun Gentrifizierung für Leipzig insgesamt? Um eine offene Beurteilung windet sich das Projekt-Team. »Wir wollen abbilden, ziehen erst einmal keine Schlussfolgerungen«, sagt Wißing. »Allerdings«, fügt sie hinzu, »wenn man unter Gentrifizierung die Verdrängung von Alteingesessenen versteht, kann man das natürlich nicht positiv umschreiben.« Abgeschlossen sei das Projekt ohnehin noch nicht. Als Nächstes steht die Untersuchung von Einkommen und Job-Perspektiven auf dem Plan. Denn auch niedrige Löhne, von denen schwer eine sanierte Wohnung bezahlt werden kann, und ein schwieriger Arbeitsmarkt gehören zu Leipzig. Und da ist von Hype bisher kaum eine Spur.


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