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Kultur

»Ratgeberbücher sind Dummenverhetzung«

Heinz Strunk über blöde Tipps, das Innere der Psychiatrie und warum er Yoga macht

  »Ratgeberbücher sind Dummenverhetzung« | Heinz Strunk über blöde Tipps, das Innere der Psychiatrie und warum er Yoga macht

Kurz vor seinem Auftritt im ausverkauften Täubchenthal sind wir mit Heinz Strunk verabredet. Er müsse noch kurz was essen, heißt es. Ein halbe Minute später ist Strunk fertig. Ein Schnell-Esser. Um die gehts auch auf dem neuen Album des Studio-Braun-Mitglieds. In seinem neuen Buch erklärt er sein ganz eigenes Prinzip des optimierten Lebens.

kreuzer: Ihr neues Buch »Das Strunk-Prinzip« könnte man ein Ratgeberbuch nennen …

HEINZ STRUNK: Nein, kann man gerade nicht so nennen. Das ist lediglich die Verpackung für die gesammelten Kolumnen. Die Idee, das als Motivationsgeschichte zu verpacken, kam mir, weil ich das Segment Motivations-Ratgeber-Psychokram schon seit Jahren mit mir rumtrage.

kreuzer: Warum gerade das?

STRUNK: Weil ich das so absonderlich, verrückt und krank finde. Ich gucke mir das mit einer Begeisterung für unendlichen unerträglichen Schwachsinn an. Wenn Leute wie Jürgen Höller oder Mike Dierssen diesen armen Teufeln, die sich auch irgendwie zum Chef befähigt fühlen, jetzt Kalendersprüche und Sprichworte sprachlich anders verpackt als große Weisheit verkaufen und damit suggerieren, sie könnten alles, wenn sie denn nur wollten, dann ist das Demagogie. Vielleicht nicht Volksverhetzung, aber Dummenverhetzung.

kreuzer: Haben Sie deren Bücher auch gelesen?

STRUNK: Ich habe mir mal eins von dem Höller gekauft. Das ist stilistisch und inhaltlich irre schwach, so Goldenes-Blatt-Niveau. Noch interessanter sind seine Seminare auf Youtube, also ihn in Action zu sehen und das Publikum, das total begeistert ist und sehr viel Geld dafür bezahlt.

kreuzer: Sollte man generell keine Ratgeberbücher lesen und gar nicht auf Ratschläge hören?

STRUNK: Es geht natürlich ums Niveau. Ich selbst bin das Gegenteil von beratungsresistent. Aber ich lasse mich sicherlich nicht von Jürgen Höller beraten. Auch nicht von Psychoanalytikern. Das lässt sich ja ausdehnen. Je säkularer eine Gesellschaft wird und je geringer die Rolle der Religion, desto mehr boomt der Psychosektor, weil das metaphysische Grundbedürfnis, die Sinnsuche und so gleich bleibt. Also bei all dem, wo die Leute nicht weiter wissen und glauben, da könnte ich mein Leben noch besser gestalten, kommen Bücher wie »Die Glücksformel« oder der spezifisch auf reinen Erfolg getrimmte Motivationscoach-Schwachsinn.

kreuzer: Auch Ihr Lied »Aufnehmen Bewerten Handeln« ist voller Lebensweisheiten wie »Nur wer loslässt, hat beide Hände frei«.

STRUNK: Da habe ich sehr lange sammeln müssen.

kreuzer: Die haben Sie sich nicht selbst ausgedacht?

STRUNK: Nee, keine einzige. Da würde ich gar nicht drauf kommen.

kreuzer: Wo finden Sie da Inspiration?

