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Kultur

»Dein Atem riecht nach Wurstspirelli«

Subversiver Spaß: Christoph Borell hat seinen ersten Gedichtband veröffentlicht

  »Dein Atem riecht nach Wurstspirelli« | Subversiver Spaß: Christoph Borell hat seinen ersten Gedichtband veröffentlicht

Seien wir mal ehrlich: Wirklich lustige Leute sind selten, lustige Dichter noch seltener – und am allerseltensten lustige deutsche Dichter. Da ist das Unterfangen eines Leipziger Poeten, einen eigenen Verlag zu gründen und erstmal nur sich selbst zu verlegen allein schon lustig. Oder?

Als der selige Marcel Reich-Ranicki einmal auf die angebliche Humorlosigkeit der deutschen Literatur angesprochen wurde, tat er die Behauptung als bloßes Klischee ab, das »von Generation zu Generation ungeprüft weitergereicht« werde. Im Eifer des Gefechts verstieg sich der Meister sogar zu der Vermutung, kaum eine Literatur der Welt – abgesehen von der englischen – besitze so viel Humor wie die deutsche. Fair enough. Aber Klischees kommen nicht von ungefähr. So falsch, ärgerlich, sogar gefährlich ein Vorurteil sein mag, irgendetwas ist meistens dran. Und selbst Ranicki gibt an anderer Stelle zu, dass sich der Vorwurf, der deutschen Literatur, insbesondere der Lyrik, mangele es an Humor, nicht so rasch von der Hand weisen lasse.

Wie ist es tatsächlich um den Humor unserer Dichter bestellt? Wer sich in der Lyrikszene umtut, stellt fest, dass sie unglaublich lebendig und vielfältig ist, aber nach wie vor – jedenfalls jenseits vom Poetry Slam – Scherz, Satire und Ironie gegenüber der tieferen Bedeutung eine eher untergeordnete Rolle spielen. Kurz: Humor ist noch immer Mangelware, aber es gibt ihn. Auch bei uns in Leipzig. Zum Beispiel im Programm des Verschlag-Verlags: Dort ist gerade Christoph Borells launiger Gedichtband »Was fällt dir zum Wort Sack ein?« erschienen.

Um die Wahrheit zu sagen, »Was fällt dir zum Wort Sack ein?« ist der erste und bisher auch einzige Titel des Verschlag-Verlages. Im Übrigen hat niemand anders als der Dichter selbst den Verlag gegründet. »Sicherlich braucht die Welt keinen neuen Verlag«, räumt Borell, der im Ernst mit vollem Namen Christoph von Borell du Vernay heißt, ein. »Ich habe einfach Spaß daran, etwas zu machen, das nicht sinnvoll ist.« Kommerzieller Erfolg wird weder erwartet noch angestrebt. Auf Kleinkram wie einen Businessplan oder Verlagsräume kann Borell daher verzichten, nicht umsonst hat er sein Projekt »Verlag für leistungsverweigernde Maßnahmen« genannt. Der Verschlag-Verlag sei reine Liebhaberei, erklärt der sechsundzwanzigjährige Psychologiestudent, eine Möglichkeit, sich selbst auszuprobieren.

Ein wenig kokettiert er schon mit seinem Dilettantismus. Denn ganz so unbedarft, wie es zunächst den Anschein hat, geht der Jungverleger keineswegs an die Sache heran. Borell verfügt durchaus über Erfahrungen im Verlagswesen. An seinem früheren Studienort Bremen hat er ein Praktikum beim Sujet Verlag absolviert, der auf zeitgenössische, vor allem iranische Exilliteratur spezialisiert ist. Hier hat Borell von der Gestaltung über die Öffentlichkeitsarbeit bis hin zum Vertrieb die Abläufe eines Verlages aus erster Hand kennengelernt. Und so unambitioniert, wie man glauben könnte, ist auch sein Programm nicht. Bis jetzt veröffentlicht der Verschlag-Verlag nur einen einzigen Autor. Aber das soll nicht so bleiben. »Was mich interessiert, sind Bücher, die sich kritisch mit Autorität auseinandersetzen«, sagt Borell.

Und eben das tut er – unter dem halben Pseudonym Gaston du Vernay – in »Was fällt dir zum Wort Sack ein?«. Allerdings nicht mit der Attitüde des moralisierenden Aufklärers, sondern ironisch-humoristisch. Kindheits- und Alltagserlebnisse bieten ihm Stoff in Fülle. Die Autorität begegnet dem jungen Mann in Gestalt von Kindergärtnerinnen, Lehrern, Platzwarten, Hausmeistern oder Behörden. Einmal hat er »den Staat in der Leitung«: »die Mahnpoststelle ruft an / Ja, ich habs erhalten / durch das ständige Umziehn bin ich schwer zu verwalten«. Dann wieder geht es um einen etwas unappetitlichen »Herrenbesuch«: »dein Atem riecht nach Wurstspirelli / du küsst mich als wärs Rosenduft«. Sympathischerweise nimmt Borell auch die eigene Existenz aufs Korn. »Wie hältst du es aus in dieser von / Schrott beherrschten Welt?«, fragt er in »Schmerzensgeld«. Die Antwort lautet: »Meine Eltern überweisen mir monatlich / Geld.« Zur Biografie des Dichters erfährt der Leser: »Gaston Vernay ist beruflich wenig unterwegs. Sein Pendant in der Tierwelt ist ein vom Erntehelfer überfahrenes Stinktier.«

Was soll man davon halten? Nun, jedes Ding hat seine Zeit. Und die Zeiten ändern sich – nicht notwendig zum Schlechten. Robert Gernhardt hat sich über die bedeutungsschwere, vertrackte Lyrik der achtziger Jahre einmal folgendermaßen geäußert: »Mein Gott, ist das beziehungsreich – ich glaub, ich übergeb mich gleich.« Christoph Borells Gedichte erheben gar nicht den Anspruch, bedeutende Literatur zu sein. Auch wenn sich hier und da ihre herzerfrischende Unbeschwertheit als überraschend subversiv erweist, vor allem machen diese federleichten, ephemeren Miniaturen Spaß. Mehr darf man von solcher Lyrik nicht verlangen. Und am Ende ist das doch eine ganze Menge.


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