STRUNK: Das beantworte ich immer gerne mit einem Satz, der auch nicht von mir stammt, sondern von Philip Roth: Amateure warten auf Inspiration, Profis setzen sich hin und arbeiten. Das klingt zwar etwas arrogant und unsympathisch, aber es ist leider sehr viel dran. Als einen Musenkuss stellt sich Klein-Lieschen so einen Kreativprozess vor. Das läuft aber nicht so, dass der Geistesblitz einschlägt. Man muss sich konzentrieren, selbst konditionieren und das Hirn einstellen. Ich bin ja einer der wenigen, der noch viel Fernsehen schaut, aber da bin ich dann ständig am Checken, ob ich irgendetwas humoristisch oder anders verwerten kann. Man kann also selbst bei so einem Schwachsinn wie Fernsehen noch was herausholen.

kreuzer: Engagieren Sie noch politisch für die Partei Die Partei?

STRUNK: Nein.

kreuzer: Warum nicht?

STRUNK: Die einfachste Antwort ist, weil die mich nicht gefragt haben. Aber ich glaube, die haben mich nicht mehr gefragt, weil sie dachten, ich habe keine Lust mehr. Was gar nicht stimmt. Ich hätte nichts dagegen gehabt, eine Rede zu formulieren und zu halten. Ich hatte ja zwei Reden geschrieben und die satirische Überhöhung der Politikersprache hat mir Spaß gemacht. Aber der Ruf hat mich nicht ereilt.

kreuzer: Haben Sie dennoch ein Statement zur Hamburg-Wahl?

STRUNK: Nööö. Was soll ich dazu sagen? Ich bin nur überrascht, dass die doofe FDP so reanimiert wurde.

kreuzer: Lag wohl an der Spitzenkandidatin.

STRUNK: Ja, oder an dieser unsäglichen »3 Engel für Lindner«-Kampagne. Man weiß es nicht.

kreuzer: Reden wir über Ihre Musik. Jemand schrieb, »Sie nannten ihn Dreirad« sei eine Nineties-Eurotrash-Platte …

STRUNK: Nineties-Eurotrash?! Ich wüsste nicht, was ein Song wie »Langsame Esser« mit Nineties-Eurotrash zu tun hat. Möglicherweise spielt eine Achtziger-Note eine Rolle. Aber was daran Trash sein soll, weiß ich nun wirklich gar nicht! (grinst)

kreuzer: Vielleicht wegen des Einflusses von Fraktus.

STRUNK: (lacht) Dass ich von Fraktus beeinflusst wurde, glaube ich jetzt nicht.

kreuzer: In dem Booklet-Text zur neuen Platte sprechen Sie über den Unterschied von Arm und Reich.

STRUNK: Das ist allerdings kein Thema, das mich sonderlich umtreibt. Aber der Satz »Die Reichen haben Eis im Sommer, die Armen haben Eis im Winter« ist unfassbar gut. Der drückt so viel aus und ist einfach wahr. Da gibts keine Einteilungen wie Hartz IV, Mittelschicht oder Prekariat. Sondern nur die Armen und die Reichen, ganz einfach.

kreuzer: Ein großes Thema auf dem Album ist Essen: von Fernsehköchen bis Langsam-Essern. Was ist das Tolle an schnellem Essen?

STRUNK: Das ist nicht so toll, aber es lässt sich ja wirklich evolutionär begründen, warum langsam Essen ein kulturelles Konstrukt ist. Ich will gar nicht bestreiten, dass das gesünder ist als Schlingen. Der Song ist vielmehr eine Polemik gegen so Nervensägen, die langsames Essen als Heilmittel sehen. Genauso wie Leute, die keinen Alkohol trinken, die nerven mich auch. Daher habe ich dann einen Diss-Text gegen langsame Esser geschrieben, was wenig nahe liegt und dadurch interessant ist: eine Gruppe, die in Wahrheit gar keine Angriffsfläche bietet, zu beschimpfen. Das schockt, das macht Spaß.

kreuzer: Selbst wenn ich jetzt ein langsamer Esser wäre, wäre ich wahrscheinlich nicht beleidigt.

STRUNK: Ja, das könnte dir völlig egal sein. Es sei denn, du hast komplett keinen Humor.

kreuzer: Dann würde ich die Platte wohl auch nicht hören. Im Song »Opa làmour« gehts um einen Rentner, der gerne wieder Sex hätte.

STRUNK: Auch Alter ist ein sehr ambivalentes Thema. Alter ist für viele Leute mit einem enormen Leidensdruck verbunden, was ich auch verstehe. Deswegen nehmen sich viele ja im Alter von 80 oder so das Leben. Wo man denkt: Ach, ihr habt doch bis jetzt alles ganz gut hinter euch gebracht.

kreuzer: Wahrscheinlich weil sie es schon so gut hinter sich gebracht hat, bringen sie sich um.

STRUNK: Ja, genau. Weil nichts mehr kommt, keine neue Liebe, nichts. Das Schlimme ist ja, wenn sich gerade bei Männern die Sexualität nicht in Würde verabschiedet, sondern immer noch so hämmert und es praktisch keine Möglichkeit mehr dafür gibt. Was man dann in bösen Worten einen »Lustgreis« nennt. Da muss man dann eine Strategie finden, wie man damit umgeht. Aber nicht so unangenehm wie bei Martin Walser oder John Updike, deren Protagonisten – also wahrscheinlich sie selber – sich literarisch beklagen, dass junge Mädchen keine Lust haben, 80-Jährigen die Eier zu lecken, um das mal hart zu formulieren. Auf andere Begleiterscheinungen des Alters hat man aber das ganze Leben Zeit, sich vorzubereiten. Da ist man selber dran. Ich habe zum Beispiel mit Rocko angefangen, Yoga zu machen. Ich habe vor fünf Jahren aufgehört mit Rauchen und ich trinke auch weniger. Weil ich hoffe, dass ich dann über die nötige psychische und physische Stabilität verfüge, um all die Dinge, die da auf einen zukommen, wegzustecken. Und nicht immer nur heule: Ich kann dies nicht mehr, ich kann das nicht mehr. Aber das ist bloße Spekulation, ob das klappt.

kreuzer: Man weiß ja sowieso nicht, wie lange man lebt.

STRUNK: Eh nicht, aber wenn ich davon ausgehe, wie alt die in meiner Familie geworden sind und dass ich nicht erschossen werde oder bei einem Autounfall sterbe, dann werde ich wohl noch etwas älter werden. Darum gehts ja nicht, dass ich mit 60 bei einem Herzinfarkt sterbe.

kreuzer: Waren Sie wirklich mal in einer Irrenanstalt?

STRUNK: Nein. Aber ich habe meine Mutter (die unter schweren Depressionen litt, Anm. der Red.) da besucht. Irrenanstalt und Psychiatrie ist ja dasselbe. Das waren ziemlich prägnante Eindrücke, die ich da gewonnen habe, obwohl ich in meinem Leben wahrscheinlich nicht mehr als 40 Stunden in den Räumen einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt verbracht habe. Aber das reicht. Ich weiß, was meine Mutter da erlitten hat. Das war der Wahnsinn, der Wahnsinn, der Wahnsinn.

kreuzer: Wie sah dieser Wahnsinn aus?

STRUNK: All die sedierten Leute, die Schwerstfälle waren – sonst kommen die ja nicht in die Geschlossene – waren bis unter die Schädeldecke voll mit Psychopharmaka. Die Gesichter dieser armen Menschen, die von der Depression, von der Schizophrenie, von der Psychose zerfressen sind. Das ist kaum zu ertragen. Für mich wars ganz schlimm. Darunter meine Mutter, die ja auch nicht anders aussah.

kreuzer: Und dann geht man raus und fragt sich: Wer ist hier verrückt?

STRUNK: Man hat schon Gründe, warum Leute außerhalb und andere innerhalb der Psychiatrie sind. Was heißt verrückt? Auffallend ist, dass die Allernormalsten von sich behaupten, sie seien ganz verrückte Typen, die ganz verrückte Sachen machen. Das ist ein zuverlässiges Kriterium. Wenn das jemand von sich behauptet, kann man davon ausgehen: erdrückender Durchschnitt. Denn die Leute, die wirklich verrückt sind und damit meistens Probleme haben, die versuchen alles, nach außen so normal wie möglich zu wirken.


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